# taz.de -- Debatte Helmut Schmidt: Lust auf alte Männer | |
> Der moralische Leuchtturm unserer Nation vertritt die simple Ethik "Der | |
> Stärkere hat recht". Kenntnisse stehen Helmut Schmidt dabei nicht im Weg. | |
"Helmut Schmidt hat mehr recht als Gott", spöttelte kürzlich der | |
Witzeschreiber für Harald Schmidt, Ralf Husmann. Angesichts der | |
Huldigungen, die dem bald 93-Jährigen dieser Tage entgegengebracht werden, | |
muss man feststellen: Die Realität hat die Satire wieder mal rechts | |
überholt. | |
Schmidt befindet sich "Auf der Suche nach einer öffentlichen Moral", | |
liefert "Neue Beiträge zum Verständnis unserer Welt", um nur zwei Buchtitel | |
zu nennen. Unlängst agierte er als Königsmacher für seinen Zögling Peer | |
Steinbrück und mahnte auf dem Parteitag der SPD, das deutsche Herz für | |
Griechenland zu entdecken und aufzuhören, von der Eurokrise zu reden. Die | |
gebe es nämlich nicht. | |
Betrachtet man Schmidts politischen und publizistischen Werdegang genauer, | |
ist seine moralische Unangreifbarkeit befremdlich. Nein, hier sollen nicht | |
die bekannten Geschichten ausgegraben werden: Schmidt, der in den späten | |
1970er Jahren den sogenannten Nato-Doppelbeschluss - Aufrüstung mit neuen | |
Pershing-II-Raketen und Verhandlungsangebot an die UdSSR - maßgeblich | |
vorangetrieben hat; der ein entschiedener Befürworter der Atomkraft ist; | |
der Schröders "Agenda 2010" als nicht weitgehend genug kritisiert und die | |
"Zumutbarkeitskriterien für Arbeitslose" deutlich verschärft sehen will; | |
der Multikultur als "Illusion" betrachtet und sich vehement für die | |
"Nichteinmischung in innere Angelegenheiten" starkmacht. Das alles ist gut | |
dokumentiert. | |
Aber es gibt noch andere dunkle Kapitel seiner Karriere, und auch sie | |
machen es unbegreiflich, dass dieser "Altkanzler" als moralischer und | |
intellektueller Leuchtturm der Nation gilt. "Teflon-Reagan" nannte man | |
einst den Hollywood-erfahrenen US-Präsidenten, an dem kein Skandal haften | |
blieb; nicht einmal illegale Waffengeschäfte mit den iranischen Mullahs. | |
## "Teflon-Schmidt"? | |
Ähnliches lässt sich auch über Helmut Schmidt sagen. Als er Bundeskanzler | |
war, herrschten in Südamerika Militärdiktaturen, deren brutalste die | |
argentinische war. Ihr fielen auch etwa 100 deutsche Staatsbürger zum | |
Opfer, darunter die prominente Sozialarbeiterin Elisabeth Käsemann, Tochter | |
des Tübinger Theologieprofessors Ernst Käsemann. Während ebenfalls | |
gefangene französische Staatsbürger aufgrund massiver Interventionen aus | |
Paris wieder freigelassen wurden, rührte die Regierung Schmidt/Genscher | |
keinen Finger, und das, obwohl gerade im Falle Käsemann die Familie bald | |
von der Verhaftung erfahren und die Regierung um Unterstützung gebeten | |
hatte. | |
Da eine Intervention ausblieb, wurde Frau Käsemann nach brutaler Folter | |
durch vier Schüsse in den Rücken ermordet. Wird das Thema heute überhaupt | |
angesprochen, dann steht Genscher in der Kritik, doch bekanntlich leben wir | |
in einer Kanzlerdemokratie. Gerade Schmidt hat häufig genug gezeigt, wer | |
letztlich das Sagen hat. So hätte sein Machtwort die Diplomaten vor Ort | |
gewiss zu mehr Einsatz bewegt. Der Vater der Ermordeten resümierte bitter: | |
"Ein verkaufter Mercedes wiegt zweifellos mehr als ein Leben." | |
Es ist nicht bekannt, dass sich Helmut Schmidt jemals für dieses moralische | |
Versagen entschuldigt hätte - im Gegenteil, seine Position zu Unterdrückung | |
und Verfolgung hat sich bis heute nicht wesentlich verändert, von | |
"Altersrebellion" wie bei Jimmy Carter oder Heiner Geißler keine Spur. | |
Vor allem die Volksrepublik China freut sich über seinen entschiedenen | |
Einspruch gegen jede Form der "Einmischung in innere Angelegenheiten". Als | |
sich 2008 die Menschen in Tibet gegen die chinesische Herrschaft erhoben | |
und die Weltöffentlichkeit über die Brutalität der Sicherheitskräfte | |
schockiert war, hat niemand das chinesische Vorgehen so vehement verteidigt | |
wie Helmut Schmidt. Seine Ausführungen machten nicht nur deutlich, wie | |
wenig er von der tibetischen Geschichte versteht, sie waren auch so | |
abfällig, dass es bis zum Rassismus nur noch ein kleiner Schritt war. | |
## Von Altersrebellion keine Spur | |
In seinem Hausblatt Die Zeit vergleicht er 2008 das alte Tibet mit dem | |
heutigen Iran, was schon deshalb absurd ist, weil es im alten Tibet keine | |
zentrale Macht gab, die eine religiöse Diktatur hätte durchsetzen können. | |
Die verschiedenen buddhistischen Schulen mutieren zu "Sekten". Dagegen | |
haben die Kommunisten "moderne Technologie und Infrastruktur" nach Tibet | |
gebracht, "damit die Mönche heute per Handy und Internet mit der Außenwelt | |
verbunden sind". | |
Das ist zwar richtig, aber die Modernisierung ist nur ein Element der | |
chinesischen Politik. Nur sie in den Blick zu nehmen ist angesichts einer | |
in China allgegenwärtigen Internetpolizei, die jeden identifiziert und | |
verhaftet, der auf eine verbotene Homepage geht, eine mehr als zynische | |
Sicht. Und Helmut Schmidt geizt nicht mit Ratschlägen: "Unserer Regierung | |
ist Abstand und Respekt anzuraten - vor China und vor jeder Religion." | |
Aber nicht alle hören auf ihn. Ausgerechnet die Bundesregierung äußert sich | |
als einzige europäische Regierung zu den tragischen Selbstverbrennungen in | |
Tibet. Für sie sind sie "Ausdruck einer religiösen Verzweiflung und einer | |
anhaltend tiefen Unzufriedenheit in Teilen der tibetischen Bevölkerung mit | |
China". | |
Die Debatte über die "Einmischung in innere Angelegenheiten" ist auch an | |
Schmidt vorbeigegangen. Völkerrechtler verstehen darunter in erster Linie | |
ein "Interventionsverbot", sofern es nicht ausdrücklich von der UNO | |
gebilligt ist. Umstritten ist die Frage nach humanitären Interventionen wie | |
seinerzeit auf dem Balkan. Kritik an der Verletzung von Menschenrechten | |
wird aber allenfalls von den kritisierten totalitären Regierungen als | |
Einmischung zurückgewiesen - und eben von Helmut Schmidt. | |
Dabei sollte ein kluger Kopf die Doppelmoral dieser Argumentation | |
durchschauen: Gerade die VR China betreibt eine massive Einmischung in | |
innere Angelegenheiten wenn es ihren Interessen dient: in Nepal, Birma und | |
vielen afrikanischen Staaten. | |
Kurz und schlecht, Helmut Schmidts hochgelobte Ethik ist letztlich eine | |
simple Form des Machiavellismus, nach dem Motto, "Das Stärkere hat recht | |
und der Schwächere hat sich danach zu richten." | |
8 Dec 2011 | |
## AUTOREN | |
Klemens Ludwig | |
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