# taz.de -- Kommentieren im Netz: Pseudonym-Nutzer schreiben besser | |
> Wer unter seinem Realnamen kommentiert, schreibt nicht besser, zeigt eine | |
> Studie des Dienstleisters Disqus. Der pöbelnde Pseudonym-Nutzer ist ein | |
> Mythos. | |
Bild: Anonyme Nutzer schreiben mehr Kommentare. | |
Es ist in konservativen Kreisen eine ausgemachte Sache: Dass jeder | |
ungefragt und ohne seinen echten Namen zu nennen im Internet herumschreiben | |
kann, ist ein Übel. So beklagte auch Christian Wulff in seinem Internview | |
bei ARD und ZDF die "Fantasien", die über seine Frau im Internet verbreitet | |
werden. | |
In einem [1][Positionspapier] der Innenpoilitiks-Arbeitsgruppe der | |
Unionsfraktion im Bundestag werden Forennutzer mit Pseudonym gar als | |
"feige" bezeichnet: "Wir brauchen eine solche Kultur der Offenheit und | |
keine Foren, die sich in die Feigheit der Anonymität flüchten." Die | |
Unionspolitiker kommen deshalb zum Ergebnis: "Eine anonyme Teilhabe am | |
politischen Meinungs- und Willensbildungsprozess ist abzulehnen." | |
Die Sache scheint logisch: Wer nicht mit seinem Namen zu dem stehen will, | |
was er schreibt, gibt sich keine Mühe und sollte daher vielleicht besser | |
ganz schweigen. | |
Zu ähnlichen Ergebnissen – wenn auch mit einer anderen Attitüde – kommen | |
die Webkonzerne, die mit ihren Identifizierungsdiensten das Web beglücken | |
wollen. Bei Facebook besteht seit jeher eine Realnamenspflicht, Konkurrent | |
Google Plus hat [2][immerhin versprochen] die Klarnamenspflicht aufzuheben. | |
## Auch Webkonzerne lieben Realnamen | |
Das Ergebnis mag ähnlich sein, wie bei den konservativen Politikern, der | |
Ansatz ist jedoch ein anderer: Der Realnamen ermöglicht es den Konzernen | |
die Dutzenden Profile der Internetnutzer zu kombinieren. Wer unter | |
Pseudonym online geht ist nicht für jeden auffindbar und verzichtet damit | |
auf die Vorzüge der voll vernetzten Welt, die die Kernvision | |
milliardenschwerer US-Konzerne ist. | |
Wir sollen auf einen Blick sehen können, was unsere Freunde so treiben, | |
welche Musik sie hören oder wohin sie in Urlaub fahren. Zudem: Wenn man den | |
Namen des Kunden kennt, kann man ihm zudem so viel besser Waren verkaufen. | |
Dass die pseudonyme Nutzung des Internets doch etwas für sich hat, hat der | |
Dienstleister für Online-Diskussionen [3][Disqus] in einer nun | |
veröffentlichten Studie festgestellt. Das Unternehmen bietet anderen | |
Webseiten ein ausgeklügeltes Diskussions-System an, bei dem die Nutzer sich | |
auf verschiedenen Wegen anmelden können. | |
Redaktionen und Blogger sparen so ein aufwändiges eigenes Profilsystem, die | |
Kommentatoren selbst müssen sich nur einen Log-In merken und werden | |
benachrichtigt, wenn ein anderer Nutzer ihnen direkt antwortet. | |
## Facebook-Nutzer sind kommentarfaul | |
Obwohl es mittlerweile über 800 Millionen Facebook-Nutzer gibt, nutzen nur | |
wenige die Möglichkeit ihren Facebook-Account zum Kommentieren zu verwenden | |
– das ist das [4][Ergebnis der Untersuchung]. Ganze vier Prozent der | |
Kommentatoren meldeten sich mit ihrer vermeintlichen realen Identität bei | |
Disqus an, um Kommentare unter Artikeln zu hinterlassen. 61 Prozent | |
hingegen wählten ein Pseudonym, 35 Prozent hinterließen gar keine Hinweise | |
auf ihre Identität. | |
Der Gebrauch des Realnamens scheint Kommentatoren zu hemmen. Nutzer mit | |
Pseudonym schrieben 4,7 Mal mehr Kommentare als diejenigen, die sich mit | |
ihrem Facebook-Account einloggten. Anonyme Kommentatoren griffen laut | |
Statistik noch seltener zur Tastatur, aber dies kann an einem | |
Erhebungsfehler liegen. Denn Disqus kann nur beschränkt erfassen, ob ein | |
anonymer Nutzer nicht bereits bei Disqus kommentiert hat. | |
Wer jedoch meint, dass die höhere Anzahl mit einem Qualitätsverlust | |
einhergeht, wird von Disqus nicht bestätigt. Sie werteten die Beiträge | |
danach aus, ob sie von anderen Nutzern beantwortet wurden und wie sie von | |
anderen Nutzern bewertet wurden. Ergebnis: 61 Prozent der Beiträge von | |
pseudonymen Nutzer werden als poitiv eingestuft, bei den Facebook-Nutzern | |
sind es hingegen nur 51 Prozent. Die anonymen Nutzer liegen abgeschlagen | |
bei 34 Prozent. | |
Gleichzeitig traten die pseudonymen und anonymen Kommentatoren nicht als | |
Störenfriede auf: 11 Prozent ihrer Kommentare wurden als "negativ" | |
eingestuft, bei Kommentatoren mit Facebook-Identität waren es mit neun | |
Prozent nur unwesentlich weniger. | |
Überbewerten sollte man diese Firmenstudie freilich nicht. Disqus tut gut | |
daran, das pseudonyme Kommentieren zu fördern, da Facebook selbst mit einem | |
neuen Kommentar-Dienst in direkte Konkurrenz zu Disqus treten will. Doch | |
auch in anderen Umfeldern zeigt sich, dass die Pseudonym-Nutzung nichts mit | |
Feigheit zu tun hat. Unter Wikipedia-Autoren ist sie der Normalfall, 20 | |
Prozent der Änderungen kommen gar von anonymen Kommentatoren. | |
13 Jan 2012 | |
## LINKS | |
[1] http://netzpolitik.org/wp-upload/110920-AG-Innen-Positionspapier-Die-Freihe… | |
[2] /Google-hebt-Klarnamenpflicht-auf/!80299/ | |
[3] http://disqus.com/ | |
[4] http://disqus.com/research/pseudonyms/ | |
## AUTOREN | |
Torsten Kleinz | |
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