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# taz.de -- Jürgen Heiser über 22 Jahre Solidaritätsarbeit: "Mumia ist wie e…
> Fast dreißig Jahre saß Mumia Abu-Jamal in der Todeszelle - im Dezember
> wurde seine Strafe in lebenslange Haft umgewandelt. Der Bremer Jürgen
> Heiser ist einer der treibenden Kräfte der Mumia-Kampagne in Deutschland.
Bild: Symbol für den Kampf gegen die Todesstrafe: Mumia Abu-Jamal.
taz: Herr Heiser, nach 30 Jahren in der Todeszelle ist im Dezember das
Todesurteil gegen Mumia Abu-Jamal in lebenslange Haft umgewandelt worden.
Wo befindet er sich jetzt?
Jürgen Heiser: Er ist seit Mitte Dezember nicht mehr im Todestrakt, sondern
nach Frackville, einem anderen Knast in Pennsylvania, verlegt worden. Dort
unterliegt er immer noch einem Sonderhaftstatut.
Haben Sie seitdem Kontakt zu ihm gehabt?
Ich persönlich nicht, aber andere, und die berichten, dass er weiterhin
Haftbedingungen hat wie im Todestrakt. Besuche finden weiter mit
Trennscheibe statt, und er ist von anderen Gefangenen isoliert. Man kann
nur hoffen, dass sich das bald ändert. Aber es gibt keine festgelegten
Fristen, wann ein Gefangener, der nicht mehr zum Tode, sondern zu
lebenslanger Haft verurteilt ist, in den Normalvollzug kommt.
Wie war Ihre erste Reaktion, als Sie von der Entscheidung des
Bezirksstaatsanwalts von Philadelphia gehört haben, nicht mehr auf der
Todesstrafe zu beharren?
Erleichterung! Seit wir die Kampagne hier in der Bundesrepublik 1989
begonnen haben, stand immer im Raum, dass Mumia hingerichtet wird. 1995 und
1999 waren die Hinrichtungsbefehle bereits unterzeichnet und konnten erst
im letzten Moment durch ein Zusammenwirken von Vertrauensanwälten und einer
internationalen Protestbewegung zu Fall gebracht werden. Da ist es
natürlich klar, dass die Erleichterung groß ist, dass Mumia im Knastsystem
legal nicht mehr zu Tode kommen kann.
Gibt es Befürchtungen, dass das auf anderem Weg passieren kann?
Es gibt eine sehr gut organisierte rassistische Rechte in den großen
Gefängnissen, zum Beispiel die Aryan Brotherhood. Da macht man sich
natürlich Sorgen.
Die Tagesschau hat Mumia Abu-Jamal in der Meldung über die Umwandlung des
Todesurteils als "Symbol für den Kampf gegen die Todesstrafe" bezeichnet.
Was hat ihn zu dieser Symbolfigur gemacht?
Dass er als Betroffener von innen mit seinen Kolumnen und Büchern
Öffentlichkeit über die Todestrakte hergestellt hat. Vor allem hat er
deutlich gemacht, dass er nur einer von vielen tausend ist.
War er von Anfang an so bekannt?
Nein, in den 80er Jahren war sein Fall in den USA nur in seiner Heimatstadt
Philadelphia bekannt, wo er am 9. Dezember 1981 in einer Situation, als
sein Bruder von einem Polizisten misshandelt wurde, diesen erschossen haben
soll. Mumia hat immer gesagt, dass er es nicht war. Er wurde damals sehr
stark mit der Move-Organisation identifiziert, die von der Polizei bekämpft
wurde, weil sie für ein autonomes Leben eingetreten ist. Mumia hatte als
Radiojournalist sehr engagiert über die Polizeiübergriffe berichtet und
wurde deswegen zum "Staatsfeind" erklärt. Die regionale Bekanntheit wurde
erst durchbrochen, als sein Fall in anderen Ländern aufgegriffen wurde.
Ein paar Leute in Bremen haben damals mit Ihnen die
Amerika-Gegeninformationspresse herausgegeben.
Wir bekamen 1989 einen Newsletter aus den USA, in dem das Partisan Defense
Committee dazu aufrief, Mumia zu unterstützen. Das Todesurteil war gerade
auf der Bundesstaatsebene rechtskräftig geworden. Wir haben den Aufruf
verbreitet und viele unterschiedliche Strömungen der Linken haben das
aufgegriffen. Meine Gewerkschaft, die IG Medien, hat den Aufruf in der
Mitgliederzeitschrift verbreitet. Die Bremer Kampagnengruppe hat dann
Kontakte zu anderen Gruppen im Bundesgebiet aufgebaut und daraus
entwickelte sich eine internationale Vernetzung mit Gruppen in Europa und
den USA.
Hat es dabei eine Rolle gespielt, ob er schuldig oder unschuldig im Sinne
der Anklage ist?
Dass Mumia stets seine Unschuld beteuert hat, aber trotzdem verurteilt
wurde, hat sicher die Proteste verstärkt. Ich habe aber immer erklärt, dass
ich auch für ihn eintreten würde, wenn ich wüsste, dass er sich wirklich
gegen diesen Polizisten zur Wehr gesetzt hat. Denn dann wäre es eine
Notwehrsituation gewesen. Bis heute ist gerichtlich nicht wirklich geklärt,
was tatsächlich passiert ist. Die Polizei und Staatsanwaltschaft haben
damals noch in der Nacht eine Erklärung verbreitet, dass Mumia der Täter
ist. Das lief allein über Belastungszeugen, die von der Polizei zu
Falschaussagen erpresst worden waren und die später ihre Aussagen
widerriefen. Amnesty International hat im Jahr 2000 in einem Bericht
festgestellt, dass Mumia nie ein faires Verfahren hatte.
Sie sind von Anfang an, also seit 22 Jahren, einer der Sprecher der
Kampagne und der Übersetzer Abu-Jamals im deutschsprachigen Raum. Wo liegen
die Wurzeln für Ihren Kampf gegen die Todesstrafe?
Zunächst in den Lehren, die wir als Nachkriegs-Linke aus dem Wüten der
Nazi-Faschisten mit dem Henkerbeil gezogen haben. Dann habe ich im Winter
1988/89 den Film "14 Tage im Mai" gesehen. Da wird Edward Earl Johnson, ein
afroamerikanischer Gefangener, der auch immer seine Unschuld beteuert hat,
von einem Team der BBC die letzten 14 Tage in seinem Leben begleitet. Am
Ende ist man Zeuge eines Mordes geworden, eines legalen Mordes, der von
einem Staat durchgeführt wurde. Nach seiner Hinrichtung hat sich Johnsons
Unschuld herausgestellt. Ich war von diesem Film dermaßen gepackt, dass für
mich klar war: Ich stelle mich an die Seite des nächsten Gefangenen, von
dem ich höre, dass er in so einer Situation ist. Drei Monate später kam
dieser Newsletter mit dem Hilfsaufruf für Mumia.
Wie haben Sie ihn dann persönlich kennengelernt?
1990 habe ich ihn das erste Mal besucht und wir hatten von vornherein ein
sehr gutes und offenes Verhältnis. Ich war sehr angetan davon, dass er in
seiner Situation voller Lebensfreude ist. Wir haben gesagt: Wir gehen das
jetzt zusammen an und haben die ersten Jahre darauf verwendet, dass er ab
1992 das erste Mal in diesem Verfahren Verteidiger seines Vertrauens bekam.
Stand für Sie von vornherein fest, dass das eine Lebensaufgabe ist?
Das ist doch die Entscheidung, vor der man öfter im Leben steht. Da ist ein
Unrecht, da läuft etwas völlig schief, und da muss man etwas tun. Natürlich
musste ich für meine Familie und mich sorgen. Aber da findet man immer
einen Weg, wenn man sich nicht zu schade dafür ist, Brötchen auszufahren.
Es war damals innerhalb der Linken etwas ganz Normales, sich eigene
Strukturen aufzubauen. Die Erfahrung hat ja auch gezeigt: Kampagnen
brauchen wenigstens eine Handvoll Leute, die das bis zum Ende durchziehen.
Und so kann man ja auch zu jemand werden, an dem sich Beständigkeit zeigt,
die auch andere mobilisiert.
Wäre das Todesurteil ohne die Kampagne vollstreckt worden?
Seit der erste Hinrichtungsbefehl 1995 niedergeschlagen wurde, hat Mumia
immer gesagt: Ohne eure internationale Unterstützung wäre ich längst tot.
Was bedeutet die Aussetzung der Todesstrafe für Mumia Abu-Jamal für Ihre
künftige politische Arbeit?
Die Kampagne wird als Freilassungskampagne weitergeführt. Fast 30 Jahre
Isolation im Todestrakt sind ein mehrfaches Lebenslänglich. Mumia muss
sofort freigelassen werden. Die Justiz spekuliert darauf, dass nach dem
Wegfallen der Todesstrafe der Druck nachlässt. Auch mein Engagement gegen
die Todesstrafe wird weitergehen. Mit Veröffentlichungen, Veranstaltungen
und der wöchentlichen Kolumne von Mumia in der Jungen Welt, die ich
übersetze. Was die USA angeht, bin ich sehr hoffnungsvoll, dass ich es noch
erleben werde, dass die Todesstrafe zu Fall gebracht wird.
Was ist Mumia Abu-Jamal für Sie heute?
So etwas wie ein Bruder, und deshalb lässt mich sein Wohl und Wehe nicht
kalt. Wir haben im Kampf gegen die Todesstrafe ja neue Lebensenergien
bekommen. Wir haben uns als Menschen weiterentwickelt. Obwohl wir in ganz
verschiedenen Welten leben - und der Todestrakt ist so etwas
Unvorstellbares wie der Mars - habe ich mit Mumia einen sehr tiefgehenden
Dialog geführt. Mich mit Mumia als Mensch zu entwickeln, ist unglaublich
gut.
8 Jan 2012
## AUTOREN
Ralf Lorenzen
## TAGS
Schwerpunkt Pressefreiheit
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