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# taz.de -- Seveso-II-Richtlinie: Industrie soll verdrängt werden
> Kreuzbergs Bürgermeister will gefährliche Betriebe aussiedeln. Bisher ist
> dies an deren Widerstand gescheitert.
Bild: Kein Gift in Kindernähe: Gilt auch für Industriebetriebe.
In der Auseinandersetzung um drei Metallveredelungsfirmen in Kreuzberg
setzt sich Bezirksbürgermeister Franz Schulz (Grüne) für eine Verlagerung
der Betriebe aus der Innenstadt ein. "Diese Firmen haben in unserem
Innenstadtbezirk nichts zu suchen, weil sie eine Gefahr für die
Bevölkerung, für Schulen und Kitas darstellen", sagte Schulz am
Mittwochabend in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV)
Friedrichshain-Kreuzberg.
Wie die taz am Mittwoch berichtete, gibt es in Berlin noch 33 Betriebe, die
unter die sogenannte Seveso-II-Richtlinie fallen, davon allein drei
Galvanikbetriebe zur Beschichtung von Metallen in Kreuzberg. Durch ein
Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom September 2011 sind die
Baubehörden nun gezwungen, alle Bauanträge und Anträge auf
Nutzungsänderungen im Umkreis von bis zu 250 Metern um die mit gefährlichen
Chemikalien arbeitenden Betriebe "erst mal abzulehnen", wie Schulz
ausführte. Nur nach Abwägung verschiedener Faktoren, wie des
Gefahrenpotenzials des Betriebs, aber auch der sozialen Bedeutung des
Bauvorhabens, könnte eventuell eine Genehmigung erteilt werden.
Dies führt nun zu der absurden Situation, dass sich rund um einen
Galvanikbetrieb in der Boppstraße mehrere Kitas mit Bestandsschutz
befinden, aber eine neue Eltern-Kita in der nahegelegenen Schönleinstraße
abgelehnt werden musste. John Dahl von der SPD-Fraktion verwies auf die
Situation in der Köpenicker Straße, wo sich im Umfeld der Firma Otek gleich
zwei Grundschulen befinden. Auch bereitete ihm große Sorgen, wie sich die
Rechtsprechung der EU auf den Wert vieler Grundstücke am Kreuzberger Ufer
auswirkt. "Wenn ich dort nicht mehr bauen kann, ist der Wert doch faktisch
null", sagte Dahl. Ironisch meinte dazu Schulz, auf dem städtischen
Behala-Grundstück, von dessen Verkauf sich der Senat mehrere Millionen Euro
erhofft, "wäre ja weiterhin eine Nutzung als Lagerhalle zulässig. Dies
fällt unter Bestandsnutzung."
Weniger ironisch berichtete Schulz von den jahrelangen Bemühungen,
insbesondere den Betrieb von Otek aus der Innenstadt heraus in ein
Gewerbegebiet am Stadtrand umzusiedeln. Doch auch dieser Betrieb habe
Bestandsschutz. Im vergangenen Jahr habe man ein seiner Meinung nach
perfektes Ersatzgrundstück angeboten. Gescheitert sei der
Aussiedlungsversuch daran, dass die Firma Schadensersatzforderungen in Höhe
von 11 Millionen Euro erhoben habe, erzählte Schulz sichtlich empört.
Jetzt hofft der Bezirksbürgermeister vor allem darauf, dass mit dem neuen
zuständigen Staatssekretär Ephraim Gothe (SPD) bei der Senatsverwaltung für
Stadtentwicklung und Umweltschutz das gegenseitige Hin- und Herschieben der
Verantwortung aufhört. Gemeinsam gelte es, für alle zwölf Bezirke die
Faktoren zu benennen, nach denen bei Bauanträgen in der Nähe von
Seveso-II-Betrieben abgewogen werden soll. Auch verwies Schulz auf das in
den vergangenen Jahren entstandene "Wissensnetz" zum Thema auf der
Verwaltungsebene: "Eine Umsiedlung kann nur gelingen, wenn der Betrieb
zustimmt". Im konkreten Fall der Kita in der Schönleinstraße konnte Schulz
den Eltern wenig Hoffnung machen. Im unwahrscheinlichen Fall eines Unfalls
komme eben doch die Frage auf: "Wer hat genehmigt?" Deshalb suche die
Kreuzberger Verwaltung nach einem Ersatzstandort.
"Andersrum wäre es aber richtiger", erklärte dazu Dirk Behrendt, in dem
betroffenen Viertel direkt gewähltes grünes Mitglied im Abgeordnetenhaus.
"Im Falle eines Unfalls muss die Frage doch lauten, wer hat den Betrieb
geduldet, warum war dieser Betrieb noch da?" Florian Schärdel, Sprecher der
grünen BVV-Fraktion, ergänzte, "es ist doch absurd, dass die Kinder vor
solchen Betrieben weichen müssen und nicht die Betriebe vor den Kindern".
26 Jan 2012
## AUTOREN
Christoph Villinger
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