# taz.de -- Studie über Niedersachsens Abgeordnete: Alt-Nazis bis 1994 im Parl… | |
> Eine Studie weist einem Drittel der niedersächsischen | |
> Nachkriegs-Landtagsabgeordneten eine NS-Vergangenheit nach. Selbst 1994 | |
> waren es noch fünf. | |
Bild: Noch lange Hort vieler ehemaliger Nazis: Hannovers Landtag. | |
HANNOVER taz | Als erstes Bundesland hat Niedersachsen die NS-Vergangenheit | |
seiner Landtagsabgeordneten wissenschaftlich untersuchen lassen. Jeder | |
dritte Nachkriegsparlamentarier war demnach NSDAP-, SA- oder SS-Mitglied. | |
Fündig wurde die Historische Kommission Niedersachsen-Bremen, die im | |
Auftrag des Landtags 755 Biographien überprüft hat, in allen Fraktionen. Zu | |
Hochzeiten - zwischen 1955 und 59 - saßen insgesamt 61 Ex-NSDAP-, SS- oder | |
SA-Mitglieder im Landtag in Hannover. Selbst 1994 waren es noch fünf. Die | |
FDP-Fraktion bestand zwischen 1963 und 1967 zu 60 Prozent aus Ex-NSlern, | |
die CDU zwischen 1959 und 1963 zu 45 Prozent, und auch in den Reihen der | |
SPD waren es zwischenzeitlich 19 Prozent. | |
Da wäre der Lehrer Kurt Klay, der für die SPD von 1974 bis 1982 im Landtag | |
saß. Seine Nachkriegsvita liest sich wie die eines aufrechten | |
Sozialdemokraten: 1948 Beitritt zur SPD, GEW- und | |
Arbeiterwohlfahrt-Mitglied, Vorsitzender des Roten Kreuz in Lutter am | |
Barenberge, wo eine Grundschule nach ihm benannt ist. 1933 allerdings trat | |
Klay der SA bei, war Stahlhelm-Mitglied und Scharführer bei der | |
Hitlerjugend. | |
Auch in der Biographie von Niedersachsens erstem Ministerpräsidenten, dem | |
SPDler Hinrich Wilhelm Kopf, finden sich braune Flecken: Zwar trat er der | |
NSDAP nie bei, aber er war im besetzten Lublin an der Enteignung und | |
Aussiedelung der polnischen Bevölkerung beteiligt. | |
Ranghohe NS-Funktionäre finden sich vornehmlich bei CDU und FDP: Richard | |
Langeheine etwa, später Kultus- und Justizminister und 1967 | |
CDU-Landtagsspitzenkandidat, war in den 1930ern NSDAP-Kreisleiter und | |
Bürgermeister im pommerschen Stolp. Freiherr Otto von Fircks war als | |
SS-Obersturmführer an der Aussiedelung von Juden und Polen aus dem heutigen | |
Lódz beteiligt - in den 1960ern saß er dann für die CDU im | |
Landtagsausschuss für Vertriebenen- und Flüchtlingsangelegenheiten. Das | |
spätere FDP-Landesvorstandsmitglied Friedrich Georg Brinkmann aus Osnabrück | |
trat 1930 der NSDAP und 1931 der SA bei. Brinkmanns letzter bekannter Rang | |
dort: Standartenführer. | |
Landtagspräsident Hermann Dinkla (CDU) zeigte sich bei der Vorstellung der | |
Ergebnisse am Mittwoch "nicht überrascht" - und verwies auf acht bis neun | |
Millionen NSDAP-Mitglieder deutschlandweit. Die Studie müsse "differenziert | |
und individuell bewertet" werden. Auch die damalige Zeit und die Motive der | |
Betroffenen müssten mitgedacht werden, denn die NS-Zeit sei eine "Zeit des | |
Opportunismus und Mitläufertums" gewesen, sagte Dinkla. Die Frage, wie | |
viele Altnazis in den Fraktionen saßen, helfe bei der Aufarbeitung wenig. | |
Dinklas Anmerkung, "vorschnelle Schuldzuweisungen" seien der "falsche Weg", | |
ist auch als Seitenhieb auf die Linksfraktion zu verstehen. Denn auf deren | |
Initiative geht die Studie zurück: 2008 hatte sie in einer eigenen | |
Untersuchung in CDU, FDP und DP - die später in der CDU aufging -, 71 | |
Parlamentarier mit NSDAP-Vergangenheit gefunden und eine groß angelegte | |
Studie gefordert. Anlass der Linken-Recherche: eine "Geschichtslehrstunde" | |
des damaligen CDU-Fraktionsgeschäftsführers und heutigen Kultusministers | |
Bernd Althusmann im Landtag. "Die CDU hat ihre geistigen und politischen | |
Wurzeln im christlich motivierten Widerstand gegen den Terrorismus. Das ist | |
die Wahrheit", hatte Althusmann damals erklärt. Eine systematische | |
Untersuchung befürwortete der Landtag schließlich fraktionsübergreifend. | |
Auch die CDU schloss sich an. | |
Das jetzt vorgelegte 220-Seiten-Werk des Hannoveraner Historikers Stephan | |
A. Glienke bezeichnet Linken-Fraktionschefin Kreszentia Flauger daher als | |
"längst überfälligen Schritt". Der könne aber "nur der Beginn einer | |
kritischen Aufarbeitung der Geschichte des Landes sein". Flauger kündigte | |
eine parlamentarische Initiative für weitere Untersuchungen an. Auch in den | |
Biographien von Landesbediensteten in den Bereichen Inneres, Justiz und | |
Kultus vermutet sie "gerade in führenden Positionen viele Kontinuitäten, | |
die aufgeklärt werden müssen". | |
12 Jan 2012 | |
## AUTOREN | |
Teresa Havlicek | |
Teresa Havlicek | |
## TAGS | |
Gedenken | |
Schwerpunkt Rechter Terror | |
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