# taz.de -- Künstler-Nachwuchs: Ein Stück Märchenwald | |
> Die junge Kieler Kunstszene legt eine erstaunliche Vielseitigkeit an den | |
> Tag. Zu sehen ist das derzeit in der wundertütenartigen Ausstellung zum | |
> Gottfried Brockmann Preis in der Stadtgalerie | |
Bild: Voller Widersprüche: Samuel Segers Arbeit "ü.N.N.". | |
KIEL taz | Das Schöne an Ausstellungen dieser Art ist, dass ihre | |
Ankündigung furchtbare dröge, ihr Inhalt aber meist ziemlich | |
leidenschaftlich ist. "Gottfried Brockmann Preis 2011" heißt die | |
Ausstellung in der Stadtgalerie Kiel, und mal abgesehen von der | |
inflationären Einrichtung der Kunstpreise, fragt man sich: Gottfried … wer? | |
Dieser Brockmann war dem Ausstellungskatalog zufolge selbst Künstler und | |
wirkte über 30 Jahre lang in Kiel als Kulturdezernent, Lehrbeauftragter und | |
Professor. Die Kieler haben kurz nach seinem Tod den Brockmann-Preis | |
erfunden, der seit 1985 alle zwei Jahre vergeben wird an einen jungen, | |
talentierten und in Kiel wohnenden Künstler. | |
Bekommen hat den mit 5.000 Euro dotierten Preis in diesem Jahr der | |
Kunststudent Samuel Seger, demnächst 30 Jahre alt, geboren in Lörrach in | |
der Nähe von Basel. Betritt man die weitläufige Ausstellungsfläche der | |
Kieler Stadtgalerie, wirft einem dieser Seger erst mal Autoreifen entgegen: | |
In einem Video wirft ein junger Mann einen Reifen quer durch den Raum | |
direkt auf die Kamera und damit auf den Betrachter zu, und zwar im Rhythmus | |
eines 1-Sekunden-Loops. | |
Es geht um Kraft und Zerstörung, mobilisiert durch die Freiheit der Kunst. | |
Eine schöne Arbeit zum Einstieg in eine Ausstellung, die neben Arbeiten von | |
Preisträger Seger die Arbeiten von vierzehn weiteren jungen Kieler | |
KünstlerInnen zeigt. | |
Zunächst aber steht da jene raumgreifende Installation, die vermutlich den | |
Ausschlag für die Preisvergabe gegeben hat: Segers Arbeit "ü.N.N." ist ein | |
Mobilé der Gegensätze. Das Fragile und Bewegliche des Mobilés stellt Seger | |
aus Modellierböcken und Plastikeimern her, zwei Dingen also, die eher für | |
das Statische, Grobschlächtige stehen. Die grundsätzliche Idee ist also die | |
einer Zweckentfremdung. Was schon immer gut war für frischen Wind - das ist | |
in der bildenden Kunst nicht anders als in der Rockmusik. | |
Ebenso mit dem Mittel der Zweckentfremdung arbeitet die gebürtige | |
Bielefelderin Constanze Vogt: Sie hat unter anderem einen Vorhang aus | |
Schnellheftern gebaut und nutzt Briefumschläge als Träger für ihre | |
Zeichnungen. | |
Ein paar Räume weiter geht es dann nicht mehr ums Material, sondern um die | |
erzählerischen Möglichkeiten der Kunst: Der Bremer Johannes Flechtenmacher | |
hat eine Landschaftsszene gebaut - aus einem Baum, einem Vogelkasten, einem | |
Schild mit dem Schriftzug "Nebel" darauf und einer projizierten Sonne, in | |
der ein Käfer im Kreis läuft. Ab und zu fällt eine Kunstwolke von der Decke | |
und aus den Lautsprechern kommt der Satz: "Achtung, Achtung, eine Wolke". | |
Es ist ein Stück Märchenwald, den Flechtenmacher da gebastelt hat, | |
hoffnungslos verrätselt und damit radikal deutungsoffen. | |
Das Märchenhafte ist nur ein Aspekt dieser Ausstellung, die ansonsten auch | |
mit gestapeltem Holz, Hörspiel-Kunst und Fotos aus dem Alltag arbeitet. Sie | |
funktioniert wie eine Wundertüte, und es ist schön, dass hier nichts | |
zusammenpasst, dass es keinen roten Faden gibt und vom künstlerischen Gag | |
bis zum unergründlichen Tiefgang alles dabei ist. Zu spüren ist die Energie | |
des Suchens und Ausprobierens. Sie dürfte früher oder später verschwinden, | |
sobald aus den aussichtsreichen Ausstellenden etablierte Künstler geworden | |
sind - oder vom Markt verschmähte, je nachdem. | |
## Gottfried Brockmann Preis 2011: bis 22. Januar, Stadtgalerie Kiel | |
21 Dec 2011 | |
## AUTOREN | |
Klaus Irler | |
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