# taz.de -- Arisierung des Eierhandels in der NS-Zeit: Vom arischen Osterei | |
> Karolin Steinke hat die Geschichte von fünf Bechern im Neuköllner | |
> Heimatmuseum zurückverfolgt. Sie fand heraus, wie die Nazis einen | |
> Eierhändler und seine Frau ermordeten. | |
Bild: Am 3. Mai 1944 wurden Rachel und Simon Adler nach Auschwitz deportiert un… | |
Am Anfang standen fünf kleine silberne Becher. 23 Jahre ist es her, dass | |
die Neuköllner Rentnerin Margarete Brandt diese Spende an das Neuköllner | |
Heimatmuseum übergab. Sie hatte keine Ahnung, wozu die Becher einmal | |
gedient hatten. Die fünf Gefäße waren Kidduschbecher, Zeremonialstücke, aus | |
denen Juden an besonderen Tagen, etwa zu Beginn des Sabbat, ihren Wein | |
tranken. | |
Margarete Brandt und ihr Mann, die damals als Milchhändler arbeiteten, | |
hatten sie Ende der 1930er Jahre von ihren Nachbarn geschenkt bekommen, den | |
Eierhändlern Rachel und Simon Adler. | |
Mit nichts als diesen dürftigen Informationen begann die | |
Kulturwissenschaftlerin Karolin Steinke ihre Recherchen. Am Ende steht ein | |
kleines Buch über das Leben des Ehepaars Adler aus Neukölln - und die | |
vergessene Geschichte vom arischen Osterei. | |
6,2 Milliarden Eier wurden 1925 im Deutschen Reich konsumiert. Doch nur 3,7 | |
Milliarden davon entstammten deutschen Hennen, der restliche Teil wurde | |
importiert. Ein großer Teil der eingeführten Waren kam aus Russland und | |
Galizien - zufällig auch Wohnort vieler Juden. | |
Und weil einiger dieser Juden ab dem Ende des 19. Jahrhunderts ob Armut und | |
Antisemitismus nach Berlin, in die prosperierende Hauptstadt des deutschen | |
Kaiserreichs, emigrierten, lag es nahe, dass einige unter ihnen damit | |
begannen, sich im Eierhandel zu engagieren. | |
1910 waren 70 Prozent der Berliner Eiermarkthändler eingewanderte Juden. Zu | |
ihnen zählten der 1885 in der heutigen Westukraine geborene Simon Adler und | |
seine Frau. Ihr erster Laden befand sich in der Neuköllner Friedelstraße | |
47. Sie waren "Eierjuden" - ein damals feststehender, nicht unbedingt mit | |
Sympathien belegter Begriff. | |
## Ein Dorn im Auge | |
Den Nazis war der Eierhandel gleich aus zwei Gründen ein Dorn im Auge. Zum | |
einen wegen der Monopolisierung durch Juden, zum Zweiten aber, weil der | |
Import ihrer Wahnvorstellung von deutscher Autarkie widersprach. Schon am | |
20. Dezember 1933 trat deshalb das "Gesetz über den Verkehr mit Eiern" in | |
Kraft, durch das die "inländische Eierwirtschaft von zu günstigeren | |
Bedingungen erzeugten Auslandseiern" geschützt werden sollte. | |
Im folgenden Jahr wurden die Händler zu Eierverwertungsgesellschaften | |
zusammengefasst. Einer der Männer, die damals den Eierhandel neu ordneten, | |
war ein gewisser Bernhard Grzimek - später als Fernsehmoderator bekannt und | |
beliebt. | |
So begann 1934 eine "Erzeugerschlacht", in der es darum ging, die | |
einheimische Eierproduktion zu erhöhen, um das Importei vom Markt zu | |
verdrängen. | |
Der Endsieg des deutschen Eis fiel dennoch aus, nur wechselte man die | |
Importländer und bezog die Ware aus Westeuropa und Bulgarien. Für jüdische | |
Eierhändler blieb kein Platz mehr, schreibt Karolin Steinke. | |
Wie ihre Kollegen wurden die Simons nun auf dem Neuköllner Wochenmarkt | |
boykottiert. Die jüdischen Händler mussten bald ihre Geschäfte verkaufen. | |
1936 wird das Eiergeschäft von Simon Adler zum letzten Mal erwähnt. Im | |
selben Jahr veröffentlichte das Nazi-Blatt Der Angriff einen Artikel mit | |
dem Titel "Wieder arische Ostereier". | |
Ein Teil der Familie gelang die Emigration. Der Sohn Erich Adler schrieb | |
seinem Vater Simon, er möge doch nach Palästina nachkommen und sich in | |
Ramot Haschavim niederlassen. Dort, nicht weit von Tel Aviv entfernt, | |
entstand ab 1933 ein Dorf für ältere deutsche Einwanderer aus dem | |
Mittelstand. | |
Die dort ansässigen Rechtsanwälte, Unternehmer und Beamte mussten beruflich | |
umsatteln - sie bauten Hühnerställe in ihren Gärten und wurden | |
"Eierjeckes". Der letzte Nachkomme dieser Eiergenossenschaft ist erst vor | |
ein paar Jahren in Pension gegangen. | |
## Rachel und Simon Adler wurden ermordet | |
Doch Rachel und Simon Adlers Weg führte nicht nach Ramot Haschavim, sondern | |
in den Berliner Untergrund. Als die Nazis im Februar 1943 die letzten in | |
der Stadt verbliebenen Juden in die Vernichtungslager im Osten | |
deportierten, wagte das schon ältere Ehepaar den Schritt in die | |
Illegalität. | |
Über ein Jahr lang halten sie sich bei Freunden und Bekannten verborgen. | |
Doch im April 1944 verhaften Gestapo-Spitzel beide. Am 3. Mai 1944 wurden | |
Rachel und Simon Adler mit dem 52. Osttransport nach Auschwitz deportiert | |
und dort ermordet. | |
In der Neuköllner Friedelstraße 47 aber, dort, wo Rachel und Simon Adler | |
1909 ihr erstes Eiergeschäft einrichteten, bilden die Fenster des | |
Erdgeschosses bis heute eine ungewöhnliche, eiförmige Rundung nach oben, | |
während sie nach unten wie in einem Eierbecher zu sitzen scheinen. | |
22 Nov 2011 | |
## AUTOREN | |
Klaus Hillenbrand | |
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