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# taz.de -- 200. Todestag von Kleist: Im Bett mit Penthesilea
> Vor 200 Jahren nahm sich Heinrich von Kleist das Leben. Eine Spurensuche
> mit dem literarischen Stadtführer Michael Bienert in Berlin.
Bild: Büste von Heinrich von Kleist, Großdichter.
Die Kreuzung Mohren-/Wilhelmstraße ist kein städtebauliches Highlight:
Verkehr umtost DDR-Platten und rußgeschwärzte Altbauten. Am U-Bahn-Eingang
mit dem Charme einer Verkehrsinsel trotzen Standbilder von preußischen
Generälen den Abgasen. Für Michael Bienert sind die bronzenen Herren der
Schlüssel zu einem Universum, das er regelmäßig interessierten Besuchern
zeigt. Bienert, der mit seinem breitkrempigen Hut aussieht wie aus der Zeit
gefallen, ist literarischer Stadtführer. Am U-Bahnhof Mohrenstraße liegt
für ihn der Schlüssel zum Leben des Dichters Heinrich von Kleist, der sich
am 21. November vor genau 200 Jahren am Kleinen Wannsee das Leben nahm.
"Nach den Plänen seiner Familie hätte Kleist auch so ein preußischer Held
werden sollen", sagt Bienert und deutet auf den schneidigen General von
Zieten. Der Germanist erzählt vom pommerschen Uradel, in den der kleine
Heinrich hineingeboren wurde. Von seiner Erziehung in der Pension des
reformierten Predigers Samuel Heinrich Catel in der Berliner Kronenstraße,
von seinem Eintritt ins 3. Bataillon des Potsdamer Garderegiments mit
gerade einmal 13 Jahren. Und vom Abgang aus dem verhassten Soldatenstand
mit 22. Zwischen Autos und Passanten liest Bienert aus einem Brief Kleists:
"Die größten Wunder militärischer Disziplin, die der Gegenstand des
Erstaunens aller Kenner waren, wurden der Gegenstand meiner herzlichsten
Verachtung […], und wenn das ganze Regiment seine Künste machte, schien es
mir als ein lebendiges Monument der Tyrannei."
So eindringlich liest der Mann mit Hut, dass man sich versetzt fühlt in die
historische Friedrichstadt, die im 18. Jahrhundert den westlichen Stadtrand
bildete. Was heute der tote Winkel zwischen Brandenburger Tor und Potsdamer
Platz ist, muss einmal das intellektuelle Epizentrum Berlins gewesen sein.
Als Kleist 1809 hier ankam, hießen seine Nachbarn Achim von Arnim und
Clemens von Brentano. Salons, Theater, Redaktionen befanden sich fußläufig
von seinem Haus in der Mauerstraße 53. Dass heute hier das
Bundesarbeitsministerium in einem neoklassizistischen Bankpalast von 1913
residiert, davon lässt sich Bienert nicht irritieren. Er postiert sich vor
der Kleist-Gedenktafel und rezitiert einen Brief Achim von Arnims an
Wilhelm Grimm.
Er muss seltsam auf seine Zeitgenossen gewirkt haben, der Dichter Kleist,
der in Berlin schnell Anschluss an die literarische Szene fand, zwischen
Oktober 1809 und Februar 1810 aber verschwand. Gerüchte über seinen Tod
gingen um, von Arnim bestätigte jedoch, dass der wunderliche Mensch lebte
und "ganze Tage im Bette" mit Tabakpfeife und Manuskript zubrachte. Der
Kontrast zwischen dem armen Poeten, der im billigen Mietzimmer über der
"Penthesilea" schwitzte, und den Ministeriumsangestellten, die heute vor
der Tür eine rauchen, könnte kaum größer sein.
Bienert ist Profi im Visualisieren historischer Stadtlandschaften. Für
Studierende, Firmen und Privatleute entwirft er in Führungen oder
Onlinekarten Bilder von dem Berlin, das Brecht, Friedrich II. oder
Schriftsteller der 20er Jahre erlebten. Sein Spezialinteresse aber ist das
Berlin um 1800: Dessen Topografie erforscht er seit Jahren. Rund 150.000
Einwohner hatte die Stadt damals, 1810 wurde die Universität gegründet,
1812 verlieh König Friedrich Wilhelm III. den 70.000 preußischen Juden
Stadtrecht. In diesem Klima, das vom Widerstand gegen die napoleonischen
Besatzer geprägt war, gründete Kleist 1810 die Berliner Abendblätter, deren
Zweck neben der Unterhaltung aller Stände die "Beförderung der
Nationalsache" war.
Bienert bleibt am Palais des Predigers und Universitätsmitgründers
Schleiermacher an der Glinkastraße stehen und erzählt vom Fund eines
befremdenden Dokuments: eine schriftliche Einladung an Kleist und mehrere
publizistische Mitstreiter zur Gründung einer Deutschen Tischgesellschaft.
Die illustre Runde, die hauptsächlich aus Universitätsprofessoren bestand,
wollte sich 14-tägig im Wirtshaus treffen - Juden und Frauen unerwünscht.
"Ein sehr reaktionärer Zirkel. Und Kleist mittendrin, obwohl er in den
jüdischen Salons von Henriette Herz und Rahel Varnhagen verkehrte?" Bienert
runzelt die Stirn und beklagt Erkenntnislücken in der Kleist-Forschung: "In
diesem Mann stecken noch viele Rätsel."
Auf dem Gendarmenmarkt angekommen, erzählt Michael Bienert die Anekdote,
wie Kleist sein Ziel, am neu gegründeten Nationaltheater inszeniert zu
werden, selbst torpedierte. Als Theaterdirektor Iffland sein "Käthchen von
Heilbronn" ablehnte, rächte sich Kleist und schmähte in einem Brief die
Homosexualität des Theatermanns - ein ungeheuerlicher Tabubruch. An diesem
Anwurf ergötzte sich die gesamte Kulturszene, danach war der Dramatiker im
Nationaltheater für alle Zeiten unten durch. "Kleist war ein Mensch, der
sich oft selbst im Weg stand", sagt Bienert und nimmt Kurs auf den
Werderschen Markt, wo der Niedergang der Abendblätter und Kleists eigene
Tragödie begann.
Hier, Hinter der Katholischen Kirche 3, befand sich die erste Ausgabestelle
der neuen Tageszeitung, die bei der Gründung eine Sensation darstellte:
Kleist, der mit dem Polizeipräsidenten befreundet war, sicherte sich das
Monopol auf Polizeimeldungen, die er druckfrisch unters Volk brachte. "Sein
Geschick als Blattmacher muss man bewundern - einerseits", sagt Bienert.
Andererseits machte er sich schnell unbeliebt: Wegen weiterer Attacken auf
Iffland verlor er die Lizenz für Theaterkritiken. Dann brachte er mit
Kritik an Hardenbergs Sozialreformen die Zensur gegen sich auf, die ihm die
Polizeiberichte wegnahm. Es war der Tod der Abendblätter, die am 30. März
1811 letztmalig erschienen. "Na ja", sagt Bienert und lupft den Hut, wie um
dem begnadeten Blattmacher Tribut zu zollen.
Das Ende der Geschichte, Kleists Lebensüberdruss und den gemeinsamen
Freitod mit der krebskranken Henriette Vogel, setzt der Stadtführer als
bekannt voraus. Am Schlossplatz, mit Blick auf den Originalschauplatz des
"Prinz von Homburg", endet Bienerts Rundgang. Der Mann mit Hut verschwindet
Richtung U-Bahn. Plötzlich steht man wieder im Berlin des 21. Jahrhunderts.
Am Ort des Salons von Rahel Varnhagen erinnert nur noch das Restaurant
"Vau" an die prominente Vorgängerin, auf dem Gendarmenmarkt hat das
intellektuelle Leben dem Tourismus das Feld überlassen. Kleist hätte das
vermutlich gefallen: "Nichts ist dem Interesse so zuwider als Einförmigkeit
und nichts ihm dagegen so günstig als Wechsel und Neuheit."
18 Nov 2011
## AUTOREN
Nina Apin
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