# taz.de -- Montagsinterview mit Jazzlegende Ruth Hohmann: "Meine Band hat mir … | |
> Ruth Hohmann war die erste Jazzsängerin der DDR - und lange die einzige. | |
> Gerade hat die 80-Jährige fünfzigstes Bühnenjubiläum gefeiert. | |
Bild: Ruth Hohmann am weißen Flügel in ihrer Wohnung. | |
taz: Frau Hohmann, Sie stehen seit 50 Jahren auf der Bühne … | |
Ruth Hohmann: Da muss ich Sie gleich unterbrechen. Eigentlich bin ich seit | |
65 Jahren auf der Bühne. In Eisenach habe ich in meiner Schulzeit Ballett | |
gemacht und ab 1946 kleine Rollen gespielt. Aber 50 Jahre, das stimmt auch, | |
das ist mein Jazz-Jubiläum. | |
50 oder 65, es ist auf jeden Fall eine lange Zeit. Haben Sie nicht langsam | |
genug davon? | |
Das Einzige, was anstrengend ist, sind diese Jazz-Frühschoppen. Man muss so | |
früh aufstehen. Und nach 15 oder 20 Liedern bin ich so müde, da möchte ich | |
mich am liebsten wieder hinlegen. Am Abend ist das ganz anders: Da will ich | |
nach zwei Stunden Auftritt noch lange nicht ins Bett, da mache ich gern | |
noch ein Schwätzchen an der Bar. | |
Im Sommer sind Sie 80 Jahre alt geworden. | |
Ja, aber manchmal fühle ich mich wie 40. Manchmal aber, muss ich zugeben, | |
auch wie 100. | |
Auf der Bühne sind Sie aber immer 40? | |
Auch nicht immer. Es kommt schon mal vor, das ich nicht so motiviert bin - | |
aber dann geben die Leute einem eine Standing Ovation und wollen eine | |
Zugabe nach der anderen. Man wirft sich dem Publikum jedes Mal zum Fraß | |
vor: Mal wird man gegessen, mal gefressen, mal verspeist. | |
Und Ihre Stimme altert nicht? | |
Ich weiß: In diesem Alter noch so eine Musik singen zu können, ist eine | |
Gnade. Aber natürlich wird die Stimme tiefer. Früher kam ich einen Ton | |
übers dreigestrichene C, also zu D3. Heute reicht es vielleicht noch bis | |
G2, fast eine Quinte weniger. Dafür habe ich unten gewonnen, womit der | |
Stimmumfang fast gleich geblieben ist, etwa drei Oktaven. | |
Die Modulationsfähigkeit bleibt also erhalten? | |
Man muss natürlich üben. Aber wenn man seine Stimme nicht falsch benutzt, | |
kann da nicht viel passieren. Ohne Einsingen gehe nie auf die Bühne. Ich | |
singe mich ein wie eine Operetten-Soubrette - ganz oben, damit die | |
Stimmlippen richtig in Gang kommen, der Kehlkopf warm wird. Ich vergleiche | |
das immer mit einem Gewichtheber: Wenn der ohne Aufwärmen das Gewicht | |
stemmen will, ist - zack - irgendwas gerissen. Und man hat ja nur eine | |
Stimme. Wie dieser Rocksänger, wie heißt der noch? | |
Wen meinen Sie? | |
Den, der immer diese Gänsebraten-Veranstaltungen macht. | |
Frank Zander? | |
Genau. | |
Rocksänger ist der nicht gerade. | |
Aber den meine ich. Der hat mal erzählt, dass er eines Tages falsch | |
gesungen und geschrien hat, und schon war seine Stimme kaputt. Das geht | |
schnell, dass da was reißt oder Knötchen entstehen und die Stimme nicht | |
mehr richtig blühen kann. Dabei habe ich ja nicht einmal eine richtige | |
Jazz-Stimme wie meine schwarze Freundin Jacqueline Boulanger oder die Uschi | |
Brüning. Das sind Stimmen, da hat man Angst, dass was kaputtgehen könnte, | |
aber dann bringen sie den Ton raus. Ich habe eine ganz normale Stimme, die | |
ich erst mit der Musik in Gang bringe. | |
Wie lange möchten Sie denn noch singen? | |
(muss lachen) Gute Frage. Ich hatte mich ja schon fast verabschiedet. Die | |
Falten im Gesicht werden auch nicht besser. Aber meine Band wollte das | |
nicht hören, das Jazz Kollegium Berlin, dem ich seit 1974 angehöre. Du | |
singst doch nicht mit den Falten, haben sie gesagt. Keine Ahnung, wann ich | |
aufhöre, aber bisher wird es mir von der Band noch verboten. Und so werde | |
ich weiter Frühschoppen und Konzerte bestreiten. | |
Brauchen Sie die Bühne? | |
Ich bin sehr gerne auf der Bühne. Aber ob ich es brauche? (überlegt) | |
Andererseits, nach zehn Tage ohne Veranstaltung frage ich mich schon, ob | |
ich mich für einen Spanisch-, Italienisch- oder Russischkurs anmelden | |
sollte. | |
Hält Singen jung? | |
Es wird mir jedenfalls immer wieder gesagt. Kopf, Hals, Oberkörper, der | |
ganze Körper singt ja mit. Das ist sicher gut für den Kreislauf. Außerdem | |
mache ich täglich Gymnastik. Letztens hat mir jemand erzählt: Nur das | |
Äußere verändert sich, innen drin bleibt man immer gleich. Die musste es | |
wissen, die war 92. | |
Können Sies bestätigen? | |
Ich hoffe mal, dass das stimmt. Ich weiß nicht, ob ich alles richtig | |
gemacht habe in meinem Leben, aber ich kann sagen: Ich bin nicht | |
unglücklich. Die Musik trägt natürlich zu so einem Glücksgefühl bei, wenn | |
einen das Publikum liebt. Die Leute sind so rührend, dass man heulen | |
könnte. All das habe ich dem Jazz zu verdanken. | |
Wie kamen Sie zum Jazz? | |
Ich saß 1945 im Herrenzimmer meines Vaters und drehte am Radio. Und | |
zwischen Schlagern und Tanzmusik stieß ich auf AFN und diese herrliche | |
Musik. Ich war sofort fasziniert. | |
Nicht schockiert? Das waren ja für die damalige Zeit vergleichsweise wilde | |
Klänge. | |
Seltsamerweise nicht. Der Jazz war sofort wie ein Zuhause. Von da an bin | |
ich jeden Freitag zur Tante, zu Hause durfte ich nicht Radio hören, wenn | |
mein Vater da war. Ich habe mir die Texte rausgehört und auf dem Klavier | |
die Harmonien zusammengesucht. Noten hatte ich ja keine. Aber das hat mein | |
Gehör geschult. | |
Trotzdem dauerte es noch mal 16 Jahre, bis Sie auf einer Bühne Jazz | |
gesungen haben. Warum? | |
Na ja, erst mal habe ich am Konservatorium in Erfurt Schauspiel studiert, | |
dann geheiratet und die Kinder gekriegt. Dann erst habe ich gesagt: Jetzt | |
will ich auch etwas machen. Eigentlich wollte ich zum Kabarett, aber für | |
Anfänger war da in Berlin nichts zu machen. Also habe ich mich auf den | |
Gesang konzentriert. | |
Können Sie sich noch an Ihren ersten Auftritt erinnern? Am 12. November | |
1961, mit den Jazz-Optimisten und Manfred Krug. | |
Ja, ganz genau. | |
Wie war die Stimmung? | |
Das Publikum war toll. | |
Drei Monate zuvor war die Mauer gebaut worden. | |
Davon hat man an diesem Abend nichts gemerkt. Aber man muss auch sagen: Zum | |
Jazz gehört Interesse und ein Vermögen zuzuhören. Die meisten, die zu uns | |
kamen, waren geschulte Zuhörer. Die waren vorher in den Clubs in Westberlin | |
gewesen. | |
Sie haben also, wenn man so will, vom Mauerbau profitiert? | |
Das möchte ich natürlich nicht so sehen. Aber es stimmt schon, die Leute, | |
die früher rübergegangen sind, kamen dann in unsere Konzerte. Wir bekamen | |
jedenfalls unsere Auftritte, es gab viele andere Gruppen, auch der moderne | |
Jazz etablierte sich. | |
Gab es Widerstände? | |
Immer mal wieder. Vor allem die englischen Texte störten die Offiziellen. | |
Als wir 1962 die ersten Rundfunkaufnahmen gemacht hatten, rief mich ein | |
Redakteur an, den Namen weiß ich noch. Der sagte: Wir können Ihre Lieder | |
leider nicht senden, weil das die Sprache McCarthys ist. | |
Was haben Sie ihm darauf geantwortet? | |
Wenn das so ist, habe ich gesagt, dann spreche ich ab jetzt kein Deutsch | |
mehr, das ist ja die Sprache von Franz Josef Strauß. | |
Es gab aber auch Versuche der DDR-Kulturpolitik, den Jazz als Musik der | |
unterdrückten Afroamerikaner zu vereinnahmen. | |
Ja, auch. Da hieß es dann über mich: Junge Frau erschließt Gesänge der | |
Sklaven. Aber das war nur halbherzig: Ich hatte auch nur ein paar | |
Fernsehauftritte damals, aus einer Sendung wurde ich wieder gestrichen. | |
Warum das? | |
Na, wieder wegen dem Englisch. Immer wegen dem Englisch. Wir haben | |
gewitzelt: Der Ulbricht kann kein Englisch, dann will er das auch nicht | |
hören. | |
Außerdem gab es damals schon die 60/40-Regel, oder? | |
Ja, natürlich. Alle durften höchstens 40 Prozent ausländische Stücke | |
spielen. | |
Aber Ihr Repertoire bestand vor allem aus Jazz-Standards. | |
Man hat halt geschummelt und nicht alles aufgeschrieben. Und wir spielten | |
viele Spirituals, die kosteten als Traditionals keine Tantiemen in Devisen. | |
Haben Sie deshalb für Klassiker wie "Sweet Georgia Brown" deutsche Texte | |
geschrieben? | |
Ja, das war auch ein Grund. Und es waren lustige Texte, das Publikum hat | |
das geliebt. Das waren sozusagen zwei Fliegen mit einer Klappe. Aber um die | |
60/40-Regel einzuhalten, war der Scat wichtiger. Wir haben einfach einen | |
traditionellen Blues gespielt, über den ich gescattet habe. | |
Für dieses improvisierte lautmalerische Singen wurden Sie berühmt. | |
Verdanken Sie den Ehrentitel "First Lady of Jazz" also auch der | |
DDR-Kulturpolitik? | |
(lacht) So habe ich es noch nie gesehen. Aber war ich wirklich so berühmt? | |
Für uns gab es lange nicht so viele Veranstaltungen wie für die | |
Schlagersänger, das war finanziell eine ganz andere Liga. Aber es hat sich | |
gut entwickelt, wir hatten unsere Konzerte. Jedenfalls bis zum 11. Plenum. | |
Auf dem beschloss das Zentralkomitee der SED im Dezember 1965 den | |
berüchtigten "Bitterfelder Weg" und läutete eine kulturelle Eiszeit ein. | |
Das war ein Schnitt. Zack. Eine Aktion allererster Güte. | |
Sie bekamen Auftrittsverbot. | |
Ausgesprochen wurde das nie. Jazz war offiziell nicht verboten. Aber von | |
heute auf morgen wurden alle vereinbarten Auftritte mit den | |
fadenscheinigsten Begründungen abgesagt. Mal war angeblich die Bühne | |
kaputt, mal war es was anderes. Von da an haben wir keine Veranstaltungen | |
mehr gekriegt. Alles ging den Bach runter. Auch eine Oper, in der ich die | |
Hauptrolle gesungen habe, wurde verboten. Wir hatten das fürs Fernsehen | |
gedreht, ich habe noch die Kassette hier, aber es wurde nie gesendet. | |
Warum sind Sie nicht auf Schlager umgestiegen? | |
Dazu hatte ich keine Lust. Ich wollte unbedingt Jazz singen. Wenn ich | |
später mit Biermann aufgetreten bin, habe ich auch mal Chansons gesungen. | |
Aber ich wollte nicht auf der Bühne stehen und in die Luft zeigen, wenn der | |
Mond im Text vorkommt. Auch vom Gesang her ist das eine andere Technik. Ich | |
glaube, man muss sich auf eine Sache konzentrieren, um gültig zu sein. | |
1972 wurde Ulbricht als Staatsratsvorsitzender gestürzt, sein Nachfolger | |
Erich Honecker beendete die Eiszeit. Sie konnten wieder auftreten. Was | |
haben Sie in der Zwischenzeit gemacht? | |
Ja, was hab ich gemacht? Ich bin zur Volkshochschule gegangen, hab mein | |
Französisch-Abitur nachgeholt, einen Englisch-Konversationskurs gemacht. | |
Und ich habe meine Kinder erzogen. | |
Wovon haben Sie gelebt? | |
Von der Hand in den Mund. Mein Mann, Heinz Hofmann, hatte als Filmkritiker | |
auch nichts zu tun. Es war schwierig, aber mehr will ich darüber nicht | |
erzählen. Irgendwann hat mich Erich ja wieder singen lassen. | |
Es kamen wieder Anrufe? | |
Genau, plötzlich gab es wieder Konzerte. Und 1976 dann engagierte mich die | |
Hochschule "Hanns Eisler". | |
Als Dozentin für den Bereich Jazz-Gesang und Chanson. | |
Ja. Das war das Jahr, in dem Wolf Biermann ausgebürgert wurde. | |
Hat Sie das betroffen? | |
Nicht direkt. Ich fand das nicht in Ordnung. Dass man Biermann ausgesperrt | |
hat, war ganz großer Mist. Aber dass er da drüben über das, was hier war, | |
so geschimpft hat, war nicht allzu klug von ihm. | |
Ein Jahr später ging Manfred Krug. Mit ihm standen Sie zuvor regelmäßig auf | |
der Bühne. | |
Wir waren Kollegen, keine engen Freunde. | |
Aber es sind sicher auch Freunde von Ihnen gegangen. | |
Nein, eigentlich nicht. Von den Musikern sind nicht so viele gegangen. | |
Freischaffenden Musikern ging es nicht so schlecht in der DDR, finanziell | |
sogar besser als im Westen. Es gab so viele Auftrittsmöglichkeiten, | |
Kulturhäuser, Fernsehsendungen. Diese Wohnung hier konnte ich von der Gage | |
für einen Auftritt drei Monate bezahlen. Heute müsste ich zehn Frühschoppen | |
spielen, um eine Monatsmiete zu zahlen. | |
Haben Sie damals nie darüber nachgedacht, auch zu gehen? | |
Damals nicht. Zwanzig Jahre vorher, bei Ungarn 1956, da haben wir drüber | |
nachgedacht. Aber man hat sich dann schon gefragt: Was mach ich denn da? | |
Ich hatte doch zwei Kinder. Sollte ich mich bei den Verwandten im Westen | |
einquartieren? Die hätten sich bedankt. Die meisten, die nicht aus | |
politischen Gründen gegangen sind, haben doch gedacht, sie leben dann im | |
Intershop. Ich war da realistischer. | |
Sie haben weiter unterrichtet. | |
Zwanzig Jahre war ich Bereichsleiterin, das hat viel Spaß gemacht. Als | |
Lehrender bleibt man doch auch ewig ein Lernender. | |
Ihr bekanntester Schüler war André Herzberg, der als Sänger von Pankow | |
einer der größten Rockstars der DDR wurde. | |
Ja, der André hat mir gut gefallen mit seiner kratzigen Stimme und seiner | |
legeren Art. | |
Herzberg hat einmal gesagt, Sie und Alfons Wonneberg, der Leiter der | |
Abteilung Tanzmusik, hätten an der Hochschule eine Nische gebaut, in der | |
sich Leute wie er verkriechen konnten. | |
Sicher, jemand wie Herzberg an die Hochschule zu lassen, das mussten wir | |
durchsetzen. Das sind die neuen jungen Leute, haben wir gesagt, die | |
brauchen auch eine Ausbildung. Aber ich will das nicht überbetonen. Wir | |
hatten es schwer, wir hatten es auch sehr schön, aber es war nichts | |
Besonderes. Wir haben einfach versucht, mit den Problemen fertig zu werden. | |
Herzberg hat über Sie gesagt: "Sie hasst bis heute Stargehabe, vielleicht | |
ist sie auch deshalb nie einer geworden." | |
Das kann schon sein. Natürlich gucke ich auch mal ins Internet und lese, | |
wenn jemand was Nettes über einen Auftritt von mir geschrieben hat. Da | |
freue ich mich. Aber dass man es darauf anlegt, was Besonderes zu sein, | |
finde ich schrecklich. So wollte ich nie sein. Ich habe auch Background | |
gesungen für André. | |
Wirklich? | |
Ja, vor 20 Jahren. Da suchte er für eine Tournee Background-Sängerinnen. | |
Die, die er wollte, konnten aber nicht, und er fragte mich, ob ich welche | |
weiß. Die ich ihm vorgeschlagen habe, passten ihm aber alle nicht. Da hab | |
ich am Ende gesagt: Nehmen Sie auch mit mir vorlieb? Er lachte nur. Eine | |
Stunde später rief er aber noch mal an und fragte: War das ernst gemeint? | |
Und ich: Warum nicht? Also sind Gerti Möller, eine Schlagersängerin, und | |
ich mit André Herzberg auf Tournee gegangen. | |
Doch noch mal Sex & Drugs & Rock n Roll auf die alten Tage? | |
(lacht) Ja, genaugenaugenau. Wenn André "I Cant Get No Satisfaction" | |
gesungen hat, haben im Hintergrund die Gerti und ich die Beine geschmissen. | |
Wir hatten ganz großen Spaß. | |
28 Nov 2011 | |
## AUTOREN | |
Thomas Winkler | |
Thomas Winkler | |
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