# taz.de -- Elfenbeinküste: "Wir sind noch nicht in Sicherheit" | |
> In Duékoué im Westen von Elfenbeinküste spielten sich während des | |
> Machtkampfs die schlimmsten Verbrechen ab. Die Menschen haben immer noch | |
> Angst. | |
Bild: Romaric Gazahi (rechts) war mal Gbagbo-Anhänger. Heute schämt sich der … | |
DUÉKOUÉ taz | Abdoulaye Doumbia versucht, es sich auf einer schmalen | |
Holzbank bequem zu machen. Dort liegt er, hat die Arme hinter dem Kopf | |
verschränkt, die Beine übereinandergeschlagen und muss aufpassen, nicht von | |
der Bank zu rutschen. Ab und zu blinzelt er in die Morgensonne, die durch | |
die dichten Baumkronen dringt. Es ist ein entspannter Vormittag. | |
Vor dem Mann in der dunkelgrünen Uniform steht ein niedriger Holztisch, auf | |
dem ein zerfleddertes Schulheft liegt. In das müssen er und seine Kollegen | |
Namen, Passnummern und Reiseziele all jener eintragen, die von Liberia in | |
die Elfenbeinküste reisen. Für manche Tage gibt es drei oder vier Einträge, | |
jeder einzelne mit einem sauberen Strich abgetrennt, für andere keinen | |
einzigen. Wer will schon in den äußersten Westen der Elfenbeinküste reisen? | |
Aus Liberia ganz bestimmt niemand. | |
Die Grenzregion, in der alles so friedlich und träge wirkt, gilt heute als | |
Rückzugsort für bewaffnete Milizen und Rebellen. Niemand weiß, wie viele | |
Waffen dort versteckt sind und wann die Menschen wiederkommen, die die | |
Gegend seit Anfang des Jahres verlassen haben, als in der Elfenbeinküste | |
Bürgerkrieg herrschte. | |
Abdoulaye Doumbia hat sich aufgerichtet und verzieht seinen Mund zu einem | |
fast spöttischen Grinsen. "Rebellen? Die gibt es hier nicht mehr. Wir haben | |
doch überall Militärposten aufgebaut, die für Sicherheit sorgen", sagt er. | |
Es hört sich an, als wolle er sich selbst Mut zusprechen. | |
## Gbagbo im Unterhemd | |
Aus der Elfenbeinküste ist in den vergangenen zwölf Monaten vor allem ein | |
Bild hängen geblieben: Laurent Gbagbo, wie er am 11. April - nach Monaten | |
des Widerstandes - im Bunker seines Präsidentensitzes festgenommen wird. | |
Der bullige Mann trägt nur noch ein weißes Unterhemd; er hat sein letztes | |
Gefecht verloren. | |
Der Anfang vom Ende begann am 28. November 2010. Gbagbo, damals seit zehn | |
Jahren Präsident des westafrikanischen Landes, verlor die Stichwahl um die | |
Präsidentschaft gegen Alassane Ouattara nicht. Für die Unabhängige | |
Wahlkommission der Elfenbeinküste (CEI) und auch für die internationale | |
Gemeinschaft gewann Letzterer die entscheidende zweite Runde. Doch der | |
Gbagbo-treue Verfassungsrat erkannte die Ergebnisse in einigen Regionen | |
nicht an und machte den alten kurzerhand zum neuen Präsidenten. Und die | |
Elfenbeinküste war plötzlich das einzige Land auf der Welt, das zwei | |
Präsidenten hatte. | |
Vier Buchstaben purzeln aus Romaric Gazahis Mund heraus: Gbag - die zweite | |
Silbe von Gbagbos Namen verschluckt er. Dem jungen Mann geht es wie vielen | |
Ivorern, die ein Jahr nach den Wahlen nicht mehr gern zugeben, für den | |
heute in Den Haag inhaftierten Expräsidenten gestimmt zu haben. Der junge | |
Mann sitzt im Schatten der alten Kirche auf der katholischen | |
Missionsstation von Duékoué und lässt seine Nähmaschine über die zerrissene | |
Jeanshose rattern. | |
Eigentlich mag er seine Arbeit, doch das Geschäft laufe nicht mehr richtig. | |
"Früher habe ich am Tag um die 1.000 Cefa (1,50 Euro) verdient, heute ist | |
es nur noch die Hälfte." Schuld sei die ständig zunehmende Konkurrenz auf | |
dem Kirchengelände. Andere Arbeit gibt es kaum. Seit Ende März lebt Romaric | |
Gazahi mit seinen älteren Brüdern, der Mutter und dem Baby hier. | |
Auf dem Missionsgelände von Duékoué, wo zwei Kirchen, eine Kapelle und | |
mehrere Bürotrakte stehen, suchten damals 30.000 Menschen Schutz. Während | |
Gbagbos letzte Unterstützer in Abidjan im März einen verlorenen Kampf | |
kämpften, spielte sich hier eines der grausamsten Kapitel der Krise ab. | |
Duékoué - eigentlich nicht mehr als eine Stadt mit zwei Durchfahrtsstraßen, | |
einem Markt, ein paar Geschäften und kleinen Restaurants - gilt als | |
Gbagbo-Hochburg. Für Ouattaras Armee FRCI (Republikanische Streitkräfte der | |
Elfenbeinküste) hatte die Einnahme am 29. März somit nicht nur eine | |
strategische, sondern auch symbolische Bedeutung. Was sich dabei | |
tatsächlich abspielte, lässt sich Monate später kaum rekonstruierten. | |
Vielleicht starben 400 Menschen, vielleicht 800; wahrscheinlich umgebracht | |
von den Anhängern Ouattaras. Sie beteuerten damals: Die Opfer seien | |
Gbagbo-Milizen gewesen, keine Zivilisten. Hilfsorganisationen bewerteten | |
das anders. Ein paar Tage später wurden die ersten Massengräber entdeckt. | |
## Keine Ernte | |
Für Romaric Gazahi und die übrigen 2.400 Menschen, die acht Monate später | |
noch immer auf dem Kirchengelände leben, spielt das kaum noch eine Rolle. | |
Es ist Vergangenheit. Viel wichtiger wäre es ihm, irgendwann wieder eine | |
Zukunft zu haben. "Aber wir haben ja nichts mehr", sagt er und legt einen | |
neuen Bindfaden für den nächsten Auftrag ein, einen alten Rock. Das Haus | |
der Familie sei niedergebrannt worden, das kleine Feld, das die Familie | |
besitzt, hat sie während der Krise nicht bestellen können, und deshalb gibt | |
es heute keine Ernte. Eins quält ihn aber noch viel mehr: "Kann mir | |
irgendjemand garantieren, dass es sicher ist, wenn ich nach Hause gehe?" | |
Vor allem jene, die aus den umliegenden Dörfern geflüchtet sind, haben | |
Angst vor der Heimkehr. Man hat eine Ahnung, wo die einstigen Milizen | |
Gbagbos heute zu finden sind, aber man weiß nicht, wie viele Waffen sie | |
noch haben. Ab und zu geben Hilfsorganisationen Informationen über erneute | |
Gewaltausbrüche heraus. In der Nähe der Stadt Taï an der Grenze zu Liberia | |
sollen Ende September, so berichtet Ärzte ohne Grenzen, mindestens 50 | |
Häuser niedergebrannt worden sein. | |
Doch viele Vorfälle blieben unentdeckt, weil es die Opfer gar nicht erst | |
bis in die Krankenhäuser schaffen. Dass die Sicherheitslage heikel ist, | |
sagt auch Hamadou Touré, Sprecher der UN-Mission in der Elfenbeinküste: | |
"Man muss wachsam bleiben und alles dafür tun, dass in dem Land die Gewalt | |
nicht wieder aufflammt." | |
In Fengolo, einem Dorf gut zehn Kilometer nördlich von Duékoué, soll Gniman | |
Coulibaly das verhindern. Gemeinsam mit ein paar Kollegen hält er auf dem | |
Militärposten die Stellung und will von jedem, der über die Hauptstraße | |
nach Fengolo kommt, wissen, was er im Dorf zu suchen hat. Das | |
Maschinengewehr lehnt für alle Fälle an der Wand. "Wir haben keine | |
Probleme. Alles ist sicher", sagt der 32-Jährige und stochert mit dem | |
Absatz seines Stiefels im Sand herum. Eigentlich sei er Automechaniker. | |
"Aber jetzt braucht mich mein Land, und unser Kommandeur von Duékoué hat | |
mich hierhergeschickt." Bei ihm will er einen guten Eindruck hinterlassen | |
und mit der Arbeit seinen Präsidenten unterstützen. "Natürlich habe ich für | |
Alassane Ouattara gestimmt. Ich war schon lange vor den Wahlen für ihn." | |
Warum? Das kann er nur schwer erklären. "Durch ihn hat sich viel geändert. | |
Und er wird noch mehr machen, beispielsweise Jobs schaffen." Einen hat er | |
selbst schon bekommen, denn vor der Krise war er arbeitslos. | |
Der äußerste Westen der Elfenbeinküste ist ein Schmelztiegel der | |
verschiedenen ethnischen Gruppen und Nationalitäten des Landes. Angelockt | |
werden sie von den fruchtbaren Böden, auf denen man die Kakaobohnen anbaut, | |
die die Elfenbeinküste zum größten Kakaolieferanten der Welt machen und den | |
größten Teil der Staatseinnahmen ausmachen. | |
## Es kann nur besser werden | |
Miengo Kone hat das Eldorado vor Jahrzehnten für sich entdeckt. Der | |
Kakaobohnen wegen kam er aus Burkina Faso in die Elfenbeinküste, nun | |
handelt er mit ihnen. Im Moment sitzt er in seiner leeren Lagerhalle und | |
wartet auf die nächste Saison. Um ihn herum liegen leere Jutesäcke mit der | |
Aufschrift "Kakaobohnen - ein Produkt aus der Elfenbeinküste". Die Bohnen | |
sind sein Leben geworden, und der Mann mit den grauen Haaren kann sich | |
nicht vorstellen, in die alte Heimat zurückzugehen. "Meine Kinder sind hier | |
geboren worden und kennen Burkina Faso gar nicht", sagt er. Die kritische | |
Lage habe ihn nie abgeschreckt. Außerdem kann es jetzt nur besser werden, | |
findet er. "Wir leben hier jetzt friedlich zusammen." | |
So viel Optimismus und Erfolg sind selten bei Ausländern in der | |
Elfenbeinküste, einem Viertel der knapp 20 Millionen Einwohner. Die meisten | |
müssen sich als Hilfsarbeiter auf den Plantagen durchschlagen und haben nie | |
eine Chance auf Gewinnbeteiligung. Denn einen echten Platz im Eldorado hat | |
nur, wer tatsächlich Ivorer ist und das über Generationen hinweg nachweisen | |
kann. "Ivoirité" heißt das nationalistische und rassistische Konzept, das | |
der damalige Präsident Henri Konan Bédié 1994 einführte und das Einwanderer | |
und ihre Nachkommen bei Landbesitz und der Teilnahme an Wahlen | |
benachteiligte. | |
Auch der heutige Präsidident Ouattara wurde deswegen gleich zweimal - 1995 | |
und 2000 - von Wahlen ausgeschlossen. Seine Eltern hätten burkinische | |
Wurzeln, hieß es damals. Neben der Aussöhnung zwischen den alten | |
Kriegsparteien und der Wiederbelebung der Wirtschaft gilt heute die Frage, | |
wie nun mit dem Konzept "Ivoirité" umgegangen wird, als zentral für die | |
Zukunft des Landes. | |
Augustin Bah hat ganz andere Sorgen. Er ist einer von rund 173.000 Ivorern | |
- so hoch ist die Zahl nach Einschätzung des UN-Flüchtlingshilfswerkes | |
mittlerweile -, der sich nach Ausbruch der Krise ins Nachbarland Liberia | |
rettete. Die großen Flüchtlingsströme sind zwar abgerissen, dennoch haben | |
internationale Organisationen auch Monate nach der Amtseinführung Ouattaras | |
neue Unterkünfte für Ivorer in Liberia errichten müssen. | |
Und es denkt kaum jemand an die Rückkehr in die Heimat. Auch Augustin Bah, | |
der mit seiner Familie im Bahncamp in Saclepea lebt, will zumindest vorerst | |
bleiben. "Es sieht nach Frieden aus", sagt er, als er mit ein paar | |
Bekannten vor seinem weißen Zelt sitzt. "Aber niemand weiß, ob der Frieden | |
hält und was aus den Rebellen wird. Wir sind noch lange nicht in | |
Sicherheit." | |
15 Dec 2011 | |
## AUTOREN | |
Katrin Gänsler | |
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