# taz.de -- Album von Amy Winehouse: Ihr Körper ist noch warm | |
> Mit "Lioness: Hidden Treasures" erscheint das erste, postume Album von | |
> Amy Winehouse. Angeblich ist es ihrem musikalischem Erbe angemessen. | |
Bild: Amy Winehouse starb im Juli diesen Jahres. Jetzt erschien postum ihr Albu… | |
Sie wird nur 27 Jahre alt. Als Amy Winehouse am 23. Juli dieses Jahres im | |
Londoner Stadtteil Camden stirbt, gilt sie als die erfolgreichste britische | |
Sängerin der Gegenwart. Schon ihr Debütalbum "Frank" beschert Winehouse | |
2003 große Aufmerksamkeit und wird in Großbritannien dreimal mit Platin | |
bedacht. | |
Der internationale Durchbruch gelingt ihr mit dem 2006 veröffentlichten | |
Album "Back to Black." 2008 geht ein wahrer Grammy-Regen über Amy Winehouse | |
nieder. Sie erhält fünf Auszeichnungen: "Back to Black" wird als "Album des | |
Jahres" ausgezeichnet, der dazugehörige Hit "Rehab" zum "Song des Jahres" | |
gekürt. | |
Weitere Grammys gibt es als "Beste Neue Künstlerin", für das beste | |
Pop-Album und für ihren Gesang bei "Rehab." Auf ein immer und immer wieder | |
angekündigtes drittes Album wartet die Welt jedoch vergeblich. | |
## Auf der Jagd | |
Die britische Boulevardpresse macht Jagd auf die Sängerin, produziert am | |
laufenden Band Schlagzeilen über ihren Alkohol- und Drogenkonsum sowie ihre | |
Ehe mit Blake Fielder-Civil. All das überschattet ihre musikalische | |
Karriere. Und ihre Songs um Liebe, Schmerz und Drogen werden vom Publikum | |
für Brauchbares über Winehouse' Privatleben abgeklopft. | |
Diese unheilvolle Gemengelage nimmt, wie ein Dämon, mehr, und mehr Besitz | |
von Amy Winehouse. Drogen haben Pop freilich immer inspiriert. Dass die | |
Sucht im sensationsgeilen Popgeschäft den ihr angedichteten Glamourfaktor | |
rasch verliert, zeigt Amy Winehouse' Auftritt am 19. Juni in Belgrad, bei | |
dem sie im volltrunkenen Zustand von der Bühne gebuht wird. | |
Nach ihrem tragischen Tod knapp fünf Wochen später wird die Künstlerin in | |
der Walhalla des "Club 27" zur Heldenverehrung aufgebahrt. Totenwache | |
halten unter anderem Jimi Hendrix, Janis Joplin und Kurt Cobain. Auch im | |
Pop geht es um das pralle Leben. Nicht darum, schnell zu leben, jung zu | |
sterben und anschließend einen Aufnahmeantrag in diesen glorifizierten und | |
völlig obskuren Club zu stellen. | |
Der Körper von Amy Winehouse ist vermutlich noch nicht kalt. Die | |
Todesnachricht hat noch nicht den letzten Ticker dieser Welt erreicht, da | |
läuft im Hintergrund bereits das Räderwerk der Vermarktung ihres Todes | |
glühend heiß. | |
Während ihr Vater Mitch Winehouse noch am Flughafen von New York, wo er | |
sich zum Todeszeitpunkt seiner Tochter aufhält, erste Twitternachrichten an | |
die Medien verschickt, mutiert die Sunday Times zur Rating-Agentur und | |
spekuliert darüber, wie sich der in der Reichenliste der Zeitung aus dem | |
Mai ermittelte Nettowert des Geschäftsmodells Amy Winehouse wohl jetzt, | |
nach ihrem Tod, entwickeln könnte. | |
So war es lediglich eine Frage der Zeit, bis die Produzenten der fünffachen | |
Grammy-Gewinnerin, darunter Mark Ronson und Salaam Remi, ihren Blick über | |
das archivierte und unveröffentlichte Material der Künstlerin schweifen | |
lassen würden. Rechtzeitig zum Weihnachtsgeschäft veröffentlicht die | |
Plattenfirma "Lioness: Hidden Treasures." | |
## Leichenfledderei oder postume Ehrung? | |
Natürlich weiß sie, wie durch den eilig anberaumten | |
Veröffentlichungszeitpunkt - die Musik wird lediglich ausgewählten | |
Journalisten unter Aufsicht vorgespielt - der Eindruck der Leichenfledderei | |
entstehen könnte. Schnell wird ein Statement von einem der beiden | |
Produzenten nachgeschoben. | |
"Wir haben hier keine Tupac-Situation", versichert Salaam Remi. Was der | |
Produzent von Amy Winehouse damit meint, ist, dass der künstlerische | |
Nachlass der Sängerin nicht ganz so schamlos ausgebeutet werden soll, wie | |
es im Falle von Tupac Shakur geschah. Von dem US-Rapper, beziehungsweise | |
von seinen verantwortungslosen Nachlassverwaltern, wurden noch ganze 25 | |
Tupac-Alben veröffentlicht, nachdem er seinen Schussverletzungen erlegen | |
war. | |
So gesehen ist "Lioness: Hidden Treasures" schon fast eine respektvolle | |
Zusammenstellung des musikalischen Schaffens von Amy Winehouse. Damit erst | |
gar keine Zweifel aufkommen, obwohl zwei noch nicht in anderen Versionen | |
gehörte Titel auf "Lioness: Hidden Treasures" zu finden sind, es ist nicht | |
das heiß ersehnte dritte Album der Künstlerin. Aber eins von hohem | |
dokumentarischem Wert. | |
Umspannen die zwölf Titel doch den Zeitraum von ihrer ersten Studiosession | |
zum Album "Frank" in Miami aus dem Jahre 2002 bis hin zur ihrer letzten | |
Aufnahme in den Londoner Abbey Road Studios, gemeinsam mit Jazzsänger und | |
Entertainer Tony Bennett, im März 2011. Darin fordern sich zwar zwei | |
ebenbürtige Stimmen, eine gewisse Brüchigkeit in Amy Winehouse' Ton ist | |
nicht zu überhören. | |
Gelungen ist auch Amy Winehouse' Interpretation des Bossa Nova-Klassikers | |
"The Girl From Ipanema." Es ist das erste Stück, das die damals 18-Jährige | |
eingesungen hat, als sie zum ersten Mal nach Miami kam, um mit Salaam Remi | |
aufzunehmen. Das Stück zeigt Amy Winehouse noch mit einem Rest | |
unbeschwerter Jugendlichkeit in der Stimme, die später mit ihrer Fülle | |
sämtliche Tiefen des Schmerzes auslotete und den Emotionen immer neue | |
Wendungen abrang. | |
Wie erwartet darf auch Vater Winehouse seinen Senf zur Leichenfledderei | |
geben: "Wenn unsere Familie nicht sicher gewesen wäre, ob dieses Album den | |
Anspruch von ,Frank' und ,Back To Black' erfüllen würde, hätten wir niemals | |
seiner Veröffentlichung zugestimmt. Wir glauben, es wird ein angemessener | |
Umgang mit Amys musikalischem Erbe sein." | |
Man möchte seine Äußerungen in punkto maßvoller Amy Winehouse-Vermarktung | |
gerne für bare Münze nehmen, wüsste man nicht um die gnaden- und | |
rücksichtslosen Auswertungsmechanismen des Pop-Geschäfts. | |
8 Dec 2011 | |
## AUTOREN | |
Franz X. A. Zipperer | |
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