# taz.de -- Konfessionen in Israel: Initiative gegen den Gebetsruf | |
> Regierungschef Netanjahu unterstützt einen Gesetzentwurf, der die | |
> Lautsprecher zum Verstummen bringen soll. Die Gegenseite verweist auf | |
> Sirenen am Sabbat. | |
Bild: Der Turm des Anstoßes: angeblich Schuld an "Persönlichkeitsstörungen" … | |
JAFFA taz | Omar Siksik versteht die Aufregung nicht. "Wir sind so | |
rücksichtsvoll", sagt er. "Zum Gebet in der Morgendämmerung wird niemals | |
über die Lautsprecher gerufen, sondern es gibt eine Telefonkette." Trotzdem | |
sind die Nachbarn erbost. | |
Viermal am Tag dröhnt über die Lautsprecher der Siksik-Moschee mitten in | |
Jaffa je drei Minuten lang das "Allahu akbar" des Muezzins. Doch nicht mehr | |
lange. Sobald das "Muezzin-Gesetz" aus der Feder der rechtsnationalen | |
Abgeordneten Anastasia Michaeli (Israel Beitenu) abgesegnet wird, ist es | |
aus mit dem Ruf zum Gebet per Lautsprecher. | |
Rein formal richtet sich die Reform gegen jeden "unvernünftig lauten Krach" | |
von Gebetshäusern aller Religionen. Tatsächlich sind es vor allem die | |
Muslime, die Lautsprecher einsetzen. Gewöhnlich noch vor Sonnenaufgang ruft | |
der Muezzin sein erstes "Allahu akbar" ins Mikrofon. Auch wenn das Gebet | |
nur wenige Minuten dauert, ist für die Anwohner in der Umgebung die Nacht | |
damit vorbei. Der Ruf zum Frühgebet per Telefonkette, wie sie die | |
Siksik-Moschee praktiziert, ist die Ausnahme. | |
Knapp drei Viertel der 54.000 Einwohner Jaffas sind Juden. Die Meinungen | |
über den Muezzin gehen auseinander. Vor allem die, die etwas weiter weg | |
wohnen, finden den Sprechgesang bisweilen sogar angenehm. Problematisch | |
ist, dass die Siksik-Moschee mitten in einem Wohnviertel liegt. Unmittelbar | |
daneben steht ein Neubau mit Eigentumswohnungen kurz vor der | |
Fertigstellung. "Wer etwas gegen Araber hat, der muss nicht nach Jaffa | |
ziehen", stellt einer der Bauherren ungerührt fest und vertritt damit das | |
Argument der frommen Muslime. | |
## "Umweltschutz" und "bessere Lebensqualität" | |
Omar Siksik ist Stadtverordneter in Tel Aviv. Die meisten Leute hätten sich | |
an den Muezzin gewöhnt, glaubt er. Aus Rücksicht auf die erschöpften | |
Nachbarn den Lautstärkepegel etwas zu senken lehnt er ab. "Das wäre der | |
erste Schritt dazu, dass wir ganz abstellen müssten", fürchtet er. "Wir | |
halten uns strikt an die Vorgaben des Umweltministeriums." | |
Das bezweifelt die Abgeordnete Michaelis. Hier gehe es um ein "grünes | |
Problem", sagt sie und begründet ihren Vorschlag damit, etwas für "bessere | |
Lebensqualität und Umweltschutz" zu tun. | |
Der Gesetzentwurf, dem Regierungschef Benjamin Netanjahu grundsätzlich | |
seine Zustimmung gab, ist auch in den Reihen des konservativen Likud | |
umstritten. Ein Gesetz sei überflüssig, mahnte Kulturministerin Limor | |
Livnat, denn "es gibt ja bereits ein Antilärmgesetz", das das Problem | |
regeln könnte, wenn es nur angewandt würde. Netanjahu verschob die | |
Abstimmung um einige Tage, hielt aber an seiner Unterstützung fest. Ein | |
ähnliches Gesetz existiere bereits in Belgien und in Frankreich, begründete | |
er. "Wir müssen nicht liberaler sein als Europa." | |
## "Persönlichkeitsstörungen" durch den Ruf des Muezzin | |
Michaelis stützt ihre Kampagne auch auf Forschungen über die | |
gesundheitlichen Folgen längerer Lärmbelästigung. Angefangen mit | |
Hörproblemen und Schlaflosigkeit könne dauerhafter Krach zu "sozialer | |
Isolation" sowie "Persönlichkeits- und Verdauungsstörungen" führen. Achmad | |
Tibi, Abgeordneter der arabischen Knessetliste "Taal", sprach hingegen von | |
"einem wahnwitzigen und lächerlichen Vorschlag aus der Schule der Anastasia | |
(Michaelis)". | |
Tibi erinnerte daran, dass die Araber umgekehrt den Schofar (Widderhorn) am | |
Jom Kippur ertragen müssten und die Sirenen zu Beginn und Ende des Sabbats. | |
Aus "medizinischer Sicht", so erinnerte der studierte Gynäkologe, seien die | |
"Feuerwerke am Unabhängigkeitstag besonders schädlich für die Atemwege". | |
15 Dec 2011 | |
## AUTOREN | |
Susanne Knaul | |
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