# taz.de -- Theateradaption von "The Boss of it all": Auftritt der Büro-Zombies | |
> Kann ein durchgedrehter Künstler Arbeitsplätze sichern? Diese spannende | |
> Frage stellt Tom Kühnel im Theaterstück "The Boss of it all". Nach einem | |
> Film von Lars von Trier. | |
Bild: Panik im Büro: Szene aus dem Theaterstück "The Boss of it all". | |
Es gibt Arschlöcher, die schätzen es nicht, ein Arschloch zu sein. Ravn zum | |
Beispiel: Er ist Chef einer kleinen dänischen IT-Firma und erzählt seinen | |
vier Mitarbeitern, er sei gar nicht der Chef, sondern nur der Handlanger | |
vom großen Oberboss, der in Amerika sitze und die Firma per E-Mail | |
dirigiere. | |
Auf diese Weise kann Ravn die Verantwortung für alle Härten, die er seinen | |
Mitarbeitern zumutet, abschieben. Für Ravn ist das eine Win-win-Situation: | |
Die Mitarbeiter haben ihn als Kollege auf Augenhöhe lieb. Und die Bilanzen | |
stimmen. | |
Die Unvereinbarkeit zwischen Wirtschaftsrationalität und einem harmonischen | |
Miteinander ist der Ausgangspunkt von Lars von Triers Komödie "The Boss of | |
it all". 2006 lief der Film zum ersten Mal in Dänemark, 2009 kam er in die | |
deutschen Kinos. Es ist ein kleiner, wenig bekannter Film geblieben. | |
Ein Film allerdings, den gerade das Theater für sich entdeckt: Ende | |
November brachte das Junge Theater Göttingen eine Adaption von "The Boss of | |
it all" heraus. Am vergangenen Wochenende legte das Schauspiel Hannover mit | |
einer Inszenierung des Regisseurs Tom Kühnel nach. | |
Analog zum Film zeigt Kühnel die Geschichte in einem charakterlosen | |
Büroraum: Ein Kasten mit grünen Gummibäumen, weißen Drehstühlen, Vorhänge | |
aus beigen Lamellen. Das Publikum erlebt die Komödie, als sähe es durch das | |
Fenster zu. | |
## Kunst als Nothilfe | |
Firmenchef Ravn ist bei Kühnel wie auch bei von Trier ein kumpelhafter | |
Mitte 40-Jähriger, trägt Cordhose zum grünen Pullover und hat ein Problem: | |
Er will die Firma verkaufen und der grantige isländische Käufer besteht | |
darauf, das Geschäft mit dem Oberboss aus Amerika abzuwickeln. Also | |
engagiert Ravn den abgehalfterten Schauspieler Kristoffer als Oberboss. | |
Dieser Kristoffer steht nun vor ihm als eine Mischung aus Woody Allen und | |
Austin Powers. Zum schwarzen Anzug trägt er Sandalen. Zu seiner | |
Oberboss-Rolle fällt ihm ein: "In meiner Arbeit beziehe ich mich, egal | |
worums geht, auf Gambini." Dieser Gambini ist ein fiktiver Autor mit | |
schrägen Theatertheorien. Kristoffer ist damit von Anfang an die Karikatur | |
eines Schauspielers. | |
Dummerweise läuft er der Belegschaft in die Arme. Deren vier Mitarbeiter | |
hat Kühnel typisiert: Die Tussi im Minirock, der Praktiker mit Handy am | |
Hosenbund, das Mauerblümchen mit Strickjacke und der smarte Profi, der | |
Jeans zur Krawatte trägt. Ihr Auftritt wird mit Fanfaren begleitet: Niemand | |
soll glauben, dass Kühnel diese Truppe ernst meint. | |
Die Belegschaft hat nun einigen Gesprächsbedarf, schließlich hat sie der | |
Oberboss jahrelang aus der Ferne kurzgehalten. Nach und nach enthüllt sich | |
dem Schauspieler Kristoffer, was an persönlichen Kränkungen und | |
Versprechungen gelaufen ist. Er ist völlig überfordert. | |
Zugleich verliert die Bürowelt immer wieder den Boden der Realität unter | |
ihren Füßen: Der bärbeißige isländische Käufer kommt zur | |
Vertragsunterzeichnung im Wikinger-Kostüm, die Belegschaft verwandelt sich | |
in ein Ballett aus Zombies - zumindest in Kristoffers Fantasie. Als er | |
erfährt, dass der Verkauf der Firma alle Angestellten ihren Arbeitsplatz | |
kosten wird, beschließt er, einzugreifen. | |
Es ist eine giftige Komödie, deren Sarkasmus Theaterregisseur Tom Kühnel | |
verstärkt, indem er wie Filmregisseur Lars von Trier Distanz zum Geschehen | |
hält. Kühnel überzeichnet die Komik ins Groteske, Lars von Trier dagegen | |
verfremdet durch seine Dogma-Tricks: Er tritt im Film selbst auf, gibt | |
Kommentare ab, lässt die Schauspieler direkt in die Kamera sprechen, bricht | |
die Kontinuität durch Jump-Cuts . | |
## Gott ist eine Erfindung | |
Seine Verfremdungen setzt Kühnel gut dosiert ein und achtet ansonsten | |
darauf, dass die Geschichte verständlich bleibt. Denn die ist in ihren | |
Details und Pointen ziemlich vielschichtig: "The Boss of it all" ist sowohl | |
eine Satire auf die Spezies der Schauspieler als auch auf die moderne | |
Arbeitswelt. | |
Außerdem geht es um dänische Harmoniesucht, den Dotcom-Kapitalismus, das | |
Verhältnis von Dänen und Isländern und die Scheu vor Verantwortung. Wer | |
möchte, kann das Stück auch religiös lesen: Der Oberboss als Metapher für | |
Gott, der eigentlich nur erfunden wurde und am Ende doch der | |
Zeichnungsberechtigte für den entscheidenden Vertrag ist. | |
Am Schauspiel Hannover haben sie vermieden, einer der Lesarten den Vorzug | |
zu geben. Den Film hat diese solide Inszenierung zwar nicht erweitert. Aber | |
immerhin den interessanten Stoff schlüssig auf das Theater übertragen. | |
13 Dec 2011 | |
## AUTOREN | |
Klaus Irler | |
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