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# taz.de -- Ausstellung im Kunsthaus Stade: Die Farben des Kapitals
> Farbfeldmalerei mag auf den ersten Blick nichtssagend erscheinen. Dabei
> kann sie so konkret wie metaphysisch aufgefasst werden.
Bild: Räumlich und abstrakt zugleich: Ausschnitt aus Ute Heuers Farbfeldern in…
STADE taz | Außerhalb eines verschworenen Fan-Kreises ist es schon eine
seltsame Bezeichnung: Farbfeldmalerei. Hat nicht alle Malerei mit Farbe zu
tun? Und ist das bloße Anstreichen einer Leinwand mit einer Farbe nicht
ganz und gar unkünstlerisch? Und warum sollen die Betrachter sich mit einem
Bild befassen, dem schon die Produzenten auf den ersten Blick jede Aussage
verweigert haben?
Wer in den Bildern dieser Kunstrichtung, wie sie jetzt in einer
außergewöhnlich schön gehängten Ausstellung in Stade gezeigt werden,
unmittelbar nichts sieht, liegt nicht ganz verkehrt. Aber der Spaß fängt
an, wenn die Differenzierung beginnt. Und so kann diese Kunstrichtung viel
über die Produktion des Visuellen und die Wahrnehmung selbst erzählen.
Solche zurückhaltenden Bilder sind wie Spiegel, nicht nur, wenn die
Betrachter in einer schwarzglänzenden Oberfläche selbst sichtbar werden:
Gesetzte Farbordnungen und durch den Künstler berechnete Lichtwirkungen
treffen auf Stimmungen und Farbsympathien im Moment des Betrachtens.
Das Ergebnis ist ein Bildeindruck, dessen Qualität nicht zuletzt der ist,
sich einer Verwortung zu entziehen. Und da nicht einmal sicher ist, welche
Farbe sich zwei Personen unter der Bezeichnung "orange" vorstellen, bleibt
nicht viel mehr, als die Beschreibung dessen, wie das betreffende Bild
technisch gemacht ist: in Farbbecken getauchte Bildtafeln oder auf Acryl
sichtbar geschichtete Farben; Bilder, deren Farbwolken verschwommen
vibrieren und solche mit harten Linien.
Werke solcher Farbmalerei von 15 norddeutschen KünstlerInnen präsentiert
jetzt auf drei Etagen das Kunsthaus in der alten Schwedenstadt Stade.
Zusammengestellt wurde die Ausstellung aus der seit 1995 aufgebauten
Sammlung der "Sparkasse Stade - Altes Land".
Und die meint es wirklich ernst mit der abstrakten Kunst: Im Tresorvorraum
hat sie nach einer Kundenbefragung von Rüdiger Stanko aus Hannover das
abstrakte Streifensystem "Die Farbe des Kapitals" installieren lassen. Auf
der Empore ihres Kassenraums zeigt sie regelmäßig Ausstellungen. Und für
die aktuelle Präsentation im Kunsthaus hat sie gleich ein neues Lichtsystem
spendiert.
Erst so können sich die extrem düsteren Segeltuchbilder von Norbert Frensch
aus Frankfurt entfalten. Sie sind so schwarz, dass vor der Dominanz der
Farbe unklar ist, ob nicht doch in tiefer Nacht schlafende Gegenstände
abgebildet sind. Überhaupt ist erstaunlich, wie unterschiedlich die Wirkung
ist, die das einfache Konzept "Farbe auf Leinwand" bewirken kann.
Die Bilder des Braunschweigers Lienhard von Monkiewitsch sind zwar nach der
Fibonacci-Reihe geometrisch durchkalkuliert, in der Farbwahl aber meistens
zufällig. Und trotz der genauen Unterteilung scheinen sie durch einen etwas
ins Unscharfe verschatteten Rand eines schwarzen Balkens in den Raum zu
vibrieren.
Christian F. Kintz aus Hamburg malt frei arrangierbare Sets von monochromen
Tafeln, die erst am Bildrand offenbaren, aus wievielfacher Übermalung sie
erstellt wurden. Sie laden ein, die Wahrnehmung zu prüfen, ob es ein aus
der Bildtiefe kommendes Farbleuchten gibt. Auch die weiteren Arbeiten
zeigen, dass schon Farbe allein die Sinne fordern kann.
Das Unterelbe-Gebiet scheint ein Schwerpunkt der Farbfeldmalerei und der
konkreten Kunst zu sein: Der Maler gekämmter monochromer Bilder, Rolf Rose,
lebt in Krempe; in dem kleinen Ort Deinste bei Horneburg gibt es mit dem
"Art Studio 1" eine auf diese Kunst spezialisierte Galerie, in Otterndorf
bei Cuxhaven schon seit 1976 ein ebenso spezialisiertes "Museum für
gegenstandsfreie Kunst".
Dessen Leiterin, Ulrike Schick, ist auch Kuratorin der Stader Ausstellung,
zusammen mit Ulrike Schneider von der Niedersächsischen Sparkassenstiftung
und Joachim Kreibohm, dem Chefredakteur des Bremer Kunstmagazins artist.
Und die leihgebende Sparkasse Stade - Altes Land sammelt ausschließlich
diese Art Kunst.
Könnte die Liebe für Bilder mit Abbildungsverzicht etwas mit dem
protestantischen Umfeld zu tun haben? Eine Liste der Museen und Sammlungen
für konkrete Kunst von Otterndorf über Reutlingen in Baden-Württemberg zur
Schweizer Metropole Zürich verweist auf protestantische Gegenden, alte
freie Reichsstädte und im Grunde bilderfeindlichen calvinistischen Geist -
trotz einiger Ausnahmen wie der bayrischen katholischen Donaustadt
Ingolstadt. Denn im Sinne der alten Reformatoren scheint in der reinen
Farbe der Geist stärker anwesend zu sein, als in allen noch so drastischen
und überwältigenden figürlichen Darstellungen wie sie die Gegenreformation
so liebte.
Im Mittelalter war es das Gold, bei den monochromen Bildern von Yves Klein
ist es das Blau: Meditative Bildtiefe mit dem Anspruch stärkerer Metaphysik
als jede noch so theatralische Figurenkomposition. Doch wird keineswegs
jeder moderne Farbfeldmaler dieser transzendenten Aufladung seines Werkes
zustimmen. Denn neben dem kontemplativen Zugang gibt es den im engeren
Sinne konkreten. Und das heißt, ein Bild ist nichts anderes, als sein ganz
triviales Material: Farbe auf Leinwand, verteilt nach mathematisch
festgelegten Proportionen.
Und so ist solche Kunst auch der Wissenschaft verpflichtet. Grundlegend in
der Struktur und ästhetischen Oberfläche zugleich ist die Farbfeldmalerei
eine spielerische Bildwissenschaft, die den ruhigen Genuss im Nachspüren
fein abgestimmter Differenzierungen zulässt. Und in dieser sinnsuchenden
Vertiefung ist sie auch immer ein bisschen spirituell.
4 Jan 2012
## AUTOREN
Hajo Schiff
## TAGS
Stade de France
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