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# taz.de -- Kolumne Pressschlag: Lauter Einmalige
> Bei Union Berlin gibt es rechtzeitig zu Weihnachten ein großes Oratorium
> im Stadion. Derweil wird auf der Kleinkunstbühne der Klubgeschichte
> gehuldigt.
Bald singen sie wieder. Am 23. Dezember werden sich mehrere tausend Fans
des 1. FC Union Berlin in ihrem Stadion versammeln und gemeinsam
Weihnachtslieder singen. Was als Gag im Jahre 2003 begonnen hat, als sich
90 Fans ins dunkle Stadion schlichen und auf der Tribüne weihnachtliches
Liedgut anstimmten, ist längst ein gigantisches Oratorium geworden.
Getragen wird der riesige Chor von den tiefen Stimmen meist nicht mehr ganz
junger Männer, die das Fest in Fanklamotten besingen. Für echte Unioner ist
Weihnachten rot-weiß und hat mit Fußball mehr zu tun als mit Maria, Josef
und dem Kindlein in der Krippe. Für sie wird Weihnachten auf dem Platz
entschieden.
Die Fankultur des Köpenicker Klubs hat längst auch das Theater erreicht.
Jedes Jahr zur Adventszeit wird in einer Kleinkunstbühne im Südosten
Berlins das Stück "Und niemals vergessen - Eisern Union" gegeben. Es ist
Fantheater. Die Kurve pilgert ins Theater und singt mit, wann immer auf der
Bühne ein Fangesang angestimmt ist. Die Unioner freuen sich über die
Zeitreise durch 40 Jahre Klubgeschichte.
Nicht-Unioner wundern sich, wie man sich derart freuen kann. Das Stück von
Jörg Steinberg ist ein Nostalgiekatalysator. Dass es so etwas noch gibt!
Knappe Turnhöschen aus den finstersten Tagen der Trikotage-Herstellung in
der DDR lösen wahre Freudenstürme aus. Das waren noch Zeiten! Dass man sich
zu Ostzeiten Schnittblumen meist nicht kaufen konnte, dass man sie sich
organisieren musste, auch daran erinnert man sich gern.
## 9/11 statt Auswärtsspiel
Stimmt wirklich! Auch über eines der schrecklichsten Ereignisse der Unioner
Fangeschichte kann längst geschmunzelt werden. Der große Traum, dem Klub zu
einem Auswärtsspiel im Europapokal zu begleiten, platzt, weil Mohammed Atta
und Konsorten am 11. September 2001 Passagierflugzeuge in die Twin Towers
von New York gesteuert haben.
Die Unioner, die sich auf den Weg zum finnischen Klub Haka Valkeakoski
gemacht hatten, mussten unverrichteter Dinge wieder heimreisen, weil das
Spiel wegen der weltweiten Trauer um die Opfer des 11. September verschoben
wurde. Das gibt es nur bei Union, denkt sich da der Fan im Theater.
Das gibt es nur bei uns. Jeder Fan denkt das von seinem Klub. Einmalig ist
in dieser Hinsicht jeder Klub - natürlich auch der 1. FC Kaiserslautern.
Das Pfalztheater daselbst feiert derzeit auf der Bühne den 1. FCK. "Der
Betze brennt" wird gegeben. Darin wollen der Vereinspräsident und der
Trainer unbedingt verhindern, dass ihr bester Spieler ausgerechnet zum
Lokalrivalen Mainz 05 wechselt, und beschließen, diesen zu entführen. Eine
Tür-auf-Tür-zu-Komödie über die Macht des Fußballs und die
Allmachtsfantasien eines provinziellen Klubpatriarchen.
Geschrieben hat das Stück Jörg Menke-Peitzmeyer, ein Theaterautor, von dem
man annehmen muss, dass er regelrecht fußballverrückt ist. Die Titel seiner
Stücke - meist handelt es sich um Jugendtheater - lassen da kaum Zweifel
zu: "B-Jugend", "Der Manndecker", "Abstiegskampf", "Golden Foul" oder
"Steht auf, wenn ihr Schalker seid", dem Monolog einer Jugendlichen, die in
der Kurve ihr wahres Zuhause gefunden zu haben glaubt: "Ich kann eigentlich
überhaupt nicht singen.
Aber auf Schalke treffe ich jeden Ton", sagt sie und erzählt aus ihrem
Fanleben, das gewiss nicht immer einfach ist: "Der neue Abteilungsleiter
vom Sparmarkt, wo ich zweimal die Woche die Regale vollgeräumt hab, ist
Dortmund-Fan. Als erste Amtshandlung hat der mich entlassen." Dann singt
sie wieder: "Ihr seid Dortmunder, asoziale Dortmunder, schlaft unter
Brücken, esst in der Bahnhofsmission."
## Borussen-Singspiel
Ums Singen dreht sich auch das neueste Projekt von Menke-Peitzmeyer, der
sagt, dass Stadion und Kirche die letzten Orte sind, an denen man noch
lauthals singen könne. Für die Dortmunder Oper arbeitet er gerade an einem
Oratorium mit dem Titel "Fangesänge". Dort werden gerade Kurvensänger für
den Chor gecastet. Dass die mit BVB-Schal zum Vorsingen erscheinen,
versteht sich in der Stadt des Deutschen Meisters von selbst, und wenn sie
Glück haben, dürfen sie bald schon "Heja, heja, heja BVB" in der Oper
singen.
Moment. Kann das eigentlich gut gehen? Ein Mann, der ein Stück mit dem
Titel "Steht auf, wenn ihr Schalker seid" verfasst hat, schreibt ein
Borussen-Singspiel. Hier kann Entwarnung gegeben werden. Das Textbuch zum
Schalke-Stück beginnt mit dem Hinweis: "Wer will, kann das ganze auch
,Steht auf wenn ihr Kölner (oder Cottbuser, Nürnberger, Reutlinger etc.)
seid" nennen." Auf der Website des Theaters Dortmund wird Menke-Peitzmeyer
zudem als "bekennender BVB-Fan" vorgestellt. Wird schon stimmen.
14 Dec 2011
## AUTOREN
Andreas Rüttenauer
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