Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Roadmovie nach Absurdistan: Eine Leiche namens Yulia
> Der israelische Filmemacher Eran Riklis schickt in seinem Film "Die Reise
> des Personalmanagers" einen Mann mit einer Leiche im Gepäck auf eine
> skurrile Reise.
Bild: Wo es so kalt ist, dass die Sieger den Verlierern das Land überließen: …
Ein Sarg ist sperriges Gepäck. Nicht nur wegen der unhandlichen äußeren
Gestalt, die in keinem Kofferraum Platz findet und außerdem danach ruft,
von einem Kollektiv getragen zu werden. Sondern mehr noch wegen seines
Inhalts, meistens einem Leichnam. Für deren Transport existieren eine
Vielzahl an Regeln, die meisten davon auf jenen unsteten Boden gegründet,
den man kulturelle Tradition nennt.
Mit beidem, der Bürde des Kastens und der Last der Pietät, bekommt es der
titelgebende Personalmanager in Eran Riklis' neuem Film zu tun, der selbst
Schachtelform besitzt: In der Hülle eines launigen Roadmovie verbirgt sich
ein metaphorisch aufgeladener Kern, der gleichermaßen irritiert wie
bereichert.
Der israelische Regisseur Riklis hat sich einen Namen gemacht mit Filmen,
die den Blick aus der eigenen Kultur heraus in die nächste Nachbarschaft
wagten, wie den Drusen auf den abgeschotteten Golanhöhen in "Die syrische
Braut" und den Palästinensern in "Lemon Tree".
Das Land, in dem sein neuer Film spielt, ist fiktiv, seine Rolle wird von
Rumänien gespielt. Im Dialog heißt es, es sei "weder Ost noch West". Das
zeitgenössische Auge aber erkennt zweifelsfrei, was gemeint ist: eine jener
postsozialistischen Brachen, die die Sieger des Kalten Krieges allein schon
aus Klimagründen - sibirische Kälte! - den Verlierern überlassen haben und
in dem es außer Korruption, Kriminalität und Kfz-Schrott nicht viel von
Interesse gibt.
In dieses Land, wie gesagt mehr eine Metapher als eine Realität, reist
niemand freiwillig. Entsprechend kompliziert ist die Vorgeschichte in
Riklis' Film. Es gab ein Attentat in Jerusalem, unter den Opfern ist eine
Frau aus jenem namenlosen Land. Ein Reporter nimmt die Geschichte auf und
klagt die Großbäckerei an, deren Gehaltscheck man bei der Frau fand. Der
Personalmanager der Bäckerei versucht, den Imageschaden abzuwenden.
Gerade als er glaubt, die Negativschlagzeile verhindert zu haben, macht ihm
seine eigene Chefin, genannt "die Witwe", einen Strich durch die Rechnung.
Aus dem Gefühl heraus, nicht genug getan zu haben für die christliche
Immigrantin, erteilt sie dem Personalmanager den Auftrag, die Leiche in
ihre Heimat zu begleiten und dort für ein würdiges Begräbnis im Kreise
ihrer Lieben zu sorgen.
So bricht er also auf, der Personalmanager, dessen Namen wir nie erfahren -
genauso wenig wie den aller anderen lebenden Personen. Einzig von der
Leiche weiß man, dass sie Julia heißt. Der Reporter, nur "das Wiesel"
genannt, weicht nicht von seiner Seite.
Skurrile Gestalten pflastern fürderhin ihren Weg: eine plappernde Konsulin,
ihr keiner Fremdsprache mächtiger Liebhaber, der verbitterte geschiedene
Exmann Julias, ihr delinquenter 14-jähriger Sohn, den man im Sperrgebiet
einer Industrieruine gleichsam wie ein wildes Tier erst einfangen muss,
bevor man ihm vom Tod seiner Mutter und ihrer unvermuteten Heimkehr im Sarg
erzählen kann.
## Der Humor des Zuschauers
Natürlich müssen vor der geplanten Bestattung allerlei bürokratische und
andere Hindernisse überwunden werden. Der Personalmanager versucht es mit
Großzügigkeit, mit Demut, mit Aggression und mit Gewitztheit und scheitert
doch kläglich am selbst gesetzten Ziel, nach zwei Tagen wieder zuhause in
Israel zu sein.
Statt dessen führt ihn sein Auftrag immer tiefer in ein Land hinein, das
ihn gar nicht interessiert, das ihm zuletzt aber sogar einen Panzer zur
Verfügung stellt.
Einerseits glaubt man, das alles aus vielen Filmen der letzten 20 Jahre nur
zu gut zu kennen: Die Abenteuer in Absurdistan, gezeigt in langen,
wortlosen Einstellungen, in denen der Humor des Zuschauer die Lücken des
Dialogs auffüllen darf.
"Die Reise des Perosnalmanagers" ginge als eher belangloses Vergnügen
durch, gäbe es da nicht die bereits angesprochene zweite Ebene, die das
Ganze als Metapher lesbar macht. Jenseits der Oberflächenwitze über
sensationslüsterne Reporter und postsozialistische Verwahrlosung deutet
sich eine bewegende Geschichte darüber an, wohin man gehört, tot oder
lebendig, und was man tun kann für andere, ohne sich selbst dabei zu
verlieren.
29 Nov 2011
## AUTOREN
Barbara Schweizerhof
## TAGS
Hamburg
## ARTIKEL ZUM THEMA
Spionagethriller „Aus nächster Distanz“: Paranoia im Safe-House
Der israelische Regisseur Eran Riklis hat sein sensibles
Agentinnen-Kammerspiel „Aus nächster Distanz“ zu großen Teilen in Hamburg
gedreht.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.