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# taz.de -- Erster Lehrgang für Schiedsrichterinnen: Eine undankbare Aufgabe
> Der Hamburger Fußballverband will, dass jedes Damenspiel von einer
> Schiedsrichterin geleitet wird. Doch Schiedsrichterinnen gibt es nur
> wenige. Ein Besuch beim ersten Lehrgang, der nur Frauen offen steht.
Bild: Lehrgang im Vereinsheim: Schiedsrichterin Jacqueline Hermann erklärt die…
Vor dem Vereinsheim des SC Sternschanze stehen unzählige Fahrräder und der
Geruch von Bratwurst liegt in der Luft. Gerade läuft ein Spiel der
Fußballerinnen des Hamburger Vereins und vom Spielfeldrand her wird
lautstark angefeuert.
Es ist ein Spiel in der Bezirksliga der Damen. Ein alltägliches Geschehen
im Frauenfußball, von dem ein Stockwerk höher im Vereinsheim kaum etwas zu
spüren ist. In dem funktional ausgestatteten Raum herrscht Schulatmosphäre,
Kugelschreiber kratzen über das Papier, ein Beamer flimmert und neben den
Federmappen stehen angefangene Mineralwasserflaschen.
Die 21 jungen Frauen lauschen den Ausführungen von Schiedsrichterin
Jacqueline Hermann und ihrem männlichen Kollegen. Gerade geht es um das
Erkennen einer Notbremse und um mögliche Beleidigungen der Spieler. "Nur
was ihr selbst wahrnehmt, kann geahndet werden", erklärt der Dozent.
Die Seminarteilnehmerinnen schreiben mit. Immerhin ist der Stoff über das
verbotene Spiel der wichtigste Teil der Prüfung. Drei Tage lang haben die
angehenden Schiedsrichterinnen dann ihr Rüstzeug bekommen, um auf dem
Fußballplatz für Recht und Ordnung zu sorgen.
Ausgerichtet wird der Sonderlehrgang vom Verbandsschiedsrichterausschuss
des Hamburger Fußballverbandes. "Unser langfristiges Ziel ist es, dass alle
Partien im Frauenfußball auch von Schiedsrichterinnen geleitet werden",
sagt Verbandslehrwart Sven Callies. "Wir haben den Boom der
Frauen-Weltmeisterschaft zum Anlass genommen und diesen Kurs nur für Frauen
ins Leben gerufen."
Bei den anwesenden Frauen besteht die Motivation für ihre Teilnahme darin,
dass sie etwas für den eigenen Verein und den Frauenfußball tun wollen.
"Mein Heimatverein, der 1. FFC Wilhelmsburg, brauchte Schiedsrichterinnen
und da habe ich mich sofort für den Lehrgang angemeldet", sagt Jacqueline
Piper. Die 27-Jährige ist selbst nicht mehr aktive Spielerin, sondern
engagiert sich vor allem als Trainerin für Mädchenfußball.
Aktive Fußballerin ist dagegen noch Danae Wittstock vom FC St. Pauli. "Ich
wollte unbedingt nochmals eine andere Sicht auf den Fußball bekommen. Ich
könnte mir sogar vorstellen, im höheren Leistungsbereich zu pfeifen."
Dieses Ziel wird gerade von den jüngeren Teilnehmerinnen häufig genannt.
Doch um selbst einmal in die Fußstapfen einer Bibiana Steinhaus zu treten,
ist nicht nur ein dickes Fell nötig, sondern auch eine gewisse
Opferbereitschaft. "Mit Anreise und Abreise ist ein Tag am Wochenende für
das Schiedsrichter-Dasein gebucht. Zusätzlich gibt es Schulungen und man
muss sich fit halten, sowohl körperlich als auch mit den Regeln", sagt auch
die Frauenbeauftragte Warns-Becker.
Der Lehrgang nur für Frauen ist eine Besonderheit: Normalerweise besuchen
die angehenden Schiedsrichter beiden Geschlechts den gleichen Kurs. Das
soll langfristig auch so bleiben. "Ich denke, das war eine eher einmalige
Geschichte", sagt die Frauenbeauftragte des Verbands. Schiedsrichterin
Kirstin Warns-Becker sagt: "Es ging eher darum, noch mehr Mädchen für die
wichtigen Aufgaben der Schiedsrichterin zu begeistern."
Derzeit gibt es im Verbandsgebiet Hamburg rund 4.000 aktive Schiedsrichter,
130 davon sind Frauen. Noch vergleichsweise gute Quoten, wenn man sich den
bundesweiten Vergleich ansieht.
In Berlin gibt es bei weit mehr gemeldeten Mannschaften nur rund 1.000
Schiedsrichter und entsprechend kaum weibliche Kandidaten für eine Aufgabe,
die man als undankbar bezeichnen könnte. Doch sie ist eine Pflicht im
Fußball: Für jede gemeldete Mannschaft müssen die Vereine auch einen
Schiedsrichter stellen, sonst droht eine Strafe.
"Wir brauchen einfach einen soliden Mittelbau, um den Spielbetrieb weiter
so vorbildlich laufen zu lassen", sagt Sven Callies, selbst ein ganz
erfahrender Schiedsrichter. Hamburg sei da noch so etwas wie eine "Insel
der Glückseligkeit". Zwar verliert der Verband pro Jahr 400 Schiedsrichter,
aber fast ebensoviele kommen auch neu dazu.
Worin liegen die Gründe für die hohe Fluktuation? Einer davon ist das
Standing, das Schiedsrichter auf den Fußballplätzen des Landes haben. Egal
ob in der Kreisklasse oder in der Bubi-Liga, Schmähungen und verbale
Ausfälle sind an der Tagesordnung.
Die kommen von Spielern, Trainern und Zuschauern. Da bringt es auch kaum
etwas, dass Schiedsrichterkarrieren schon bei den Spielen der kleinsten
Kicker beginnen. Dort gibt es nämlich die schlimmsten Hooligans überhaupt,
die Eltern, die es nicht vertragen können, wenn ihr Schützling auf dem
Platz verliert.
"Wir spüren schon eine gewaltige Abnahme des Respekts vor Autoritäten. Die
Schiedsrichterinnen werden zwar nicht körperlich angegangen, aber verbal
sind die Entgleisungen schon fern ab von jedem guten Geschmack", sagt
Callies. Im Verband gibt man sich alle Mühe, dem Problem Herr zu werden.
"Bei uns wird keiner allein gelassen", erklärt Kirstin Warns-Becker. Jeder
Schiedsrichter bekommt einen Paten an die Seite gestellt, der ihn bei den
ersten Spielen unterstützt. Außerdem werden in regelmäßigen Treffen
Probleme besprochen und bereits bei dem ersten Lehrgang erklärt ein
Polizist mögliche Wege der Konfliktprävention.
Die Gefahr von den ständigen Schmähungen abgeschreckt zu werden, wird damit
nicht völlig gebannt. So gibt es zahlreiche Schiedsrichterinnen und
Schiedsrichter, die schon nach wenigen Spielen ihre Pfeife an den Nagel
hängen.
Auch die Aufwandsentschädigung ist kein großer Anreiz: Für die ersten
Spiele bekommen Schiedsrichter rund sieben Euro und eine
Reisekostenerstattung für die öffentlichen Verkehrsmittel. Selbst für eine
Oberligapartie werden nur 25 Euro gezahlt.
Was aus den 18 Schiedsrichterinnen des erfolgreich absolvierten Lehrgangs
wird, ist deshalb noch ungewiss. "Das Experiment war erstmal positiv", sagt
Warns-Becker. "Unser Ziel einer reinen Schiedsrichterinnen-Besetzung im
Frauenfußball ist aber noch ein Weg, für den alle einen langen Atem
brauchen."
15 Jan 2012
## AUTOREN
Birk Grüling
## TAGS
Schiedsrichterin
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