# taz.de -- Arbeiten für die Völkerverständigung: Die Oliven von Ni'lin | |
> Israelische Aktivisten helfen palästinensischen Bauern bei der Ernte. Die | |
> sind erstaunt, aber auch erfreut über ein Miteinander jenseits von | |
> Schikanen und Übergriffen. | |
Bild: Palästinenser und Israelis: erst gemeinsam Oliven ernten, dann zu Mittag… | |
WESTJORDANLAND taz | "Zusammenbleiben, nicht von der Gruppe entfernen und | |
keine Gewalt - auch nicht, wenn du angegriffen wirst." Natanya ist 73 und | |
so freundlich, die letzten Instruktionen des Rabbi an die zehn Insassen des | |
Aktivistenbusses vom Hebräischen ins Englische zu übersetzen. | |
Es ist acht Uhr morgens an einem Olivenbaumfeld im Westjordanland, nahe der | |
israelischen Mauer, einem Teil der 760 km langen Absperrung, die Israel vom | |
Westjordanland trennt. Nahe dem palästinensischen Ort Ni'lin, dessen Felder | |
durch die Absperrung abgetrennt wurden, und auch nahe der | |
jüdisch-orthodoxen Siedlung Modi'in Illit. | |
Linke Israelis und Friedensaktivisten unterstützen jedes Jahr Palästinenser | |
bei der Olivenernte, die nun für dieses Jahr vorüber ist. Die Aktivisten | |
kommen, um sich während der Ernte zwischen die Bauern und möglicherweise | |
gewalttätige Siedler zu stellen. Diese greifen die Palästinenser an, weil | |
sie ihnen jegliches Recht auf Boden in diesem Land absprechen. | |
Aber die Helfer sind schlicht auch dazu da, bei der Ernte mitzumachen und | |
den Palästinensern so ein Bild von einem anderen Israel als dem der | |
Besatzungsmacht zu vermitteln. | |
## Unorganisierte Israelis | |
Eigentlich wollten sich die israelischen Linken mit dem Bauern Hassan schon | |
vor einer Stunde an einem Tor in der Sperranlage treffen, die Hassans Haus | |
von seinem Grundstück und seinen Olivenbäumen trennt. "Wir Israelis sind | |
nun mal nicht sonderlich gut organisiert", sagt Natanya, als wir uns durch | |
das kniehohe Gestrüpp zu den Olivenbäumen schlagen. | |
Hassan und sieben seiner 12 Kinder sind bereits bei der Arbeit. Sie lachen | |
etwas ungläubig, als da tatsächlich eine Gruppe aus allen Ecken des Landes | |
angereister Israelis anrückt. Die palästinensische Familie kann jede | |
zusätzliche helfende Hand gut gebrauchen, denn die Mauer macht das | |
Bewirtschaften der Felder auf der anderen Seite der Grenze fast unmöglich. | |
Um in den Gebieten um die Anlage herum ernten zu dürfen, müssen | |
Palästinenser eine Erlaubnis beantragen und von Soldaten durch ein Tor | |
gelassen werden, selbst wenn die Grenze direkt durch ihre Ortschaft | |
verläuft; und wenn die Ernte für sieben Uhr in der Frühe anberaumt ist, | |
kommt manchmal erst um zwölf Uhr mittags jemand zum Tor. | |
Damit sind ein paar Stunden Arbeitszeit verloren - von meist ohnehin nur | |
vier Tagen, an denen geerntet werden darf. Geräte dürfen die Bauern auch | |
keine mit durch die Mauer nehmen, erklärt der Aktivist Michael aus Tel | |
Aviv, weshalb die Bäume und die Felder in einem üblen Zustand sind. Die | |
Äste können nicht beschnitten, das Gras kann nicht gemäht werden. | |
## Radikale Siedler | |
Michael arbeitet bei einer NGO, die sich für eine gerechtere Verteilung von | |
Wasser im Westjordanland einsetzt. Er sagt, es sei sehr wichtig, die Bauern | |
immer wieder zu motivieren, sich trotz der Schikanen nicht von der Ernte | |
abhalten zu lassen, denn: "Lassen sich die Bauern von diesen Restriktionen | |
entmutigen und bewirtschaften das Land längere Zeit nicht, geht es in die | |
Hände des Staates über." | |
Viele radikale Siedler im Westjordanland reklamieren es bereits jetzt als | |
ihr Eigentum. Immer wieder kommt es zu Schikanen, Vandalismus, mitunter | |
auch zu Gewalt. Häufig werden die Olivenbäume geplündert oder abgebrannt. | |
Viele der Aktivisten sprechen ein paar Worte Arabisch, es werden Namen | |
ausgetauscht und ein paar freundlich-interessierte Fragen gestellt: ob die | |
Familie schlechte Erfahrungen mit den Siedlern nebenan gemacht habe, warum | |
die Bäume so schlecht aussähen, wie lange sie am Tor hätten warten müssen. | |
Mit Händen und Füßen zeigt Hassan, dass sie noch nie angegriffen worden | |
seien, aber dass an einigen Bäumen keine Oliven mehr hingen und er die | |
Siedler in Verdacht habe, sich dort bedient zu haben: Die Siedlung Modi'in | |
Illit reicht direkt bis an die Bäume heran. | |
Die Arbeit geht schnell voran, Hassan steht auf einer Leiter und klopft auf | |
die Äste, einer der Söhne auf einen anderen, die Töchter stehen auf den | |
Ästen oder sitzen mit Natanya auf dem Boden und sortieren die Zweige und | |
Blätter aus den geernteten Oliven. Das macht auch Natanya: "Ich bin zwar | |
Zionistin und für einen jüdischen Staat, schließlich bin ich 1939 geboren - | |
aber dafür sollen diese Menschen doch nicht leiden müssen", sagt sie. | |
Seit Jahren ist Natanya Aktivistin und engagiert sich auch bei Machsom | |
Watch, einer Frauenorganisation, die Palästinenser an den Grenzübergängen | |
vor Schikanen zu schützen versucht. Rabbi Yehiel Grenimann von "Rabbiner | |
für Menschenrechte" organisiert die Aktivistenbusse zu den Olivenhainen und | |
glaubt, dass allein die Anwesenheit von vielen anderen die Soldaten zu | |
fairerem Verhalten veranlassen und die Siedler von Gewaltakten abhalten | |
kann. Aber eine langfristige Lösung? "Es wird alles immer | |
unwahrscheinlicher", sagt er. | |
## Wer alles lügt | |
Rachel und ihre Freundin Ricky aus Tel Aviv sind beide knapp über sechzig. | |
Seit sie nicht mehr arbeiten, kommen sie häufig nach Ni'lin. Gegen 12 Uhr | |
mittags kommen ein paar Frauen durch die Anlage und bringen Essen für die | |
Erntehelfer mit. Es wird eine große Decke unter einem Baum ausgebreitet, es | |
gibt Pitabrot, Hummus, Käse, Auberginen, hart gekochte Eier, Oliven | |
natürlich und viel Obst. Die Helfer werfen ihren Proviant ebenfalls in die | |
Runde. | |
Natanya hat Schokolade mitgebracht, die zum Großteil von Hassans Jüngstem | |
annektiert wird. Es ist eine entspannte Runde - behutsam, aber fröhlich. | |
Als Natanya scherzhaft zu den palästinensischen Männern sagt: "Ihr lügt | |
doch", sagen die prompt: "Nur Israelis lügen." Doch Natanya weiß es besser: | |
"Alle Männer lügen." | |
6 Dec 2011 | |
## AUTOREN | |
Julia Niemann | |
## TAGS | |
NGO | |
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