# taz.de -- Biografie zu Künsthändler Alfred Flechtheim: Wahnsinniges mit Kun… | |
> Alfred Flechtheim war der einflussreichste deutsche Kunsthändler der | |
> 1920er Jahre. Jetzt erinnert endlich eine detaillierte Biografie an den | |
> Galeristen der Avantgarde. | |
Bild: Schillernde Persönlichkeit: "Portrait Alfred Flechtheim" von Louis Marco… | |
Die Party anlässlich seines 50. Geburtstags war nicht nur für die Berliner | |
Kunstszene ein gesellschaftliches Ereignis ersten Ranges. Als der Galerist | |
Alfred Flechtheim sich am 31. März 1928 im Hotel Kaiserhof feiern ließ, | |
erschienen so unterschiedliche Gäste wie die Schauspielerin Tilla Durieux, | |
der Dichter Gottfried Benn, der Verleger Hermann Ullstein und der Boxer Max | |
Schmeling. "Wenn ich Maler wäre", schwärmte Schmeling, "möchte ich in | |
Flechtheims Stall sein." | |
Nur fünfeinhalb Jahre später saß Flechtheim mittellos und deprimiert in | |
Paris. Nationalsozialistische Kunstfunktionäre hatten seine Arbeit als | |
"freche jüdisch-negerische Besudelung der deutschen Volksseele" attackiert. | |
Ein halbes Jahr nach Hitlers Machtübernahme war er aus Deutschland | |
geflüchtet. | |
Mitte März 1937 versammelte sich auf dem Friedhof von Golders Green im | |
Nordwesten Londons eine überschaubare Trauergemeinde. Flechtheims Gattin | |
Betti stand mit den wenigen Londoner Verwandten und Freunden auf dem | |
jüdischen Friedhof, um ihrem Mann die letzte Ehre zu erweisen. Flechtheim | |
war in der britischen Hauptstadt auf Glatteis gestürzt und hatte sich an | |
einem rostigen Nagel seines Hospitalbettes eine Blutvergiftung zugezogen. | |
Ein Bein musste ihm amputiert werden. Er starb am 11. März 1937 "in utmost | |
misery and pain and despair", in äußerstem Elend und Schmerz und Gram. | |
## | |
Alfred Flechtheim war, zumindest seit dem Tod von Paul Cassirer Anfang | |
1926, Deutschlands einflussreichster Kunsthändler. Er brachte Werke von | |
Picasso, Cézanne und Matisse ins Land, förderte Künstler der deutschen | |
Avantgarde wie Max Beckmann und Paul Klee. Doch nach seinem Tod im Londoner | |
Exil verloren sich seine Spuren schnell. Die ihm verbliebenen Bilder seiner | |
wertvollen Kunstsammlung zerstreute der Krieg in alle Winde. Der große | |
Kunsthändler geriet in Vergessenheit. | |
Es ist den üppigen deutschen Beamtenpensionen zu verdanken, dass Alfred | |
Flechtheim nun endlich mit einer ausführlichen Biografie gewürdigt wird. | |
Ottfried Dascher, der 2001 als Leiter des Nordrhein-Westfälischen | |
Hauptstaatsarchivs in den Ruhestand trat, hat seitdem über Flechtheim | |
recherchiert. "Recherchieren" ist fast Understatement. Dascher suchte an | |
die 30 Archive in etlichen Staaten auf. Immer wieder wurde sein Buch | |
angekündigt, immer wieder verzögerte sich das Erscheinen. Seit November | |
findet sich das 512 Seiten starke Werk in guten Buchläden. Dem Druckwerk | |
liegt eine DVD mit sämtlichen Ausstellungskatalogen Flechtheims bei. | |
Dascher beschreibt Flechtheim als einen der Kunst verfallenen Mann. "Es ist | |
etwas Wahnsinniges mit der Kunst", notierte Flechtheim 1913, im Alter von | |
35 Jahren, in seinem Tagebuch. "Mich hat sie gepackt, die Kunst." | |
Flechtheim verfügte über das Selbstbewusstsein eines jungen Mannes, vor dem | |
- Gnade der Geburt - ein Leben in Wohlstand lag. Der Vater war ein großer | |
Getreidehändler in Münster. Der Sohn wurde dort vom Gymnasium verwiesen und | |
besuchte dann eine Privatschule in der Schweiz. Er lernte den | |
Getreidehandel in Paris, arbeitete anschließend in London und Odessa. | |
Flechtheim fühlte sich mehr zu Männern hingezogen als zu Frauen. Um die | |
Gerüchte über die Homosexualität ihres Sohnes zum Verstummen zu bekommen, | |
arrangierten die Eltern eine Ehe. Im September 1910 heiratete Flechtheim | |
Betti Goldschmidt, deren Familie dank Immobilienbesitzes zu den reichsten | |
jüdischen Familien in Dortmund gehörte. Einen Teil der formidablen Mitgift | |
legte Flechtheim bei der Hochzeitsreise nach Paris in kubistischer Kunst an | |
- zum Entsetzen der Schwiegereltern, die sofort eine Gütertrennung | |
durchsetzten. | |
Aufsehen erregte Flechtheim zusammen mit der Künstlervereinigung | |
"Sonderbund", die zunächst in Düsseldorf, 1912 dann in Köln Ausstellungen | |
aktueller Kunst organisierte, mit Bildern von van Gogh, Cézanne, Munch, | |
Picasso und anderen. Doch selbst der Rezensent des liberalen Berliner | |
Tageblatts mokierte sich darüber, dass er auf einem kubistischen Bild | |
Picassos "nichts anderes sah als lauter viereckige Flecke". | |
## | |
Nachdem im Sommer 1913 der väterliche Getreidehandel nur mit Mühe vor dem | |
Konkurs gerettet werden konnte, ließ die Familie den kunstbegeisterten | |
Juniorchef ziehen. Im Dezember 1913 eröffnete er in Düsseldorf eine | |
Galerie, in deren erstem Katalog er schrieb: "Endlich bin ich in der Lage, | |
mir einen lang gehegten Wunsch zu erfüllen: mich nur mehr mit Dingen der | |
Kunst zu beschäftigen." | |
Nur ein halbes Jahr später beschäftigte sich Flechtheim mit dem Krieg und | |
diente im Westfälischen Ulanenregiment, allerdings in der Etappe. Seine | |
Galerie brach zusammen, er musste in Berlin die Bestände versteigern | |
lassen. Doch Ostern 1919 eröffnete er seine Düsseldorfer Galerie erneut, | |
nun in der noblen Königsallee. Bald vertrat er Paul Klee. Und es packte ihn | |
"der Verlegerrappel", wie er sich später erinnerte, er gab Grafikeditionen | |
und Bücher heraus. | |
Im Januar 1921 publizierte Flechtheim erstmals die Zeitschrift Querschnitt, | |
die mit snobistischem Gestus über Kunst, Sport und Tanz berichtete. Nach | |
den ersten sechs Ausgaben schrieb Flechtheim: "Inständige Bitten | |
verständiger Leser des Querschnitt veranlassen uns, den Querschnitt weiter | |
herauszugeben; wir tun es ungern, da er uns Zeit und Geld kostet. Er wird | |
unregelmäßig erscheinen und nur dann, wenn etwas zu sagen ist." Meist war | |
etwas zu sagen. | |
Im Oktober 1921 eröffnete Flechtheim eine Galerie in Berlin am Lützowufer | |
13. In der Reichshauptstadt war er in seinem Element und lud zu | |
ausgelassenen Kostümbällen ein. Und immer wieder organisierte Flechtheim | |
großartige Ausstellungen in seiner Galerie. | |
## Bevorzugte Hassfigur | |
Ein Journalist beschrieb ihn allerdings als "Kotzbrocken". Auf jeden Fall | |
nahm er kein Blatt vor den Mund und nannte Otto Dix einen "Fotzenmaler". | |
Der zahlte es ihm mit einem Porträt heim, das Flechtheim als kalten und | |
besitzergreifenden Mann zeigt. Doch ihm ging es mehr um die Kunst als um | |
Geld. Er hatte seine Schulden noch nicht abgezahlt, da brachte die | |
Weltwirtschaftskrise auch den Kunsthandel an den Rand des Zusammenbruchs. | |
Gleichzeitig war Flechtheim für die aufstrebenden Nazis eine bevorzugte | |
Hassfigur. Im Dezember 1932 bebilderte das NSDAP-Magazin Illustrierter | |
Beobachter einen Artikel über "die Rassenfrage" mit seinem Porträt. Im März | |
1933 erzwangen SA-Männer in Düsseldorf den Abbruch einer Auktion, an der | |
Flechtheim beteiligt war. | |
"Ich muss hier fort", schrieb der Galerist im September 1933 in einem Brief | |
an eine Verwandte. Ein Liquidator wickelte seine Berliner Filiale ab. Die | |
Düsseldorfer Galerie übernahm sein Geschäftsführer Alex Vömel, ein | |
reinrassiger Arier. Um Schulden zu begleichen, verpfändete Vömel Kunstwerke | |
auch aus der Privatsammlung Flechtheims und begann, Plastiken zu verkaufen. | |
Gegenüber Vömel, der von Flechtheims Verfolgung profitierte, ist Biograf | |
Dascher unverständlich nachsichtig. Es sei "schwer zu beurteilen", ob es | |
sich bei der Übernahme der Galerie um eine "Arisierung" handele, schreibt | |
Dascher - und teilt der Leserschaft nicht mit, dass Vömel Mitglied der | |
NSDAP und SA war. | |
Das zweite Manko der ansonsten höchst verdienstvollen Biografie ist der | |
Verzicht darauf, die schillernde Persönlichkeit Flechtheims psychologisch | |
zu analysieren und die Beziehung zu seiner Frau zu ergründen. Es ist eben | |
eine deutsche Biografie, nicht eine britische oder amerikanische, bei der | |
das Persönliche einen höheren Stellenwert hätte. | |
Nach Flechtheims Tod in London kehrte seine Gattin Betti wieder nach Berlin | |
zurück. Als die Gestapo ihr im Dezember 1941 die "Entsiedelung" gen Osten | |
ankündigte, vergiftete sie sich. Die Kunstsammlung des Ehepaars Flechtheim | |
dürfte 60 bis 70 Gemälde umfasst haben, die heute viele Millionen wert | |
sind. Welche Bilder davon noch in Betti Flechtheims Wohnung hingen, als die | |
Gestapo sie versiegelte, weiß niemand. Zwei Erben verlangen die Rückgabe | |
von Gemälden, beispielsweise von fünf Beckmanns der Münchner Pinakothek. | |
Die Museumsbeamten stellen sich stur. | |
Aber das ist wieder eine andere Geschichte. | |
Ottfried Dascher: "Es ist was Wahnsinniges mit der Kunst. Alfred Flechtheim | |
- Sammler, Kunsthändler, Verleger". Nimbus Verlag, Wädenswil 2011, 39,80 | |
Euro | |
2 Dec 2011 | |
## AUTOREN | |
Michael Sontheimer | |
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