# taz.de -- Ehrung von Alt-Nazis: Die SS als Freiheitskämpfer | |
> Estland will Ex-Angehörige der Waffen-SS per Gesetz als Kämpfer gegen die | |
> kommunistische Diktatur ehren. Die russische Minderheit und Moskau | |
> protestieren. | |
Bild: Monument für die 20. SS-Division in Tallinn. | |
STOCKHOLM taz | Die Regierung des EU-Mitgliedstaats Estland in Tallinn will | |
Freiwillige, die einen Eid auf Adolf Hitler leisteten, gesetzlich in den | |
Rang von "Freiheitskämpfern" erheben. Ein entsprechender Gesetzentwurf soll | |
im März dem Parlament in Tallinn vorgelegt werden. Eine Mehrheit der | |
Stimmen scheint sicher. | |
Russland hat dieses Vorhaben mittlerweile zu einem Protest veranlasst. Es | |
sei "blasphemisch und nicht akzeptabel", "die von estnischen | |
Nazi-Kollaborateuren begangenen Verbrechen unter dem Schleier des | |
angeblichen Kampfs für die nationale Befreiung verstecken zu wollen", | |
erklärte die russische Botschaft in Tallinn. Damit würden Bluttaten | |
gefeiert und rechtfertigt. | |
Auch in Estland selbst gibt es Kritik: Das Gesetz führe zu neuen Spannungen | |
mit der großen russischen Minderheit im Lande. Doch Estlands | |
Verteidigungsminister Mart Laar zeigt sich entschlossen, die kontroverse | |
Vorlage durchzudrücken: Es sollten alle geehrt werden, die für die | |
Befreiung Estlands gekämpft hätten - und es gebe keinen Grund, dabei die | |
Gruppe der SS-Leute auszuschließen. Auch diese hätten für die Befreiung von | |
der Roten Armee gekämpft. | |
Ex-SS-Leute werden in Estland schon jetzt einmal jährlich ganz offiziell | |
geehrt. Der aktuelle Vorstoß ist der vierte Anlauf für das | |
"Freiheitskämpfer"-Gesetz. Laars nationalistische Partei "Pro Patria" | |
versuchte erstmals 2005, Ex-SS-Leuten diesen Status zu verschaffen, erhielt | |
aber keine Mehrheit im Parlament. Zusammen mit seinem damaligen | |
Bündnispartner "Res Publica", mit dem man sich dann zur "Pro-Patria- und | |
Res-Publica-Union" IRL zusammenschloss, wurde 2006 der nächste Versuch | |
gestartet. Der wurde vom damaligen Justizminister Rein Lang - jetzt | |
Kultusminister - gestoppt mit der Begründung, so ein Gesetz würde zu einer | |
Spaltung in der Gesellschaft führen. Ein dritter Anlauf scheiterte 2010. | |
## Mit Steuergeldern mitfinanziert | |
Doch nun haben die Partner der nach den Wahlen im vergangenen Frühjahr | |
gebildeten Rechtskoalition - IRL und die rechtsliberale "Reformpartei" - | |
das Gesetz ausdrücklich zum Bestandteil ihres Regierungsprogramms gemacht. | |
Anlässlich des vorjährigen traditionellen Treffens der Waffen-SS-Veteranen | |
Ende Juli 2011 in Sinimäe bestätigte die Regierung diese Absicht. Die | |
jährlichen Treffen sind offiziell ein Gedenken an die Gefallenen der | |
estnischen Waffen-SS-Division. Dabei versammeln sich neben ehemaligen | |
SS-Leuten aus vielen europäischen Ländern regelmäßig auch Angehörige | |
neonazistischer Gruppen. Presserecherchen ergaben, dass das Treffen | |
indirekt durch das Verteidigungsministerium mit Steuergeldern mitfinanziert | |
wird. | |
Der jetzige Ministerpräsident Andrus Ansip hat ebenso wenig wie seine | |
Vorgänger nie Berührungsängste mit den SS-Veteranen gezeigt. Mit der | |
Unterstützung der Nazi-Ideologie oder den Taten der SS, die in den | |
Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen zu einer verbrecherischen Organisation | |
gestempelt worden war, hat dies seiner Auffassung nach nichts zu tun. Im | |
letzten Winter schrieb Ansip der Veteranenorganisation einen Brief, in dem | |
er sich "dankbar" zeigt, "was ihr für das estnische Volk geleistet habt". | |
Er freue sich auf ein Treffen um "weitere Zusammenarbeit zu diskutieren". | |
Der von Ansip initiierte "Umzug" des Bronze-Soldaten "Aljoscha" in Tallinn | |
im April 2007 - das Entfernen des Denkmals, das die Sowjetunion zum | |
Gedenken an die Befreiung des Landes von der Nazi-Herrschaft errichtet | |
hatte, führte damals zu schweren Auseinandersetzungen -, war jahrelang von | |
ebendieser SS-Veteranenvereinigung gefordert worden. | |
11 Jan 2012 | |
## AUTOREN | |
Reinhard Wolff | |
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