# taz.de -- Kolumne Knapp überm Boulevard: Die Katastrophe ist draußen | |
> Ein Massenvergnügen auf schwimmenden Konsumenklaven, Shopping- und | |
> Freizeitmalls: Der Mythos Kreuzfahrt ist heute ein "gesunkenes | |
> Kulturgut". | |
Die zahlreichen Schiffbrüche von Flüchtlingsbooten mit ihren vielen Toten - | |
die taz hat sie kürzlich alle aufgelistet - bleiben Meldungen ohne | |
Nachhall. Das Bild vom Wrack der "Costa Concordia" hingegen erzeugt einen | |
medialen Aufschrei. Warum eigentlich? | |
Die schnellste Antwort gibt den bösen Medien die Schuld, aber so einfach | |
darf man es sich nicht machen. Denn es ist doch so: Wir alle gieren nach | |
Bildern der Katastrophe. Aber nicht weil wir so blutrünstig wären, sondern | |
weil sie dem derzeit vorherrschenden Lebensgefühl entsprechen, einer | |
Mischung aus Angst und gleichzeitiger Sehnsucht nach dem Untergang - von | |
was auch immer: Europas, der Geldwirtschaft, der Demokratie. | |
In solch eine kollektive Stimmungslage fiel das Bild vom aufgeschlitzten | |
Schiffswrack. Und dieses Bild bewegt uns nicht nur wegen der realen | |
Katastrophe, sondern auch weil es augenblicklich zum Symbol geworden ist. | |
Diese Dimension erhielt das Unglück natürlich dadurch, dass es dieses | |
Symbol bereits gab. Der Untergang der "Titanic" ist gewissermaßen das | |
Label, das dafür schon bereitstand. Jeder hatte das Bild dafür parat - und | |
sei es nur jenes aus Hollywood. Erst kürzlich hat Gustav Seibt vor | |
historischen Analogien gewarnt. Und auch in diesem Fall sind die | |
Unterschiede erhellender als die Gemeinsamkeiten. | |
So war die "Titanic" bereits als Schiff ein Mythos, Inbegriff von Luxus und | |
Fortschrittspathos. Schuld an ihrem Untergang war der Ehrgeiz, einen Rekord | |
zu brechen. So dass dieses Unglück als "Hybris des Fortschritts" verstanden | |
werden konnte und in einer religiösen Lektüre als Notwendigkeit einer | |
moralischen Erneuerung. Darüber hinaus ist die "Titanic" nicht nur Symbol | |
für den unaufhaltsamen Untergang eines Zeitalters. Rückwärts gelesen, von | |
ihrem Ende her, verklärt sich das Davor, vor der Katastrophe, zu einer | |
Lebensintensität, der nach wie vor eine Sehnsucht gilt. | |
## "Gehen Sie an Bord, verdammt!" | |
Bei der "Costa Concordia" hingegen sind solche Überhöhungen nicht möglich. | |
Der Mythos Kreuzfahrt ist heute ein "gesunkenes Kulturgut", ein | |
Massenvergnügen auf Dampfern, die schwimmende Konsumenklaven, Shopping- und | |
Freizeitmalls, sind. Ursache des Unglücks war ein Spektakel, das man dem | |
Publikum bieten wollte. | |
Als Metapher unserer Zeit ist das Unglück also ganz anderer Art als die | |
"Titanic". Ablesbar ist dieser Unterschied am postheroischen Kapitän des | |
Dampfers, der einen wahren Metaphernschwall ausgelöst hat: vom Al Bundy der | |
Seefahrt; ein Capitano Berlusconi, der Werner Faymann (österreichischer | |
Bundeskanzler) der See; der Kapitän sei wie unsere Politiker, die lächelnd | |
das Volk im Vorbeifahren grüßen und dabei das Schiff versenken; oder wie | |
die Politiker, die vor dem Finanzkapitalismus das gemeinsame Boot sinken | |
lassen. Das "Gehen Sie an Bord, verdammt!" des Hafenkommandanten hat das | |
Zeug, zur Losung der Zeit zu werden. | |
Und noch an einem anderen Punkt trifft das Unglück einen zentralen Nerv | |
unserer Zeit: im Glauben an den Hedonismus. Wie das gesunde Leben, so soll | |
uns auch der sichere Genuss retten. Urlaub ohne Risiko ist ein | |
Erlösungsversprechen, das von dem Wrack der "Costa Concordia" negiert wird. | |
Der Untergang des Dampfers direkt vor der Küste stellt alle unsere | |
Sicherungssysteme - technische und emotionale - infrage. Auch das steht | |
hinter unserer Empathie. | |
Die Kreuzfahrtindustrie, die von Traumschiffbildern lebt, muss nun die | |
Bilder des Wracks entsorgen. Für das Publikum jedoch zeigt sich, dass das | |
Gieren nach Symbolen der Katastrophe einen unerwarteten und frivolen | |
Mehrwert hat, der Angst und Lust versöhnt. Die Bilder sind nicht | |
Illustrationen eines kommenden Untergangs. Ganz im Gegenteil. In Symbolen | |
wie dem Schiffswrack der "Costa Concordia" wird die Katastrophe vielmehr | |
veräußerlicht: Die Katastrophe ist dort draußen, und wir sind hier und | |
verfolgen sie von einem Punkt aus, der eben deshalb ein sicherer sein muss. | |
"Schiffbruch mit Zuschauer" nennt man das. | |
23 Jan 2012 | |
## AUTOREN | |
Isolde Charim | |
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