# taz.de -- Esten in der Waffen-SS: "Struktur aus Blut" | |
> Estlands SS-Division war nicht direkt am Holocaust beteiligt. Ihre | |
> Mitglieder schon. | |
Bild: Teilnehmer des SS-Gedenkmarsches in Riga. | |
STOCKHOLM taz | Der 1939 zwischen Deutschland und der Sowjetunion | |
geschlossenen "Molotow-Ribbentrop-Pakt" schlug das Baltikum dem | |
sowjetischen Einzugsbereich zu. 1940 annektierte Stalin Lettland, Litauen | |
und Estland. Dort ließ er die "Estnische Sozialistische Sowjetrepublik" | |
proklamieren, die 1941 von deutschen Truppen besetzt und Teil des | |
"Generalkommissariats Ostland" wurde. Viele Esten schlossen sich den | |
deutschen Truppen an, insgesamt etwa 25.000 der SS und rund 75.000 der | |
Wehrmacht. Andere kämpften in der Roten Armee. | |
Der Ursprung der im April 1944 aufgestellten estnischen SS-Division - | |
offiziell: "20. Waffen-Grenadier-Division der SS (estnische Nr. 1)" - war | |
die im Oktober 1942 gegründete estnische "SS-Legion". Die war im Mai 1943 | |
auf über 5.000 Soldaten angewachsen und wurde in "Estnische | |
SS-Freiwilligenbrigade" umbenannt. Im Januar 1944 bestand sie aus 12.000 | |
Mann, wurde in den Rang einer Division erhoben und umfasste neben | |
Freiwilligen auch zunehmend estnische Wehrpflichtige. Im Herbst 1944, kurz | |
bevor die Rote Armee das Land wieder besetzte, betrug ihre Stärke etwa | |
15.000 Soldaten. | |
Der Antrieb, sich SS oder Wehrmacht anzuschließen, resultierte aus Hass | |
gegen die Russen, die bei der Annektion Estlands teilweise rücksichtslos | |
und gewaltsam vorgegangen waren und Tausende Esten nach Sibirien deportiert | |
hatten. Hinzu kam der Wunsch, am Kampf gegen den Kommunismus teilzunehmen, | |
sowie die Erwartung, unter deutscher Hoheit leichter nationale | |
Selbständigkeit erringen zu können. Zudem genoss die SS den Ruf einer | |
militärischen Elite-Truppe. Faktisch wurde die estnische SS-Truppe vor | |
allem beim Versuch eingesetzt, den Vormarsch der Roten Armee zu stoppen | |
oder zu verlangsamen. Hitler hatte den Befehl ausgegeben, Estland müsse | |
"bis zum letzten Mann verteidigt werden". | |
## Fehlende Aufarbeitung der Verbrechen | |
In den Holocaust in Estland waren die estnischen SS-Truppen nicht direkt | |
verwickelt. Dieser war Anfang 1942 im Wesentlichen abgeschlossen. Auf | |
estnischer Seite in die Schoah aktiv eingebunden waren aber einheimische | |
Polizei- und Schutztruppen, die dann teilweise pauschal in die ersten | |
SS-Einheiten übernommen wurden. Organisationen wie das "Simon Wiesenthal | |
Center" sprechen davon, dass Estlands SS-Leute zu einer "Struktur aus Blut | |
und Tod" gehörten, und werfen dem Land vor, die Mehrzahl der | |
Holocaust-Täter nie bestraft und unzureichend verfolgt zu haben. Ähnliche | |
Kritik kam aus den USA. | |
Nach der Unabhängigkeit Estlands 1991 wurden die Ex-SS-Soldaten als Kämpfer | |
gegen die Sowjets und für die Freiheit rehabilitiert. Estlands verstorbener | |
Ex-Staatspräsident Lennart Meri, der auch auf Treffen deutscher | |
Vertriebenenverbände auftrat, warf Deutschland 1996 vor, eine | |
"Canossa-Republik" zu sein, die nur Reue angesichts der deutschen | |
Geschichte zeige, aber selbst erlittenes Unrecht nicht zu thematisieren | |
wage. Und ein ehemaliger belgischer SS-Mann erklärte beim letztjährigen | |
SS-Divisions-Treffen in Sinimäe: "Solche Feiern wie hier, das gibt es in | |
Europa sonst nirgends mehr." | |
11 Jan 2012 | |
## AUTOREN | |
Reinhard Wolff | |
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