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# taz.de -- Neonazi-Symbolik: Rote Fahnen statt Hakenkreuzen
> Neonazis sind nicht mehr so leicht erkennbar, sie kopieren sogar linke
> Symbole. Eine Ausstellung erklärt die neuen Codes - in einem Kiez, den
> die Rechten dominieren
Bild: Sie sind nicht immer einfach zu entdecken, die Codes der Neonazis.
Rechte erkennt man an Stoppelschnitt und Springerstiefeln? Das war einmal.
Heute grenzt sich die rechte Jugendkultur nicht mehr eindeutig stilistisch
von der Mehrheitsgesellschaft ab - und schon gar nicht von Linksautonomen.
Stattdessen erkennen sich Rechtsextreme an dezenten Codes: an
Zahlenkombinationen oder an getarnten altgermanischen Symbolen, die für
Außenstehende oft nicht als solche erkennbar sind.
Vorgestellt werden viele dieser neuen rechten Symbole in der Ausstellung
"Versteckspiel. Lifestyle, Symbole und Codes von neonazistischen und extrem
rechten Gruppen". Die von der Berliner Agentur für soziale Perspektiven
gestaltete Ausstellung ist noch bis 7. Dezember im Zentrum für Demokratie
am S-Bahnhof Schöneweide zu sehen. Der Ausstellungsort liegt am Anfang der
Brückenstraße, an deren anderem Ende der wichtigste Treff Berliner Neonazis
liegt, die Kneipe Zum Henker. Dazwischen befindet sich der von
NPD-Vizelandeschef Sebastian Schmidtke betriebene Szeneladen Hexogen.
"Wir sind vor einem Jahr sehr bewusst hierhergezogen", erzählt Yves Müller,
einer der zwei Mitarbeiter des Zentrums. Es ist im Bezirk Treptow-Köpenick
für antirassistische Arbeit zuständig, schult Lehrer und
Jugendsozialarbeiter für den Umgang mit der rechten Szene und hilft bei der
Organisation von Demokratiefesten.
Einfach ist diese Aufgabe in Schöneweide nicht immer. Wichtige
Arbeitswerkzeuge des 28-jährigen Historikers Müller sind Lappen und
Spachtel. Damit entfernt er regelmäßig rechte Aufkleber an den
Schaufensterscheiben seines Erdgeschossbüros, auf denen "Keinen Fußbreit
den Antideutschen" steht oder "Guten Heimflug". Aufkleber gehören aber noch
zu den harmlosen Angriffen auf die Räume des Zentrums für Demokratie.
Mehrfach wurden die Jalousien mit Flaschen und Böllern beworfen, inzwischen
sind sie durch Scherengitter ersetzt worden.
Täter werden selten gefunden in einem Kiez, wo die Rechten über informelle
Informationskanäle verfügen und sich warnen, wenn die Polizei kommt.
Besucher des Zentrums werden immer wieder von Rechten gefilmt. Während
einer Veranstaltung im März hielten Neonazis aus dem Spektrum der
verbotenen Kameradschaft "Frontbann 24" eine Gegenkundgebung am
Bahnhofsvorplatz ab. "Die Rechten machen deutlich, dass sie diesen Kiez als
ihren reklamieren", sagt Müller, der sich mehr Besucher für sein Zentrum
wünscht. "Wir sind zwar ein Treffort für zivilgesellschaftliche
Initiativen. Bezirkspolitiker und Lehrer informieren sich hier über rechte
Kultur. Aber aus der Nachbarschaft kommt selten jemand."
Dafür sind mehrere Gründe denkbar: Ein Besuch im Zentrum für Demokratie
wäre ein Bekenntnis, nicht zum rechten Mainstream der Brückenstraße zu
gehören, und könnte bedeuten, dass man Opfer von Gewalt wird. Einige
Nachbarn haben auch gar kein Problem mit den rechten Nachbarn. Oder
erkennen diese gar nicht mehr als Rechte.
Das wiederum thematisiert die Ausstellung. Trägt ein Schüler eine "88" auf
dem Rücken seines Sporthemds, vermuten Lehrer darin womöglich ein
sportliches Bekenntnis. Die "88" steht aber für "Heil Hitler" - H ist der
achte Buchstabe im Alphabet. Anders als "Heil Hitler" ist "88" straffrei.
Auch "14" ist eine bei Rechtsextremen beliebte Zahlenkombination. Sie steht
nicht etwa für die Buchstaben A und D sondern für "14 words", eine
Abkürzung der Phrase "We must secure the existence of our people and a
future for white children" (Wir müssen die Existenz unseres Volkes und die
Zukunft unserer weißen Kinder sichern.) Es ist ein Zitat des 2007
gestorbenen US-Neonazis David Lahne. Die "14 words" werden bei Neonazis als
Grußformel benutzt. Sie finden Verwendung in Liedtexten, auf T-Shirts,
Aufnähern oder CD-Covern. Außenstehenden ist diese Symbolsprache
unverständlich.
Den Schluss, die Zahlen 88 und 14 müssten wie Hitlergruß und Hakenkreuz
unter Strafe gestellt werden, ziehen die Macher der Ausstellung allerdings
nicht. Sie halten das Strafrecht für eine stumpfe Waffe gegen rechts.
Letztlich sind auch nicht die Symbole das Problem, sondern das Gedankengut
dahinter.
Eine neue Tendenz der rechten Szene besteht darin, linke Symbole in ihre
eigene Zeichenwelt zu integrieren. Etwa das Symbol der "Antifaschistischen
Aktion", eine rote und eine schwarze Fahne. Auch das Palästinensertuch, in
den 1980er Jahren und teilweise noch heute unter Linken populär, wird
inzwischen von Rechten als vermeintlich antisemitisches Symbol verwendet -
nach dem Motto "Der Feind meines Feindes ist mein Freund." Auch Träger
eines T-Shirts oder Besitzer eines Notizbuchs mit dem Konterfei des
lateinamerikanischen Revolutionärs Ernesto Che Guevara müssen heute keine
Linken sein. Rechte vereinnahmen ihn wegen seines Kampfs für nationale
Unabhängigkeit.
Seit Rechtsextreme ihre Gesinnung nach außen hin verschleiern, wird es
nicht nur schwerer, sie zu erkennen. Auch der Einstieg von Jugendlichen in
die rechte Kultur wird niedrigschwelliger und geschieht oft in vielen
kleinen Schritten.
15 Nov 2011
## AUTOREN
Marina Mai
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