# taz.de -- Ermordete Europäer in Äthiopien: Unter dem Vulkan | |
> Sie bereisten eine äthiopische Salzwüste, Unbekannte schossen ihnen in | |
> den Kopf. Wie der Mord auf europäische Reisende in der Afar-Wüste ablief | |
> - und was er auslöst. | |
Bild: Die Vulkanregion Erta Ale in Äthiopien. | |
MEKELLE taz | Es gab kein Licht außer dem Mond. Die europäischen Reisenden | |
hatten einen Mitternachtsabstieg vom Vulkan Erta Ale absolviert und | |
schliefen; ein weiterer Aufstieg bei Sonnenaufgang am 17. Januar war | |
geplant. | |
Um etwa vier Uhr morgens wurden sie angegriffen: zuerst die deutschen | |
Touristen, dann eine ungarische Forschergruppe im Nachbarcamp, die von den | |
Schießgeräuschen vom Camp der Deutschen aufwachte. Einer der überlebenden | |
ungarischen Forscher schildert, wie es in seinem Camp weiterging: Die | |
Europäer wurden aufgefordert, aus ihren Hütten zu kommen. | |
Die Angreifer schossen dann sofort auf die Hütten, und die fünf, die | |
herausgekommen waren, wurden aufgefordert, sich in eine Reihe zu stellen. | |
Die Angreifer begannen, ihnen einem nach dem anderen direkt in den Kopf zu | |
schießen. Zwei starben sofort, drei konnten fliehen. Sie fielen im Dunkeln | |
in eine Vertiefung, weshalb sie entkamen. | |
Wer die Angreifer waren, ist bis heute nicht bekannt. Im Mondlicht war nur | |
zu erkennen, dass sie keine Uniformen trugen. Ihre Waffen klangen alle | |
unterschiedlich, sie waren also jeweils verschiedener Herkunft oder | |
unterschiedlichen Kalibers. | |
Ein klassischer Raubüberfall war es nicht, denn die Angreifer nahmen nichts | |
mit - selbst die teuren Kameras ließen sie liegen. Doch ungewöhnlich ist | |
die Entschlossenheit und Schnelligkeit, mit der alles durchgeführt wurde. | |
Das spricht für eine überlegte Planung. | |
## Beliebtes Touristenziel | |
Der Erta-Ale-Vulkan mitten in der auch Danakil genannten Afar-Wüste, eine | |
der heißesten Regionen der Welt, ist ein beliebtes Touristenziel. Die | |
braungraue Wüste ist geprägt von Lavagestein, Vegetation gibt es kaum. Die | |
Region ist geologisch sehr aktiv, zwei Platten streben hier aufeinander. | |
Die glühende Lava im seit Jahren ständig aktiven Vulkan ist nachts | |
besonders eindrucksvoll. Touristen besuchen auch die nahe Salzebene 100 | |
Meter unter dem Meeresspiegel, wo traditionell Salz für ganz Nordäthiopien | |
abgebaut wird. | |
Die Anreise erfolgt in der Regel über Mekelle, die wirtschaftlich und | |
kulturell boomende Hauptstadt des benachbarten äthiopischen Bundesstaates | |
Tigray im Hochland. Zahlreiche lokale und internationale Reiseveranstalter | |
haben diese Reise in ihrem Programm. | |
Es hat sich eine gewisse Routine etabliert: Reisen nur in größeren Gruppen | |
im Konvoi, damit bei Motorschaden Alternativwagen zur Verfügung stehen; | |
Begleitung durch Bewaffnete, was eine Bedingung der äthiopischen Regierung | |
ist, seit 2007 eine britisch-französische Reisegruppe entführt wurde. Von | |
einer extremen "Abenteuerreise" kann aber nicht gesprochen werden, es sei | |
denn, man definiert die besonderen Reisebedingungen in der Wüste bereits | |
als Abenteuer. | |
Wer bei den Afar reist, braucht traditionell die Unterstützung der lokalen | |
Afar-Clans, die dann für Sicherheit sorgen. Das wird allerdings von den | |
Reisegruppen aufgrund der immer größeren Routine inzwischen nicht unbedingt | |
mehr beachtet. Sie verlassen sich auf bewaffnete äthiopische Guards, die | |
nicht immer lokal verankert sind. | |
Die ländlichen Afar haben bis heute die starke Wahrnehmung, sie seien | |
selbst keine Äthiopier. Sie identifizieren sich nicht mit dem äthiopischen | |
Staat, den sie je nachdem als Partner oder als Gegner begreifen, und sie | |
haben ansonsten ihre eigenen traditionellen Strukturen. Das | |
Afar-Siedlungsgebiet erstreckt sich beiderseits der äthiopisch-eritreischen | |
Grenze, und es gibt bewaffnete Afar-Rebellengruppen: Im äthiopischen | |
Afar-Gebiet die Afar Revolutionary Democratic Front (ARDUF), im | |
eritreischen Afar-Gebiet die Red Sea Afar Democratic Organisation (RSADO). | |
Beide werden in der Afar-Sprache Uguugumo genannt und arbeiten nach | |
Afar-Berichten bedingt zusammen, da beide ein Hauptinteresse teilen: | |
Schwächung jeglicher Kontrolle durch die Hochland-Regierungen Äthiopiens | |
und Eritreas und Autonomie aller Afar-Gebiete. | |
## Eine eher sichere Region | |
Die Region des Vulkans allerdings ist als eher sicher bekannt. Es ist kein | |
Operationsgebiet der Rebellen, höchstens ein Rückzugsgebiet. Man kann auch | |
nicht von einer Tradition von Entführungen sprechen, anders als im Jemen, | |
wo diese eine Einkommensquelle sind. | |
Afar-Gruppen verüben vereinzelt Überfälle auf äthiopische Militärcamps. | |
Noch seltener sind Entführungen, die bisher immer unblutig ausgingen. Es | |
wird dabei nichts gestohlen. Durch Ernennung bestimmter Afar-Clanvertreter | |
auf wichtige Posten konnte dies bisher immer gelöst werden. Die jetzigen | |
Vorfälle lassen sich in diese Muster nicht einordnen. | |
Die Afar-Gebiete sind traditionell im Inneren unabhängig und aufgeteilt | |
unter mehrere kleine Sultanate, die untereinander verbündet sind, aber | |
eigenständig handeln; deren Sultane sind nicht mächtig, sondern Schlichter | |
und Moderatoren der Clans. Das größte ist das Awsa-Sultanat mit der | |
Hauptstadt Aysa'iita an der alten Awsa-Oase am Awash-Fluss, durch das die | |
wichtigsten Karawanenrouten führen, und wo sesshafte Afar leben. Größere | |
Ländereien werden dort von der äthiopischen Regierung für Plantagenprojekte | |
beansprucht. Auch die neue Hauptstadt des Bundesstataes Afar, Semera, liegt | |
im Awsa-Gebiet. | |
Die Afar von Awsa verloren de facto in den 1940er Jahren ihre | |
Unabhängigkeit endgültig. Der 1944 eingesetzte Sultan Alimirah Hanfadhe | |
starb erst 2011, und im November wurde sein Sohn Hanfadhe Alimirah neuer | |
König von "ganz Afar". In seiner Krönungsrede erklärte er, die verlorenen | |
Gebiete der Afar würden alle zurückerobert - ein indirekter Anspruch auch | |
auf die Afar-Gebiete von Eritrea und Dschibuti. Äthiopiens Regierung und | |
die Afar-Regionalregierung haben die Krönung unterstützt, da sie vom neuen | |
Sultan größeren Einfluss auf die zahlreichen autonom agierenden | |
Afar-Gruppen erhoffen. Vertreter mehrerer, aber nicht aller, Afar-Sultanate | |
haben ihm gehuldigt. | |
## Rätselraten über die Täter | |
Die Regionalregierung von Afar hat nun wegen der Entführten Verhandlungen | |
mit Afar-Ältestenräten aufgenommen. Die Vorgehensweise der Angreifer | |
allerdings spricht gegen traditionelle Afar-Rebellengruppen, es sei denn, | |
dass diese ihre Strategie völlig umgestellt hätten - zum Beispiel aufgrund | |
von Bewaffnung und Training aus dem nahen Ausland oder von anderen | |
äthiopischen Rebellen. | |
Die äthiopische Regierung hatte sofort nach dem Anschlag Eritrea | |
verantwortlich gemacht. Dies wurde umgehend von Eritrea dementiert. Es | |
herrscht ein Reflex in Äthiopien, Vorkommnisse mit Toten Eritrea | |
zuzuschreiben, bis hin zu Busunfällen. Allerdings gibt es durchaus | |
eritreische Offizielle, die gezielt Rebellengruppen in Äthiopien auf | |
vielerlei Art unterstützen. | |
Die Situation ist komplex. Afar berichten, es habe kurz vor dem Überfall | |
auf die Europäer einen Angriff auf Afar am Erta Ale gegeben, und zwar habe | |
eine bewaffnete Gruppe "aus Eritrea" eine Bombe auf "Uguugumo" geworfen. | |
Viele verletzte Afar liegen derzeit in Mekelle im Universitätskrankenhaus. | |
Wolbert G.C. Smidt lehrt Geschichte und Kulturwissenschaften an der | |
Universität Mekelle | |
20 Jan 2012 | |
## AUTOREN | |
Wolbert G. C. Smidt | |
## TAGS | |
Eritrea | |
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