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# taz.de -- Filmemacher über Extremismus: "Das sind nicht nur Loser"
> Der Autor und Regisseur Lars Becker über deutsche Islamisten, Parallelen
> zum Neonazi-Terror und den Abschied von Mehmet Kurtulus vom Hamburger
> "Tatort".
Bild: Hat am Sonntag seinen letzten Auftritt: Mehmet Kurtulus.
Herr Becker, deutsche Islamisten zu porträtieren – das ist im deutschen
Fernsehen vermutlich nicht so ganz einfach?
Absolut nicht. Aber ich fand es spannend, den Akzent mal nicht so stark auf
die Krimi-Handlung zu setzen, sondern sich auf die Figuren und das Thema zu
konzentrieren. Und dabei endlich mit den Pauschal-Vorstellungen
aufzuräumen, die vielen im Kopf rumspuken, wenn es um Islamismus geht und
Leute, die sich ihm zuwenden oder sich radikalisieren. Da gibt es viele
Parallelen zum aktuellen Entsetzen über den Neonazi-Terror, wo wir ja auch
ganz verschiedene individuelle Hintergründe haben.
Die Hauptfigur Christian Marshall ist dabei ja zumindest von außen der
Prototyp des "guten Deutschen": Hochintelligent, aus gutem Hause, smart..
Es ist an der Zeit, offensiver und differenzierter mit diesen Fragen
umzugehen: Woher kommen die Leute, die da rekrutiert werden, wie läuft
deren Radikalisierung. Da gibt es manche Überraschung – und durchaus
Ähnlichkeiten zu Bewegungen wie der RAF, der Bewegung 2. Juni oder der
baskischen ETA. Denn es sind eben nicht nur Loser, die aus ökonomischen
Frust handeln oder – wie das BKA noch vor ein paar Jahren vorschnell
analysierte – Menschen, die mit sich selbst nicht klar kommen, weil sie
vielleicht keine Frau abgekriegt haben. Das ist viel komplexer.
Wichtig ist mir, zu fragen: Was können wir tun, dass solche Leute nicht
mehr abdriften – weder nach rechts, links oder in fanatisch religiöse
Zirkel. Beim Rechtsradikalismus tun wir ja auch so, als fielen wir aus
allen Wolken – hat man also vergessen, dass ein paar Tage bevor die
NSU-Terrorgruppe aufgeflogen ist im Dortmunder Stadion 3000 Dresdner
Hooligans Randale gemacht haben? Das sind Phänomene, die finden bei uns auf
der Straße statt.
Wie haben Sie das Thema deutsche Konvertiten recherchiert?
Mich hat bei den Gesprächen mit deutschen Konvertiten gewundert, dass die
ideologisch auf der Überholspur sind, auch in der Härte und Konsequenz
ihrer Argumente. Das war beeindruckend. Mir ging es nicht darum, auf Teufel
komm raus politisch korrekt zu erzählen – obwohl das ein häufig verlangter
Bestandteil deutschen Fernsehens ist. Aber ich wollte, dass die Details,
wie das Beten in der Moschee, auch stimmen. Ich wollte die Religion in dem
belassen, was sie wirklich ist – und nicht als Angriffsziel präsentieren.
Der Islam soll nicht beschädigt werden, wir müssen aber sagen – da gibt es
fließende Übergänge, dem müssen wir uns stellen.
War es schwer, den Stoff im NDR als "Tatort" unterzubringen?
Nein. Der schwierigere Part war die Entwicklung. Das Thema sollte ja nicht
zu stark der Krimi-Handlung geopfert werden, aber der "Tatort" ist
natürlich ein Krimi. Damit hatten wir gleich zwei Probleme: Einmal wird der
Hamburger "Tatort" mit dem verdeckten Ermittler Cenk Batu leider
unterdurchschnittlich wahrgenommen, obwohl Mehmet Kurtulus großartig
spielt.
Aber er bricht mit den klassischen "Tatort"-Erwartungen: ein
türkischstämmiger Kommissar, das auch noch als Einzelkämpfer und nicht wie
sonst im Duo. Jetzt sollte auch noch die Krimihandlung ein bisschen
zurückschraubt werden. Aber wenn man so ein Thema machen will, muss man
auch den Mut haben, genau diese anderen, Nicht-Krimi-Aspekte zu verstärken
und zum Beispiel zu zeigen, wie Cenk Batu in dieses Milieu einsteigt. Auch
damit die Zuschauer auf Augenhöhe sind.
Die Handlung spielt sozusagen in der Mitte der Gesellschaft. Ist das
realistsich?
Gerade bei einem Thema wie Islamismus darf man keine Hinterhof-Moschee
zeigen und die anderen üblichen Klischees bedienen. Der Fehler wird aber
viel zu oft gemacht, wenn es um Rassismus oder Radikalismus geht. Ich
wollte außerdem eine kleine Vision hineintragen, zeigen, dass es auch da
längst interkonfessionelles Bewusstsein gibt. Wenn zum Beispiel der kleine
Junge beim an der Moschee organisierten Nachhilfeunterricht sagt: "Wieso
fliegt denn mein Kumpel hier raus, nur weil er kein Moslem ist – der ist
doch auch schlecht in Mathe!" zeigt das doch: Da bewegt sich etwas.
Warum kommt bei Ihnen eigentlich das BKA im Vergleich zur Hamburger Polizei
so schlecht weg? Kleine Solidarität, weil der "Tatort" wie die ganze ARD ja
auch eine föderale Veranstaltung ist?
Das BKA hat doch immer wieder Geschichten präsentiert, dass man sich an den
Kopf fasst. Auch wenn man sieht, woran da mit Blick auf den rechten Terror
vorbeigesehen und -gegangen wurde. Wobei ich auch deutlich sagen möchte,
ich bin dafür, dass man dem BKA im Dschungel des aktuellen
Zuständigkeitsdurcheinanders mehr Kompetenz gibt. Da kommt man bei aller
Kritik nicht dran vorbei.
Beim NDR will Mehmet Kurtulus als Cenk Batu nur noch einmal auftreten, dann
kommt Til Schweiger als neuer "Tatort"-Kommissar. Waren die Figur des
verdeckten Ermittlers und seine Fälle zu anspruchsvoll?
Das kann ich nicht beantworten. Ein "Tatort" mit Til Schweiger wird
natürlich ein Erfolg. Ich will das gar nicht gegeneinander ausspielen, aber
ich finde es schade, dass Mehmet Kurtulus aufhört. Denn die Idee war zwar
noch nicht an jeder Stelle ausgereift, aber sehr gut.
Hier bestand die Chance, mal in andere Milieus einzusteigen, ein bisschen
genauer, ein bisschen spezieller hin zu gucken, und dem "Tatort" eine
andere Farbe zu geben. Mit ein bisschen längerem Atem hätte das auch zur
Marke werden können, die sehr gut gelaufen wäre.
18 Dec 2011
## AUTOREN
Steffen Grimberg
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