# taz.de -- Beratungsstelle von Schließung bedroht: Achtung, Baby trinkt mit | |
> Menschen, deren Mütter als Schwangere Alkohol getrunken haben, leiden ein | |
> Leben lang unter den Folgen. | |
Bild: Sollte für jede Schwangere gelten: null Alkohol. | |
Manchmal passt ein kompliziertes Problem in einen Satz: "Meine muter | |
Trinkte", steht in krakeliger Schrift auf einem Plakat im Büro von | |
Professor Hans-Ludwig Spohr. Der Kinderarzt leitet des FASD-Zentrum der | |
Charité. Mit dem Kürzel FASD, kurz für Fetal Alcohol Spectrum Disorder, | |
bezeichnen Mediziner bestimmte körperliche und geistige Behinderungen von | |
Menschen, deren Mütter in der Schwangerschaft Alkohol getrunken haben. Die | |
Einrichtung auf dem Campus Virchow-Klinikum in Wedding ist eine von zwei | |
Stellen in ganz Deutschland, wo dieses Syndrom diagnostiziert werden kann. | |
Zum Jahresende muss es schließen: Es fehlt am Geld. | |
"Unsere Einrichtung wurde vor vier Jahren als Beratungsstelle im Spandauer | |
Kinderheim Sonnenhof gegründet", erzählt Spohr. Der 71-Jährige ist eine | |
Koryphäe der FASD-Forschung. Finanzielle Unterstützung erhielt das Zentrum | |
damals von der Aktion Mensch. Als diese Förderung nach zwei Jahren auslief, | |
nahm Spohr Kontakt mit der Stiftung für das behinderte Kind auf. In deren | |
Räumen arbeiten er und zwei Psychologinnen seitdem, Geld kommt von "Ein | |
Herz für Kinder". Nun endet auch diese Unterstützung. "Damit liegt unsere | |
Arbeit auf Eis, bis wir neue Sponsoren gefunden haben." | |
## Ende einer Odyssee | |
Rund 300 Patienten aus ganz Deutschland kommen jedes Jahr ins FASD-Zentrum. | |
"Zu 90 Prozent Pflegeeltern, die uns ihre Kinder vorstellen, weil sie | |
Probleme und oft keine Diagnose haben", erklärt Spohr. Für viele ende mit | |
dem Besuch eine Odyssee durch Arztpraxen. Zwar sei FASD seit 1973 bekannt, | |
es werde aber kaum wahrgenommen und oft mit dem | |
Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom verwechselt. Im Gegensatz zu diesem sei FASD | |
aber nicht heilbar. "Wenn eine Mutter während der Schwangerschaft Alkohol | |
trinkt, und sei es nur ab und zu mal ein Glas Wein, schädigt sie ihr Kind | |
für sein ganzes Leben", so der Kinderarzt. | |
Adrienne Frenzel ist Hebamme und Pflegemutter von zwei Kindern mit FASD. | |
Bei einem der beiden stritt die leibliche Mutter vehement ab, in der | |
Schwangerschaft Alkohol getrunken zu haben. "Drei Jahre haben wir Ärzte | |
besucht, genetische Tests machen lassen. Bis letztendlich herauskam, dass | |
es doch FASD ist." | |
Das Problem, so Frenzel: Man sehe den Kindern ihre Behinderung meist nicht | |
an. Von vielen Menschen werde sie deshalb nicht für voll genommen. Dabei | |
litten FASD-Patienten unter vielerlei Störungen: "Meine Kinder haben kein | |
Problembewusstsein, kein emotionales Feingefühl, kein Gefühl für Distanz. | |
Sie setzen sich bei jedem einfach auf den Schoß", erzählt sie. Hinzu kämen | |
körperliche Fehlbildungen, etwa Gaumenspalten. Weil viele FASD-Patienten | |
aber einen durchschnittlichen IQ hätten, kämen sie oft problemlos durch die | |
Einschulungsuntersuchungen. "Konzentrationsschwäche, Hyperaktivität und | |
Aufmerksamkeitsstörungen führen dann aber dazu, dass sie in der ersten | |
Klasse völlig überfordert sind." | |
Auch für Professor Spohr ist eine der größten Schwierigkeiten der | |
Betroffenen, dass ihre Behinderung zu spät erkannt wird und sie bis dahin | |
im normalen System, etwa in der Schule, mithalten müssen. "Die wichtigste | |
Therapie für diese Krankheit ist die Diagnose", sagt er deshalb. Sie sei | |
die Voraussetzung, dass man die Kinder entsprechend fördern könne - indem | |
man sie etwa psychotherapeutisch betreue und auf eine Förderschule schicke. | |
Genau hier wird es aber kompliziert. Denn FASD zu diagnostizieren ist nicht | |
leicht, die Symptome sind sehr diffus. Spohr hält sich bei seiner Arbeit an | |
einen diagnostischen Katalog der Amerikanerin Susan Astley. Kontrolliert | |
wird dabei, ob die Kinder zum Beispiel untergewichtig sind, ihr Gehirn | |
etwas kleiner ist als normal, sie eine schmale Oberlippe und kleine Augen | |
haben oder verhaltensauffällig sind. Seine Erkenntnisse fasst er in | |
Gutachten zusammen, die die Voraussetzung für entsprechende Förderung sind. | |
"Ob Behindertenausweis, Pflegestufe oder die Durchsetzung erweiterten | |
Förderbedarfs - alles geht einfacher mit Diagnose und Gutachten", meint | |
Pflegemutter Frenzel. | |
Doch außer dem FASD-Zentrum in Wedding macht sich nur ein Psychologe im | |
westfälischen Münster diese Arbeit. Bei dem seien aber schon jetzt die | |
Termine bis 2013 ausgebucht, weiß Frenzel. Die Schließung des Zentrums | |
hinterlässt also eine riesige Lücke. Die Kinderärzte als erste Anlaufstelle | |
lassen bislang die Finger vom Thema FASD - die Diagnose ist komplex und | |
lässt sich derzeit auch nicht bei den Krankenkassen abrechnen. Im kommenden | |
Jahr soll es zwar endlich einen Code für die Abrechnung der FASD-Diagnose | |
geben, die Kosten für das Gutachten von rund 250 Euro müssen aber auch dann | |
weiterhin die Pflegeeltern tragen. | |
## 4.000 Fälle im Jahr | |
Laut einer Schätzung, die Spohr unter anderem auf Basis einer eigenen | |
Forschungsreihe aus den 90er Jahren angestellt hat, werden in Deutschland | |
jährlich rund 4.000 Kinder mit FASD geboren. "Diese Zahl ist aber sehr | |
konservativ bestimmt. In Kanada geht man davon aus, dass eines von hundert | |
Kindern unter der Krankheit leidet", meint der Professor. Der Bedarf für | |
sein Zentrum sei also da, weshalb ein neuer Sponsor dringend benötigt | |
werde. | |
Auch Adrienne Frenzel hofft, dass die Schließung des Zentrums zum | |
Jahresende nur vorübergehend ist. "Es ist für uns eine wichtige | |
Anlaufstelle für die Diagnose, aber auch für spätere | |
Kontrolluntersuchungen", sagt sie. Um in Zukunft nicht ganz allein | |
dazustehen, hat sie im September eine Selbsthilfegruppe für Pflegeeltern | |
von FASD-Kindern gegründet. Bereits jetzt seien zwölf Familien dabei, zum | |
nächsten Treffen hätten sich schon wieder zwei neue angesagt. "Der Bedarf, | |
sich auszutauschen und gegenseitig zu beraten, ist riesig." | |
Mit der Stiftung für das behinderte Kind hat das Zentrum auch in Zukunft | |
zumindest einen Unterstützer auf seiner Seite. "Unser Eigenkapital reicht | |
aber nicht aus, um das Zentrum selbst zu tragen", erklärt Georg Ralle, | |
Vorstandsmitglied der Stiftung. Daher habe man sich vor zwei Jahren "Ein | |
Herz für Kinder" mit ins Boot geholt. Nun helfe man bei der Suche nach | |
einem neuen Sponsor - damit die Arbeit weitergehen kann. | |
19 Dec 2011 | |
## AUTOREN | |
Juliane Wiedemeier | |
## TAGS | |
Alkohol | |
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