# taz.de -- Recycling und Mode: Blech am Körper | |
> Blechdosentaschen als Einstieg in die Designerinnenexistenz: Die | |
> Künstlerin Miss Lata verwendet alte Regenschirme, Filmdosen und | |
> Teelichter als Rohmaterial für ihre Kollektion. | |
Bild: Dem Glanz von Schokoladenpapier verfallen: Miss Lata. | |
Müll glänzt. Blechdosen, Kronkorken, Joghurtbecherdeckel, Sicherheitskappen | |
auf Champagnerkorken und verlorene Radkappen glänzen. Es glänzen | |
Kaffeeverpackungen und Pralinenbetten. Auch Disketten, alte Filmrollen und | |
Schokoladenpapier. | |
Miss Lata ist diesem Glanz verfallen, lange schon. Damals war es eine | |
Tomatenmarkdose. Sie nahm sie, schob ihre Haare durch und zierte ihren | |
wippenden Pferdeschwanz damit. Verrückt? Ungewöhnlich? So ungewöhnlich auf | |
jeden Fall, dass die junge Frau fortan "Miss Lata" hieß. "Lata" - wie Gaga. | |
Wie Dada. Auf Spanisch bedeutet "lata" zudem "Blechdose". Der Name | |
entspricht so gesehen der Wahrheit. | |
Miss Lata, die eigentlich Chusa Lanzuela Gracia heißt, war in Berlin die | |
erste Designerin, die Mode und Accessoires aus Wohlstandsmüll produzierte. | |
## Schock im Studio | |
Hinter verschlossenen Toren führt der Weg durch leere, dunkle Gänge zu | |
ihrem Atelier. Dann die Tür zu ihrem Studio: Fürs Sehen ein Schock. Denn wo | |
vorher kaum etwas war, ist jetzt zu viel. Vom Nichts. Vom Alles. Auf | |
dreißig Quadratmetern stapeln sich Kisten mit Teelichtnäpfen, Plastiktüten | |
voller Zahnpastatuben. Dazu kaputte Wäscheständer, leere Plastikflaschen, | |
alte Filmrollen, Kartoffelsäcke, Tetra-Paks. Alles sticht ins Auge. | |
Und alles, was am Ende der Verwertungskette war, wird hier der Anfang von | |
neuen Geschichten: Filmdosen werden Korsagen, Teelichter werden Röcke, | |
Blechdosen werden Handschellen. Schraubdeckel von Flaschen werden Sterne. | |
Sie nimmt einen, schneidet mit einer Blechschere Schnitte in den Rand, | |
klopft den Deckel gerade, bohrt in einen der Zacken ein kleines Loch, fährt | |
mit Schleifpapier darüber, damit er glitzert. "Klar, ich arbeite mit | |
Materialien, die Müll waren", sagt sie mit ihrem harten, rollenden Akzent, | |
der sie zwingt, Vokale ganz schnell zu sprechen, "das ist meine | |
Philosophie." | |
Vor zwanzig Jahren hat es Miss Lata, deren Haare heute wild hochgesteckt | |
und mit einem Orangennetz und Stäbchen fixiert sind, nach Berlin | |
verschlagen. Anfangs kam es ihr wie ein Versehen vor. Warum? Sie kam im | |
Winter. Berlin war hässlich und kalt. "Aber es gibt einen Grund, für den | |
gehen alle das größte Risiko ein." Für die Liebe etwa? "Ich sage nicht, | |
dass es bei mir so war. Das ist nur eine Möglichkeit", antwortet sie. Sie | |
mag private Fragen nicht. Auch die nicht nach ihrem Alter. Ihre großen, | |
dunklen Augen wirken durch die senkrechten Stirnfalten, die sich zwischen | |
ihren Augenbrauen ins Gesicht gebohrt haben, bei solchen Fragen noch | |
dunkler. | |
## Harter Anfang in Berlin | |
Als sie ankam, konnte sie kein Deutsch. "Die Sprache war hart." Sie nahm | |
jeden Job an. Der Mangel an direkter Mitteilungsmöglichkeit und Geld formte | |
die gelernte medizinisch-technische Assistentin, studierte Psychologin | |
dazu, zu einer, die Stadt durch Sehen begreift: "Wer fremd dasteht, misst | |
dem, was er entdeckt, eine eigene Bedeutung bei." Ihr Blick blieb am Müll | |
hängen. Berlin gab ihr, womit sie sich beschäftigen sollte. "Außerdem: | |
Gebastelt habe ich immer gern." | |
Die Blechdosentaschen sind ihr Einstieg in die Designerinnenexistenz. | |
Präzise gestaltet mit aufklappbarem Deckel, innen ausgekleidet mit Samt. | |
Komplettiert werden sie mit Tragegriffen und Schnallen, die von | |
weggeworfenen Koffern stammen. Wer das Objekt erwirbt, kauft Exzentrik und | |
tut etwas für die Umwelt. | |
Bald entwarf Miss Lata zu den Accessoires auch die Kostüme. Kleider und | |
Roben aus Recyclingmaterial hat sie angefertigt. Kettenhemden aus | |
Kronkorken, Bustiers aus den Innenseiten von Saftkartons, Röcke aus leeren | |
CD-Hüllen, Sakkos aus Leitz-Ordnern. Ganze Kollektionen, mit denen sie | |
avantgardistische Modenschauen bestückte, mit denen sie den Karneval der | |
Kulturen bereicherte, mit denen sie Schaufenster ausstaffierte und auf | |
Partys auftrat. Manchmal verdiente sie damit ihr Geld. | |
## Kirchen als Inspiration | |
"Alles ist eine Frage der Leidenschaft", sagt Miss Lata, "obwohl es gute | |
und schlechte Momente gibt, wie bei jeder Arbeit." Bei ihren | |
Kleiderkollektionen lässt sie sich mitunter vom detailverliebten Überfluss | |
der katholischen Kirche und ihren strahlenden Heiligen inspirieren, auch | |
von Frida Kahlo und dem surrealistischen Filmemacher Luis Buñuel. "Er ist | |
in der gleichen vergessenen Provinz wie ich geboren. In Aragon", sagt sie. | |
Sie glaubt an eine Seelenverwandtschaft. Ästhetisch und radikal - so muss | |
es sein. In ihrem Atelier stehen Kostüme aus der Kahlo- und der | |
Buñuel-Kollektion: bodenlange Roben aus glänzendem Metall für Kahlo, | |
geschwungenes Papierrecycling mit Fotokopien des Auges aus dem Film "Der | |
andalusische Hund" für Buñuel. | |
Alles wirkt improvisiert und schnell, selbst wenn es eine lange | |
Entwicklungsphase brauchte. Das Improvisierte, das Flexible spiegelt, so | |
findet Miss Lata, den Geist Berlins in den Jahren nach dem Mauerfall. "Da | |
war diese ganze Bewegung, diese Welle, dieser Tsunami. So wild. Es gab | |
keine Regeln. Es war alles erlaubt." Heute sei Berlin für sie auf andere | |
Art interessant. Als Ort, den man immer wieder verlassen muss, aber zu dem | |
man doch wieder zurückkehrt. Ein Ort des zurückgelassenen Koffers. | |
Für eine wie Miss Lata, die Avantgarde war, die mit Recyclingmaterial | |
arbeitete, als die meisten noch dachten, das sei Müll, ist der derzeitige | |
Recyclingboom, wo viele aus alten Fahrradschläuchen Taschen machen, eine | |
Herausforderung. "Ich muss mich neu erfinden", sagt sie. Damit sie das Alte | |
abschließen kann, plant sie eine Retrospektive ihrer Entwürfe. | |
## | |
Das Neue probiert sie indes aus: Sie wird zur Lehrerin und macht Projekte. | |
"Außerhalb von Berlin - damit ich Berlin ertragen kann." Neulich war sie | |
einen Monat lang in Taiwan. Sie hat, zusammen mit anderen Künstlern, auf | |
dem dortigen Karneval die deutsche Hauptstadt vertreten und dafür Kostüme | |
entwickelt mit Einheimischen. Als sie hinfuhr, hatte sie eine Vorstellung. | |
Sie dachte: Plastiktüten seien das Material, das es in Taipeh im Überfluss | |
gibt. Dann gab es, kaum war sie da, drei Tage lang schlimmste Unwetter. Als | |
sie nachließen, war der zentrale Platz übersät von Regenschirmen. "Die | |
Stadt hat mir das Material vor die Füße gespült", sagt sie. In einem alten | |
Hangar entsteht aus den weggeworfenen Regenschirmen die | |
Karnevalskollektion. "Zuerst dachten die Leute, ich sei verrückt, aber dann | |
hat es sie interessiert", erzählt sie. "Für mich war das intensiv. Ich kann | |
kein Chinesisch. Viele konnten kein Englisch. Wo kommst du her? Was machst | |
du in Germany? Wir haben uns trotzdem verstanden." | |
[1][Miss Lata] hat ihre Existenz auf drei Beine gestellt: Recycling, | |
Flexibilität und Improvisation. "Improvisation ist die erste Regel in | |
meiner Arbeit und meinem Leben. Ich habe viel Erfahrung damit." Die gibt | |
sie auch an Kinder weiter. Und sie hat festgestellt, dass diese sich oft | |
nicht mehr als Forschende, sondern nur als Rezipierende verstehen. Es | |
irritiere die Kinder, wenn sie ihnen sage, dass das, womit sie nun arbeiten | |
sollen, nicht von jemandem hingestellt wird - und dass sie es selbst suchen | |
müssen. "Die Kinder wissen nicht mehr, wie sie es schaffen sollen, wenn der | |
gerade Weg nicht geht." Miss Lata zeigt ihnen, dass sie eigene Lösungen | |
finden können. | |
24 Dec 2011 | |
## LINKS | |
[1] http://www.misslata.com/ | |
## AUTOREN | |
Waltraud Schwab | |
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