# taz.de -- Berliner FDP in Auflösung: Der Liquidator von Raum 310 | |
> Nach dem Wahldebakel erinnert im Abgeordnetenhaus nur ein Türschild an | |
> Exchef Christoph Meyer und Co. Die Liberalen sind in der Krise - wie im | |
> Bund. | |
Bild: Die FDP-Fraktion muss alles abwickeln: "vom taz-Abo bis zum Leasing des G… | |
Abgeordnetenhaus, dritte Etage. Der Bauausschuss wird gleich in Raum 311 | |
erstmals tagen, Abgeordnete huschen vorbei. Der künftige | |
Ausschussvorsitzende freut sich sichtlich auf sein Amt, neu sind auch der | |
zuständige Senator und sein Staatssekretär. Auf einen Mann im Raum 310 | |
gleich nebenan warten hingegen keine neuen Aufgaben im Parlament. Christoph | |
Meyer, der Chef der im neuen Parlament nicht mehr vertretenen FDP-Fraktion, | |
ist nur deshalb noch in diesem Büro, um die Hinterlassenschaften von zehn | |
Jahren Parlament abzuwickeln. | |
"Liquidatoren" steht auf dem Türschild neben dem blau-gelben Parteilogo, | |
dem letzten sichtbaren Stück FDP im Haus. "Liquidator", das klingt wie eine | |
der Wortschöpfungen der FDP, wie "Ankündigungssenator" (über den | |
Finanzsenator) oder "Trickser" (über den Regierenden Bürgermeister). Es ist | |
aber ein Begriff aus dem Berliner Fraktionsgesetz. Danach müssen sich die | |
Mitglieder des Vorstands unter diesem Titel um das kümmern, was von ihrer | |
13-köpfigen Fraktion mit ihren 13 Mitarbeitern übrig ist: Abschlussbilanz | |
erstellen, Inventar auflisten, Schuldverhältnisse auflösen - "vom taz-Abo | |
bis zum Leasingvertrag über den Großkopierer", sagt Meyer, der 2009 | |
Fraktionschef wurde, ein Jahr später auch FDP-Landesvorsitzender. Ende | |
Januar soll endgültig "Schicht im Schacht" sein. | |
Während nebenan der Parlamentsbetrieb nach Koalitionsverhandlungen und | |
Senatsbildung endlich wieder anrollt, sitzt Meyer freizeitmäßig gekleidet | |
in Jeans, T-Shirt und über die Hose hängendem Hemd zwischen ein paar | |
Zimmerpflanzen. "Entschleunigt" nennt er seine jetzige Situation. Auf dem | |
Computerbildschirm ein paar Meter weiter ist die Website Spiegel Online zu | |
sehen, mit dem Bild seines Bundesparteichefs. Das sei ja ein gutes Timing, | |
sagt Meyer sarkastisch: FDP-Generalsekretär Christian Lindner ist gerade | |
zurückgetreten. Jener Lindner, der im Wahlkampf mehrfach für einen Erfolg | |
bei der Abgeordnetenhauswahl trommelte. | |
Verloren haben sie seither beide. Auf 1,8 Prozent rutschten die Liberalen | |
an jenem desaströsen Wahlsonntag am 18. September ab - 2009 bei der | |
Europawahl waren es noch 8,7 Prozent. Dazwischen aber lagen fast zwei Jahre | |
Streit in der schwarz-gelben Bundesregierung, die (Selbst-)Demontage der | |
langjährigen Führungsfigur Guido Westerwelle. Hinzu kam in diesem Jahr der | |
Streit über den Eurorettungsfonds, der in den nun beendeten | |
FDP-Mitgliederentscheid mündete. | |
Man könne aber nicht alles komplett auf die Bundesebene abschieben, ist im | |
FDP-Landesverband zu hören. Auch die hiesigen Verantwortlichen hätten | |
Fehler gemacht. Die Kritiker sind zwar realistisch genug, zu sagen, dass es | |
fürs Abgeordnetenhaus in keinem Fall gereicht hätte - erst ab 5 Prozent | |
sind Parteien dort vertreten. Aber vielleicht hätte man in die ein oder | |
andere Bezirksverordnetenversammlung kommen können. Dort genügen 3 Prozent | |
der Stimmen für den Einzug - mit 2,5 und 2,3 Prozent in Steglitz-Zehlendorf | |
oder Reinickendorf war die FDP davon nicht allzu weit entfernt. So aber ist | |
die Partei nicht nur aus dem Landesparlament gerutscht, sondern auch in | |
keinem Bezirksparlament mehr vertreten. | |
Christoph Meyer behauptet auch gar nicht, alles richtig gemacht zu haben. | |
Über den Jahreswechsel will er entscheiden, ob er im März beim Parteitag | |
erneut als Landesvorsitzender kandidiert - eine ehrenamtliche Funktion, | |
denn Meyers eigentlicher Beruf ist Jurist. Auch er bestreitet nicht: Es | |
hätte praktische Vorteile, wenn einer der Berliner | |
FDP-Bundestagsabgeordneten das Amt übernähme, etwa der frühere | |
Fraktionschef Martin Lindner. | |
Meyers Analyse der Wahlniederlage: Man habe der FDP nicht mehr abgenommen, | |
was sie im Wahlkampf verkündete. Da half selbst hohes persönliches Ansehen | |
wie bei der Bildungsexpertin Mieke Senftleben (59) nicht mehr weiter; auch | |
in ihrem Bezirk fiel die FDP ins schier Bodenlose. "Man muss jetzt erst mal | |
realistisch sehen, dass die Tierschutzpartei fast so viele Stimmen bekommen | |
hat wie wir", sagt Senftleben denn auch. Erste Aufgabe sei, die Basis zu | |
motivieren, "da herrscht im Augenblick der totale Frust". | |
Meyer spricht im Liquidatorenbüro 310 davon, dass man zuerst die | |
Arbeitsfähigkeit der Landespartei herstellen müsse, die nun keinen | |
parlamentarischen Arm mehr hat. Über 3.100 Mitglieder hat die Berliner FDP | |
noch. Laut Meyer hat es nach der Wahlniederlage keine Austrittswelle | |
gegeben, vielmehr eine Reihe von Eintritten. "Es kann aber auch sein, dass | |
einige sich über diesen Weg an dem Mitgliederentscheid beteiligen wollten", | |
räumt er ein. Die Geschlossenheit sei jedenfalls so groß "wie seit Anfang | |
der 80er Jahre nicht mehr". Die nächste Abgeordnetenhauswahl steht zwar | |
erst 2016 an, doch schon in zwei Jahren hat die FDP bei der Bundestagswahl | |
drei Berliner Sitze zu verteidigen. "Ziel wird sein, zwei Abgeordnete zu | |
behalten", sagt Meyer. | |
Es ist für die FDP keine komplett neue Erfahrung. 1995 fiel sie schon | |
einmal aus dem Abgeordnetenhaus, auch bei der nächsten Wahl 1999 erhielt | |
sie nur 2,2 Prozent. Dass sie überhaupt wieder ins Parlament kam, verdankte | |
sie zum großen Teil der Bankenaffäre von 2001 und ihrem damaligen, | |
inzwischen verstorbenen Vorsitzenden Günter Rexrodt. Der konnte mit seiner | |
Forderung nach Aufklärung so sehr punkten, dass die FDP bei Neuwahlen mit | |
9,9 Prozent besser abschnitt als die Grünen. | |
Eine neue Affäre dieses Ausmaßes ist aber nicht in Sicht. Das | |
Medieninteresse an der Berliner FDP ist schon jetzt drastisch gesunken. Und | |
wann sich die Lage auf Bundesebene beruhigt, ist offen. "Man braucht es | |
nicht zu beschönigen", sagt Senftleben, "es ist eine besch… Situation." | |
16 Dec 2011 | |
## AUTOREN | |
Stefan Alberti | |
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