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# taz.de -- Wie der Spreepark unterging: Die verlorene Welt des Norbert Witte
> Vor zehn Jahren setzte sich Spreeparkbetreiber Norbert Witte mit seinen
> Fahr- geschäften nach Peru ab. Zurück kam er mit Kokain
Bild: Der Spreepark ist heute nur noch bekannt für seine Saurierleichen
Es war einmal der arme Schuster Wilhelm Voigt, dem ein Recht auf ein Leben
in Würde versagt blieb. Damit wollte er sich nicht abfinden. Und so drehte
er ein Ding, das ihn weltberühmt machte: Er raubte die Köpenicker
Stadtkasse und hielt damit die preußische Obrigkeit zum Narren.
Ein wenig könnte auch die Geschichte des Norbert Witte beginnen wie die des
Hauptmanns von Köpenick: Es war einmal ein armer Schausteller aus Hamburg,
dem viele deutsche Jahrmärkte die Stellplätze verweigerten. Aber dann kam
die deutsche Einheit, und der Hamburger kam in den Osten Berlins. In dem
1969 erbauten Kulturpark im Plänterwald, dem einzigen Freizeitpark der DDR,
fand er ein Domizil für seine Fahrgeschäfte.
Denn hier kannte niemand die Geschichte des Norbert Witte, die untrennbar
zur Geschichte des Parks gehört: Witte hatte 1981 auf dem Hamburger Dom das
größte Rummelplatzunglück der deutschen Nachkriegsgeschichte verursacht.
Sieben Menschen starben, als er ein defektes Teil an seinem Fahrgeschäft
ausbauen wollte. Dabei stürzte sein Teleskopkran in das benachbarte
Fahrgeschäft, das in Betrieb war. Der Kran war weder zugelassen noch
versichert. Die Folgen für Witte: Untersuchungshaft, eine Bewährungsstrafe
wegen fahrlässiger Tötung und ein Offenbarungseid.
## Das war Wittes Chance
Der Plänterwaldpark, in dem er 1990, knapp zehn Jahre nach dem Unglück,
seine Zelte aufschlug, sollte indes privatisiert werden. Das war Wittes
Chance. Der verschmähte mittellose Mann wusste die Rolle des reichen
Investors aus dem Westen so überzeugend zu spielen, dass er den Zuschlag
für den Betrieb des Parks bekam. Genauer: Die Spreepark-GmbH bekam den
Zuschlag. Und die gehörte nicht ihm, sondern zum großen Teil seiner Frau.
Denn Norbert Witte hatte ja einen Offenbarungseid geleistet. Hätte Witte
den Zuschlag bekommen, hätten die Geschädigten des Hamburger Unglücks den
Park pfänden können. Das hinderte Witte nicht daran, in der Öffentlichkeit
als Herr über den Spreepark aufzutreten.
Januar 2012. Christopher Flade, 23 Jahre alt, führt Besucher durch den
leeren, verwunschenen Park, in dem Ruinen alter Fahrgeschäfte stehen. Seit
er 15 war, beschäftigt sich Flade mit dem Park. Seit einigen Jahren bietet
er Führungen auf dem seit 2002 verwaisten Gelände an. Wittes Geschichte
kennt Flade selbst nur vom Hörensagen - in den 1990er Jahren, als alles
passierte, war er ein Kind.
Es war die Zeit der großen Koalition in Berlin und Witte Mitglied der CDU.
Damals fehlte der Mittvierziger mit dem legendären Schlapphut auf kaum
einer Bezirksverordnetenversammlung in Treptow. Er verstand es, Bezirksamt
und Presse für sich einzunehmen: Witte spielte die Rolle des gebeutelten
Unternehmers, dessen Park nicht gedeihen konnte, weil die Behörden ein
böses Spiel mit ihm spielten. Denn immerhin waren die Besucherzahlen von
jährlich1,8 Millionen auf zuletzt 400.000 zurückgegangen. Und Witte kannte
den Grund: Es fehlten Parkplätze. Dass die Spreepark GmbH einmal den
Zuschlag für ein ökologisches Konzept bekommen hatte - für einen Park, den
man durch Gondeln über die Spree und nicht durch im Wald geparkte Autos
erreicht -, war das Papier nicht mehr wert, auf dem es stand.
Finanziell lief es für Witte gar nicht rund. Zwar war die Spreepark GmbH
Großspender der CDU. Das Land erlaubte der GmbH jedoch, einen Bankkredit
von 20 Millionen Mark auf das landeseigene Grundstück aufzunehmen. Der
Widerspruch, dass ein Großspender der Partei eigentlich keinen Kredit
brauchen sollte, wurde von der Koalition nicht hinterfragt.
Schließlich jedoch bekam Witte auch in Berlin keinen Fuß mehr auf den
Boden. Am 18. Januar 2002 setzte er sich in einer Nacht-und-Nebel-Aktion
nach Peru ab. Im Gefolge: seine Frau, die Kinder und sechs Fahrgeschäfte.
Niemandem will aufgefallen sein, dass Witte diese Geschäfte über Wochen
abbauen und verladen ließ. Eine Flucht, sagt Norbert Witte, sei das nicht
gewesen. "Der Spreepark lief nicht mehr, und ich träumte von einem
Freizeitpark am Meer."
Der Coup kam Berlin teurer zu stehen als der Raub der Stadtkasse durch den
Hauptmann von Köpenick. Denn Witte ließ Schulden zurück, an denen alle
Versuche des Landes, den Park zu verkaufen, scheiterten. Zudem musste das
Land für die Reinigung des Grundstücks von Umweltgiften und für den
Wachschutz zahlen.
Wittes Plan, in Peru einen neuen Park zu betreiben, scheiterte - die
Geschäfte rosteten, Fachpersonal für die Reparatur war rar. Ende 2003 wurde
er verhaftet. Er hatte versucht, ein mit 167 Kilo Kokain beladenes
Fahrgeschäft von Peru nach Deutschland zu transportieren, noch in Lima flog
das Ganze auf. Witte jedoch bereits in Deutschland, als die Ermittler
zuschlugen. Das Landgericht Berlin verurteilte ihn zu einer siebenjährigen
Haftstrafe. Sein Sohn Marcel jedoch, der in Peru geblieben war, wurde 2006
von einem peruanischen Gericht wegen seiner Beteiligung am Drogenschmuggel
zu einer zwanzigjährigen Haftstrafe verurteilt. Dort sitzt er noch heute.
Die Familie schickt Geld, damit er eine Einzelzelle bewohnen und nicht von
Mithäftlingen misshandelt werden kann.
## Kulisse für Filme
Heute kommt die Besuchergruppe mit Christopher Flade an dem 45 Meter hohen
Riesenrad vorbei. Das dreht sich, weil der Wind weht, dazu knarzt es wie in
einem Horrorfilm. Als es 1969 erbaut wurde, war es nach dem Rad im Wiener
Prater das zweithöchste Europas.
Die meisten Fahrgeschäfte sind heute abgebaut, verkauft oder gestohlen
worden. In den letzten Jahren diente der Park als Kulisse für Filme. Für
die Hollywood-Produktion "Wer ist Hanna?" wurde hier gedreht, für "Wir sind
die Nacht" und für "Löwenzahn". Letzten Sommer hauchte das Hebbel am Ufer
dem Park für einige Tage wieder Leben ein, 20.000 Besucher kamen.
In einer Ecke des Parks stehen noch einige Bretterbuden, eine Brücke wie
aus dem Märchen und der Eingang zu einer Achterbahn, die nicht mehr
vorhanden ist. Flade zeigt hinter dichtes Gestrüpp. Dort wohnt Norbert
Witte heute in einem Wohnwagen.
Die Führung ist vorbei, die Besucher wärmen sich die Hände an einem Becher
Glühwein. Den gibt es am Imbissstand, hinter dem Wittes Tochter steht. Auch
die Parkeisenbahn fährt wieder, die betreibt Norbert Wittes Exfrau Pia. Sie
bekam als Inhaberin der Spreepark GmbH das Grundstück zurück, seit das
Insolvenzverfahren mangels Masse eingestellt wurde. Obwohl sie noch mit dem
Park zu tun haben, spreche niemand aus der Familie mehr mit ihrem Vater,
sagt Wittes Tochter.
Verwalter Gerd Emge hat Pläne für den Park: Der Sänger Marc Terenzi wolle
dort im September ein Horrorfestival betreiben. Die gespenstische Kulisse
im Plänterwald bietet sich zwar an, das für den Park zuständige Amtsgericht
Köpenick könnte das jedoch verhindern. Sollte es den Park bis dahin nämlich
zwangsversteigert haben, würde Pia Witte die Verfügungsgewalt darüber
wieder verlieren.
Der grüne Abgeordnete Harald Moritz war einer der wenigen, der schon in der
Treptower BVV der 90er Jahre kritische Fragen stellte, wenn Witte illegal
Bäume fällte oder im Landschaftsschutzgebiet Plänterwald Wege betonierte.
"Alle Pläne von Großinvestoren sind hier gescheitert", sagt Moritz. "Der
Plänterwald eignet sich nicht dafür. Hier gehört entweder ein kleiner
familienorientierter Freizeitpark hin - oder das Grundstück muss endlich
renaturiert werden."
Moritz Kollegin Jutta Matuschek von den Linken lehnt eine Renaturierung ab.
"Die große Resonanz auf das Hebbel-Festival hat doch gezeigt, dass die
Leute einen kleinen Park mit kindgerechten Angeboten wollen." Doch dazu
müsse die Deutsche Bank über ihren Schatten springen, die Schulden
abschreiben und damit den Weg für die Zwangsversteigerung frei machen.
18 Jan 2012
## AUTOREN
Marina Mai
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