# taz.de -- Montagsinterview mit Simon Kowalewski: "Eigentlich müssten wir Wä… | |
> Der Pirat hat früher ein veganes Biocafé betrieben, jetzt sitzt er im | |
> Abgeordnetenhaus - zwischen geliehenen Möbeln: Vieles ist noch ein | |
> Provisorium bei den Neu-Parlamentariern. | |
Bild: Noch ein bisschen fremd in der neuen Umgebung: Der Pirat Simon Kowalewski. | |
taz: Herr Kowalewski, was macht mehr Spaß - im Café hinter der Theke zu | |
stehen oder im Plenum des Abgeordnetenhauses den Reden der Abgeordneten zu | |
lauschen? | |
Simon Kowalewski: Ich kann gar nicht sagen, was davon mehr Spaß macht. Es | |
sind zwei so unterschiedliche Sachen: Hier im Abgeordnetenhaus ist alles | |
viel strukturierter, als es im Café war, das ich vorher hatte. Aber das | |
Spannende ist gerade, dass man das Gefühl hat, Teil einer völlig neuen | |
Entwicklung zu sein. Einer Entwicklung, der von überall auf der Welt Leute | |
zuschauen. | |
Ist die Arbeit also nur deshalb spannend, weil die Piraten jetzt im | |
Mittelpunkt stehen? | |
Nein, auch wenn es tatsächlich neu für mich ist, ständig angerufen zu | |
werden und auf Veranstaltungen von zwei, drei Kamerateams umgeben zu sein. | |
Aber das gehört halt zum Job. Spannend ist für mich vor allem, dass man auf | |
einmal in all den Vorgängen ist, die man sonst nur aus der Zeitung kannte, | |
mittendrin ist. Wenn jetzt überall gesagt wird, dass der Ausschuss zum | |
Wassertisch wirkungslos wird, weil er kein Geld bekommt, dann war man | |
selber live dabei. | |
Aber etwas ändern konnten die Piraten auch nicht. | |
Das ist das Problem der Opposition. Bei den ganz großen Entscheidungen, bei | |
denen es der Koalition wirklich um etwas geht, da kann man wenig machen. | |
Aber die Detailarbeit in den Ausschüssen, da kann man Sachen aushandeln und | |
Kompromisse schließen. "Opposition ist scheiße", wie das ein großer | |
SPD-Politiker mal gesagt hat, das finde ich nicht. | |
Ist es zu viel Struktur? | |
Es kommt drauf an. Zum Beispiel ist die Verwaltung im Abgeordnetenhaus | |
total flexibel. Wenn man man kurzfristig einen Raum braucht, ist das kein | |
Problem, obwohl die Regularien vorsehen, dass man das eine Woche vorher | |
anmelden soll. | |
War es schwer, von Cafébesitzer auf Abgeordneter umzustellen? | |
Das Ganze passierte sehr erdrutschartig. Ich war am Sonntagabend auf der | |
Wahlparty. Und im Laufe des Abends, mit den genaueren Hochrechnungen, wurde | |
irgendwann klar, dass ich ins Abgeordnetenhaus komme. Am nächsten Morgen | |
bin ich in mein Café und hab einen Zettel an die Tür gehängt, dass ich in | |
nächster Zeit keinen Betrieb machen kann. Es war wirklich ein Umstieg von | |
einem Tag auf den anderen. Und zudem ein Umstieg, mit dem man nicht mal | |
richtig rechnen konnte. | |
Die Entscheidung, Ihr Café zu schließen, fiel also auf der Wahlparty? | |
Im Grunde schon. Der Montag danach fing so an, dass nach zwei Stunden | |
Schlaf der erste Radiosender angerufen hat, um mich live auf Sendung zu | |
nehmen. Dann hatten wir unsere Pressekonferenz im Abgeordnetenhaus, und | |
dann bin ich in meinem Café vorbei, um den Zettel aufzuhängen. Da saßen | |
schon Leute draußen und wollten rein. Denen musste ich dann sagen: Sorry, | |
geht leider nicht. Das Einzige, was ich da jetzt noch mache, ist die | |
Abwicklung, Steuern zum Beispiel und die Suche nach einem Nachnutzer. | |
Haben Sie sich vorher Gedanken darüber gemacht, dass es mit der Wahl eine | |
Zäsur geben könnte? | |
Darüber habe ich zum ersten Mal nachgedacht, als die erste Prognose kam, | |
die uns bei 9 Prozent gesehen hat. | |
Das war wenige Tage vor der Wahl. | |
Insofern war absehbar, dass die Möglichkeit bestand. Und jetzt ist es halt | |
so. | |
Sie klingen so, als wäre das ein Schicksal, das Sie einfach so hinnehmen. | |
Bedauern Sie, dass es so gekommen ist? | |
Nein, das würde ich nicht sagen. Bedauern ist ohnehin etwas, das ich sehr | |
ungern mache. Wenn ich eine Entscheidung treffe, will ich da auch voll | |
dahinterstehen. Ich hab mir aber diese Frage noch gar nicht gestellt, weil | |
man hier im Parlament einfach so mitgerissen wird von einer Welle, es | |
passieren immer wieder neue Dinge. Den Gedanken, dass ich ja jetzt auch | |
ganz gemütlich am Tresen stehen könnte, den hat man einfach nicht. | |
Was glauben Sie, wie lange hält diese Welle an? | |
Gute Frage. Was ja für das nächste Jahr gleich ansteht, sind die | |
Haushaltsdebatten. Ich glaube, die können anstrengend sein. Vielleicht geht | |
dann etwas von der Euphorie verloren. | |
Und dann? | |
Na ja, ich habe jetzt hier einen Job für fünf Jahre, einen Auftrag. Ich | |
wurde gewählt, und ich werde das auch machen. Ich hoffe, dass es mir Spaß | |
macht, aber wenn es mir nicht ganz so viel Spaß macht, ist das auch okay. | |
Ich habe mich aufstellen lassen und trage natürlich auch die Konsequenzen. | |
Worin sehen Sie denn Ihren Auftrag? | |
Den sehe ich darin, einerseits unsere Wähler zu vertreten, die unser | |
Programm gut finden. Ich sehe mich aber auch als Vertreter aller Berliner, | |
also auch derer, die CDU gewählt haben und unsere Ideen überhaupt nicht gut | |
finden. | |
Das ist nicht wirklich miteinander zu vereinbaren, oder? | |
Das ist richtig, da muss man Prioritäten setzen. Grundsätzlich denke ich, | |
dass man schon das große Ganze im Blick haben muss. Das bedeutet auch, die | |
Extrempositionen, die man mal für sich selber und seine Wähler gemacht hat, | |
vielleicht etwas abzuschwächen. | |
Zum Beispiel? | |
Wir haben zum Beispiel eine sehr progressive Familienpolitik. Wir wollen | |
ein ganz anderes Familienbild, als es das derzeit gibt. Das fängt bei der | |
Abschaffung des Ehegattensplittings an und geht bis dahin, dass Behörden | |
das Geschlecht einer Person nicht mehr erfassen sollen. Das lässt sich | |
natürlich nicht sofort durchsetzen, das ist klar. Aber man kann sich diesem | |
Ziel schrittweise annähern. | |
Auf Ihrem Twitter-Profil beschreiben Sie sich als "Mitglied des | |
Abgeordnetenhauses. Veganer. Polyamor. Ingenieur der Informationstechnik. | |
Administrator. Elektronik-Hacker. Nerd. Apple-User. Pirat". Ist die | |
Reihenfolge eine Wertung? | |
Nein, die ist völlig willkürlich. Es sind einfach ein paar Schubladen, die | |
Menschen helfen sollen, die mich nicht kennen. Was mir wirklich wichtig ist | |
im Leben, das kann ich nicht auf den 140 Zeichen formulieren. Aber es sind | |
natürlich schon Ausprägungen, die klar machen, worüber ich nachdenke. Wenn | |
ich sage, ich bin Veganer, dann sage ich damit einerseits, dass ich hier in | |
der Kantine meistens Beilagen esse. Aber es drückt natürlich auch auch eine | |
Haltung aus. Nämlich dass ich davon ausgehe, dass wir alle unser Verhalten | |
ändern müssen, wenn wir diesen Planeten noch ein bisschen behalten wollen. | |
Es geht also nicht ohne Schubladen? | |
Problematisch wird es dann, wenn man die Menschen nur in eine Schublade | |
steckt. Wenn man also sagt, das ist ein CDUler, mit dem brauche ich erst | |
gar nicht zu reden. | |
Sie waren selbst früher zeitweise bei anderen Parteien, lange bei der PDS | |
und kurz bei den Violetten. | |
Ja, politisch interessiert war ich schon vor den Piraten. Bei den Violetten | |
war es interessant mitzukriegen, wie das in einer ganz neuen Partei läuft. | |
Und welche Fehler man besser nicht machen sollte. | |
Welche? | |
Zum Beispiel, dass man sich keine nationalistischen Strömungen in die | |
Partei holt. Damit hatten wir bei den Berliner Piraten glücklicherweise | |
noch keine Probleme. Trotzdem war natürlich der Landesvorstand hier stark | |
gefordert in den letzten Wochen. | |
Durch den Mitgliederzuwachs seit der Wahl? | |
Ja und dadurch, dass Leute, die vorher sehr aktiv im Landesverband waren, | |
jetzt im Abgeordnetenhaus sind oder in den Bezirksverordnetenversammlungen | |
und damit für die Parteiarbeit größtenteils ausfallen. Ich glaube, den ein | |
oder anderen haben wir in letzter Zeit auch ein bisschen verbrannt, weil | |
das Arbeitsaufkommen für ein Ehrenamt eigentlich überhaupt nicht mehr zu | |
leisten ist. Das ist ein echtes Ungleichgewicht zur Fraktion, die doch sehr | |
viel Geld bekommt, sodass wir damit alle möglichen Leute einstellen | |
konnten. | |
Sie haben kurz nach der Wahl über die Zusammenarbeit in der Fraktion gesagt | |
"das könnte die absolute Psychonummer werden". | |
Es gibt tatsächlich Punkte, die sind spannend. | |
Und zwar? | |
Wir hatten vor Kurzem eine Klausurtagung mit Mediatoren. Eigentlich sollte | |
es um die Raumaufteilung gehen, aber es entzündete sich daran eine | |
Diskussion, die sehr viel tiefer ging, nämlich um die Frage, was eigentlich | |
unsere Werte und unsere Forderungen uns selbst gegenüber sind. Es gab einen | |
Vorschlag, der für einzelne Leute sehr repräsentative Räume vorsah und für | |
andere ein sehr beengtes Arbeiten. Und das entspricht einfach nicht unseren | |
Werten, jemanden, nur weil er gerade eine bestimmte Position hat, solche | |
Privilegien zu geben. | |
Aber es wirkt von außen betrachtet schon ein bisschen komisch, dass die | |
Piraten seit fast vier Monaten im Abgeordnetenhaus sitzen und es bislang | |
noch nicht mal geschafft haben, sich auf eine Raumaufteilung zu einigen. | |
Das Problem ist eher, dass die Räume einen bestimmten Zuschnitt haben und | |
trotzdem unsere Zusammenarbeit abbilden sollen. Eigentlich müssten wir | |
dafür Wände einreißen. | |
Also doch zu viel Struktur. | |
Ja, an einigen Punkten schon. Aber wir müssen selbst daran arbeiten, die | |
Strukturen aufzulösen, wie bei den Fraktionssitzungen, wo wir jetzt im | |
Kreis sitzen und nicht mehr in der Konferenzordnung. | |
Sie kommen ursprünglich aus dem Ruhrgebiet. Wäre da ein Erfolg der Piraten | |
wie in Berlin denkbar? | |
Wir haben letztes Jahr im Wahlkampf einige Piraten in Dortmund besucht, um | |
sie zu unterstützen. Und das ist schon eine andere Stadt als Berlin. Wobei | |
es auch in Berlin vor der Wahl unterschiedlich war: Wenn du hier im Görli | |
stehst und Unterschriften sammelst, dann stehen die Leute Schlange, weil | |
sie unbedingt unterschreiben wollen. Aber wenn man in Griebnitzsee mal | |
rausgeht, stellt man fest, dass 90 Prozent der Leute nicht mal wissen, was | |
die Piraten überhaupt sind. | |
Und außerhalb Berlins gibt es mehr Griebnitzsee als Görlitzer Park? | |
Irgendwie schon. Wir haben schon immer gesagt: Wenn wir es irgendwo | |
schaffen, in ein Landesparlament zu kommen, dann in Berlin. Aber genau das | |
sorgt für so ein Echo, dass es mittlerweile auch woanders vorstellbar ist. | |
Was macht denn bitte schön Spaß daran, Wahlkampf zu machen? | |
Eigentlich klingt es unlogisch, man steht sich die Beine in den Bauch und | |
muss sich auch noch blöde Kommentare anhören. Aber das Schöne ist: Man | |
kommt mit den Leuten ins Gespräch. Man nimmt Anregungen mit, Kritik. Es ist | |
einfach toll, mit Leuten zu reden. Wenn man hier drin im Büro sitzt, schaut | |
man vor allem auf Akten oder redet immer wieder mit den gleichen Nasen. | |
Dabei sind die Leute, um die es geht, da draußen. Mit denen muss man | |
sprechen, sonst arbeitet man irgendwann an ihnen vorbei. | |
Wie viel sind Sie derzeit draußen? | |
Momentan viel zu wenig. Das liegt daran, dass es gerade in der Fraktion so | |
viel zu tun gibt. Allein alle neuen Mitarbeiter kennen zu lernen, das | |
dauert. | |
Also kaum gewählt, schon ist der Anschluss weg? | |
Dass es zwischenzeitlich so ist, ist ja durchaus nachvollziehbar. Ein | |
Problem ist es erst dann, wenn man es nicht als Problem erkennt. Wenn man | |
also denkt, na ja, ich hab ja meinen wissenschaftlichen Dienst, der erklärt | |
mir schon, wie die Welt funktioniert. Ich muss also schauen, dass ich mir | |
auch wieder die Zeit nehme, mal rauszugehen oder einen Infostand zu machen. | |
Aber es gibt so vieles, für das ich keine Zeit habe. Eine Beziehung zum | |
Beispiel - das wäre gerade gar nicht machbar. | |
Und in ein paar Jahren? | |
Wie es weitergeht, dass weiß ich vielleicht in vier Jahren. Diese typische | |
Frage, wie ich mir mein Leben in fünf Jahren vorstelle, ist eigentlich | |
nicht zu beantworten. | |
Können Sie sich das Politikerdasein denn längerfristig vorstellen? | |
Eigentlich ist politisches Arbeiten die einzige Konstante in meinem Leben, | |
ich war immer in irgendwelchen Parteien oder Organisationen. Ich denke, das | |
wird nicht aufhören. Ob das nun eine weitere Runde hier im Abgeordnetenhaus | |
sein wird - keine Ahnung. Aber es wird sicher mit Politik zu tun haben. | |
1 Jan 2012 | |
## AUTOREN | |
Svenja Bergt | |
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