# taz.de -- Debatte Wirtschaftskrise: Mehr Kapitalismus wagen | |
> In Deutschland und der Welt grassiert der Feudalismus. Viele der heutigen | |
> Probleme wären gelöst, wenn ein echter Kapitalismus durchgesetzt würde. | |
Wer den Raubtierkapitalismus für die Weltwirtschaftskrise und den Verfall | |
von Rechts- und Sozialstaats anklagt, meint das Richtige und sagt das | |
Falsche. Der richtige Name des gegenwärtigen Hauptübels unserer | |
Gesellschaft lautet Feudalismus. Kapitalismus - konsequent umgesetzt - wäre | |
die Rettung. | |
Strukturell gesehen, bedeutet Kapitalismus die organisatorische Trennung | |
von Kapital und Arbeit. Daraus folgt nicht nur, dass Massenentlassungen | |
selten einen Nachteil für den Aktienkurs einer Firma haben, sondern auch | |
umgekehrt, dass der Bankrott von unfähigen Managern und Anteilseignern für | |
die Beschäftigten nur von Vorteil ist. | |
Im Feudalismus hingegen besitzt ein abgewirtschaftetes Führungspersonal die | |
rechtlichen Mittel und meist auch die Skrupellosigkeit, den eigenen | |
Untergang durch das sinnlose Opfer von Abhängigen am Altar der eigenen | |
Unfähigkeit endlos hinauszuzögern. | |
## Wenn Leistung nicht mehr zählt | |
Kapitalismus gründet auf dem Leistungsprinzip: Die Übertragung von Kapital | |
an fachlich und charakterlich ungeprüfte Erben ist wohl die zynischste | |
Verspottung des kapitalistischen Leistungsprinzips und der Hauptgrund für | |
die periodisch auftretenden Katastrophen in feudalen Herrschaftsordnungen. | |
Allein schon der egoistische Wunsch, einen über den Tod hinausreichenden | |
Wert zu erschaffen, hält echte Kapitalisten davon ab, mit ihrem Erbe eine | |
Dynastie von Schnöseln, die nie den Wert des Geldes gelernt haben, zu | |
gründen. | |
Melinda und Bill Gates, beispielsweise, wollen weniger als ein Promille | |
ihres Gesamtvermögens ihren drei Kindern vererben, jedem 10 Millionen | |
Dollar - genug, um alle Freiheiten zu genießen, aber zu wenig, um das | |
Vermächtnis ihrer Eltern zu ruinieren. | |
Leistung heißt, unter vorgegebenen Spielregeln und Marktbedingungen das | |
Optimum zu erwirtschaften. Der Kapitalismus ist ein Kind der Aufklärung - | |
er ist die Wirtschaftsordnung des demokratischen Rechtsstaats, der autonom | |
und ohne Rücksicht auf die ererbten Privilegien der Reichen und Mächtigen | |
die Spielregeln des Marktes festlegt. Aber die kapitalistischen | |
Leistungskriterien verlangen nicht nur, dass die Tochter einer anatolischen | |
Putzfrau die gleiche Chance auf einen Vorstandsvorsitz hat wie der Sohn des | |
Unternehmensgründers. | |
Ein aufgrund von Leistung ausgewählter Manager, der Chef und Angestellter | |
zugleich ist und wie alle übrigen Arbeitskräfte einem objektiven | |
Controlling unterliegt, wird sich auch höchstens bei unfairen | |
Wettbewerbsbedingungen politisch zu Wort melden. Öffentliche Klagen über | |
die Höhe der Abgaben, cleveres Antichambrieren, um sich staatliche | |
Privilegien und Subventionen zu erschleichen, Tricksereien mit | |
Steuerschlupflöchern - das sind die jämmerlichen Übersprungshandlungen von | |
Versagern, die mit den Spielregeln des Marktes nicht zurechtkommen. | |
Die Exzesse heutiger Banker sind ein sicheres Zeichen, dass sie sich vor | |
keiner objektiven Leistungskontrolle verantworten, sondern hauptsächlich | |
ererbtes Vermögen von Dummköpfen verwalten. Feudalerben waren schon immer | |
von korrupten Finanzverwaltern und intriganten Strippenziehern umgeben. | |
## Steuern für den Kapitalismus | |
Mit zwei relativ kleinen Sofortmaßnahmen ließe sich der Feudalismus | |
angreifen und dem Kapitalismus wieder zur Geltung verhelfen. | |
Zum einen: Der "Fiskalpakt", mit dem sich die europäischen Staaten selbst | |
das Schuldenmachen verbieten wollen, ist natürlich wertlose | |
Absichtserklärung. Aber er wird funktionieren, wenn man die Höhe der | |
öffentlichen Schulden - mit europäischem Verfassungsrang - an die Höhe | |
einer progressiven Steuer auf Vermögen und Erbschaften koppelt. Jedes Land | |
wird verpflichtet, diese Steuer mindestens so hoch anzusetzen, dass die | |
Einnahmen daraus die Höhe der Zins- und Tilgungszahlungen des Vorjahres | |
erreichen. | |
Die destruktive Länderkonkurrenz um die niedrigste Vermögenssteuer könnte | |
also nur noch auf der Grundlage ausgeglichener Haushalte stattfinden und | |
bekäme einen nachhaltigen, fairen Rahmen. Wenn der Freibetrag alle privat | |
genutzten Vermögenswerte, selbst bewohnten Immobilien und Rentenpapiere bis | |
zur Höhe der Durchschnittsrente, ausnimmt, wird das keine negativen | |
Auswirkungen auf Wirtschaftswachstum und Konsum haben. | |
Im Gegenteil: Darunter leiden würden vornehmlich die korrupten Eliten von | |
besonders verschuldeten Staaten, aber durch die öffentliche Versteigerung | |
ihrer als Steuerzahlung eingezogenen Aktien und Investitionsimmobilien | |
entstünde dort ein Eldorado für Neuinvestoren und Unternehmensgründer. | |
## Girokonten vom Staat | |
Als zweite Sofortmaßnahme sollte die Bundesbank jedem Bürger und jeder | |
Firma ein kostenloses Girokonto auf Guthabenbasis bereitstellen. Die | |
Einlagen auf diesen Konten werden staatlich garantiert und mit dem gleichen | |
Satz verzinst, den bisher schon die Privatbanken bei der Bundesbank | |
erhalten; in öffentlichen Gebäuden stünden die Geldautomaten. Dank längst | |
vorhandener Standardtechnik wäre das alles kein wirklich großer | |
Investitionsaufwand. | |
In der Konsequenz jedoch würden sämtliche Privatbanken ihr | |
Erpressungspotenzial für staatliche Rettungsmaßnahmen verlieren. Die | |
"Systemrelevanz" der Großbanken liegt ja nicht hauptsächlich an ihrer | |
Größe, sondern daran, dass sie neben ihrem eigentlichen Kredit- und | |
Anlagegeschäft auch die lebensnotwendigen Finanzströme der gesamten | |
Wirtschaft abwickeln, und mit ihrer Pleite die Einlagen von Kunden verloren | |
gingen, die nicht die geringste Absicht hatten, sich damit an spekulativen | |
Investitionen zu beteiligen. | |
Wenn anschließend die ein oder andere Privatbank pleite geht, wäre das | |
gesamtwirtschaftlich nicht weiter tragisch. Im Gegenteil, lähmend für die | |
Wirtschaft ist es vielmehr, wie es heute läuft: Da man auch ohne | |
Qualifikation und ohne unternehmerisches Engagement mit den Finanzprodukten | |
von Spekulanten garantierte Profite erzielen kann, weil deren Pleiterisiko | |
dank Staatsbürgschaften beseitigt wurde - welcher Geldanleger will da noch | |
das Risiko in Kauf nehmen, in noch unerprobte Geschäftsideen junger | |
Unternehmensgründer zu investieren? | |
4 Jan 2012 | |
## AUTOREN | |
Ulrich Kühne | |
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