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# taz.de -- Kolumne Knapp überm Boulevard: Totalitarismus der magischen Art
> Durch Zufall sind zwei gegensätzliche Ereignisse gleichzeitig in den
> Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit geraten: die Trauer um Kim Jong Il
> und die Trauer um Václav Havel.
Durch Zufall sind dieser Tage zwei Ereignisse, die gegensätzlicher nicht
sein könnten, gleichzeitig in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit
geraten: die Trauer um Kim Jong Il und die Trauer um Václav Havel.
Aus Nordkorea, dem aberwitzigsten Irrläufer des Kommunismus, erreichen uns
Bilder von bizarren Massenhysterien, deren Fremdheit nur dadurch gemildert
wird, dass wir solche Bilder schon nach dem Ableben von Kim Il Sung gesehen
haben. Und alle sind gebannt von der Frage: Sind diese Gefühle echt oder
ist das eine staatlich gelenkte Propaganda?
Aber vielleicht ist das gar nicht das Entscheidende und die Frage nach der
inneren Überzeugung ist nur unser protestantischer Zugang. Vielleicht
sollte man eher danach fragen, warum die Trauer gerade so inszeniert wird.
Zu dieser Inszenierung gehört nicht nur das öffentliche Ausagieren, sondern
ebenso das Einbeziehen der Natur in die Trauer. So berichtete die
offizielle Nachrichtenagentur von trauernden Tieren, wehmütigen Kranichen
und berstenden Eisdecken im Todesmoment. Beides gehört zusammen und ist
Teil jenes magischen Totalitarismus, der Nordkorea zum letzten
Eingeborenenstamm des 20. Jahrhunderts macht.
## Emotional infantilisiert
Das Aufgehen in der Masse einer kollektiven, ansteckenden Trauerhysterie
befördert dieses infantil-magische Gefüge. Das Einzige, was wir daran
verstehen können: Hier findet ein kollektiver Regress statt. Da geht es
nicht um Innerlichkeit, um echte Gefühle, die schon vorher da waren; da
geht es um eine Inszenierung, die einen emotionalen Zugriff auf die
Menschen herstellt. Das ist eine "Gefühlsdisziplinierung" (nach einem Wort
der Soziologin Helena Flam). Die Leute werden emotional infantilisiert und
ihre Unmündigkeit damit perpetuiert.
Das genau gegenteilige Szenario konnte man in Prag beobachten. Die
kollektive Trauer um Václav Havel ist die Trauer um ein Symbol, bei der
deutlich unterschieden wird zwischen dem Menschen und dem, was er
repräsentiert - nämlich den Inbegriff des Dissidenten. Der Dissident war
jene Figur, die die Verbindung von Geist und Macht, von Politik und Moral
darstellte.
Eine Verbindung, die eine Generation zuvor von jenen Intellektuellen
desavouiert wurde, die im Namen des Guten kommunistische Diktaturen
legitimierten (auch wenn es ihnen später meist selbst an den Kragen ging).
Mit dem Dissidenten hat die diskreditierte Figur des politischen
Intellektuellen eine moralische Erneuerung erfahren. Nunmehr bezog diese
ihre Legitimation aus dem Widerstand gegen eben jenen Kommunismus, für den
ihre geistigen Vorgänger gekämpft hatten. Deshalb war der "Ritterschlag"
des Dissidenten der kommunistische Knast.
## Linke Hoffnung? Vergangenheit!
Hier "erwarb" er seine Glaubwürdigkeit. So ermöglichte der Dissident -
kurzzeitig - das Wiederaufleben einer linken Hoffnung auf saubere Politik,
die der realexistierende Sozialismus zunichte gemacht hatte. In der Trauer
um Václav Havel lebt diese Erinnerung an eine Hoffnung noch einmal auf: Im
Klingeln der Schlüsselbunde, jener Geste, mit der die Mündigkeit damals
eingeläutet werden sollte, erinnerten sich die Trauernden an die Erfahrung
der Befreiung - und schafften einen kurzen Moment der Distanz zur
kapitalistischen Gegenwart.
Die Trauer um Václav Havel ist auch die Trauer darum, dass es solch eine
Figur heute nicht mehr gibt. Das aber ist weder ein Zufall noch ein Mangel
an Persönlichkeiten. Das liegt vielmehr an der Konstellation, die unsere
Gegenwart ausmacht, und genau darin liegt auch das Gemeinsame dieser
absolut gegensätzlichen Ereignisse.
Beide gehören einer Vergangenheit an, selbst ihr Antagonismus ist nicht
mehr der unsere. Auch wenn der kommunistische Totalitarismus in Nordkorea
nicht zu Ende ist, so ist er doch ein Auslaufmodell - der Dissident und
sein Hoffnungshorizont aber leider auch. Selbst ihr Gegensatz gehört einer
anderen Epoche an. Was man sich für Nordkorea wünscht, das muss man bei
Václav Havel leider einsehen: Das ist Vergangenheit. Solch eine Figur gibt
es heute nicht mehr, weil es sie nicht mehr geben kann. Das ist der Typus
einer anderen Zeit.
26 Dec 2011
## AUTOREN
Isolde Charim
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