# taz.de -- Montagsinterview mit Henry Voss: "Zelebrieren ist nicht mehr so" | |
> In der DDR tauschte Henry Voss illegal Schallplatten. Nach der Wende | |
> eröffnete er einen Plattenladen in Prenzlauer Berg. Zuhause hört er kaum | |
> noch Musik. | |
Bild: "Wer hier 'n Kaffee trinken möchte, kann den gerne haben": Henry Voss be… | |
taz: Herr Voss, haben Sie einen MP3-Player? | |
Henry Voss: Ja. Wieso? | |
Sie verkaufen seit 20 Jahren vor allem Vinylscheiben. Die gelten als | |
authentisch. MP3 sind seelenlose Dateien. Das Gefühl für das Besondere geht | |
verloren. | |
Finde ich auch. Das ist völlig beliebig. Ich kenne Leute, die haben ne | |
Festplatte mit 500 Gigabyte Musik. Die werden nie gehört. Völlig wertlos, | |
das Medium. | |
Was genau ist das Besondere am "schwarzen Gold" Vinyl? | |
Das Cover, das Artwork, der Sound, der wärmer klingt. Wenn du damit nicht | |
schändlich umgehst, kannste die Platten noch in 50 Jahren anhören. Du | |
kannst dir eine Plattensammlung als Wertanlage hinstellen. Und natürlich | |
dieses Zelebrieren, wenn man sie zu Hause auflegt. | |
Vor 20 Jahren waren Platten günstiger als CDs. Heute liegt eine | |
Neuerscheinung auf LP gerne zehn Euro über der CD. | |
Die Majors Sony, Warner, Universal haben Ende der 90er versucht, die Platte | |
totzumachen, und die Preise erhöht. Früher wurden von neuen Platten 250.000 | |
durchgeschoben, heute machen sie noch 2.000 oder 3.000. Du musst schon | |
Vinylfan sein, wenn du das mitmachst. | |
Ihr Laden war von Beginn an auch Anlaufstelle für Punks. Ist eine Platte | |
jenseits der 20-Euro-Marke noch Punk? | |
Nee, aber die Punkplatten sind ja heute noch nicht teuer. Die kosten | |
zwischen 11 und 13 Euro, damals waren es 20 Mark. Eigentlich haben die | |
kleinen deutschen Punklabels nur die Inflation eingerechnet, die steigenden | |
Kosten im Presswerk und so. Einige Labels wollen die Preise moderat halten | |
und überlegen, ob sie Vinyl überhaupt weitermachen. Die sagen: Ich will im | |
Verkaufspreis nicht übern Zehner gehen. | |
Eigentlich wollten Sie zum Radio. Stattdessen machten Sie sich 1991 mit | |
Vopo Records selbstständig. Wie kam es dazu? | |
Ich hab zwei Praktika gemacht, eins im Tonstudio einer Jugendeinrichtung im | |
Märkischen Viertel und eins bei DT64, dem DDR-Jugendsender. Aber der wurde | |
ja dann dichtgemacht, die haben keinen mehr eingestellt. Ich hatte nicht | |
die Traute oder bin gar nicht auf die Idee gekommen, mich im Westen zu | |
bewerben, beim SFB oder so. Große Plattenfirmen gabs damals in Berlin | |
nicht, und die kleinen hatten ihre Leute. Also: Machste n Plattenladen. War | |
zu der Zeit nicht die falscheste Entscheidung. | |
Aber Ahnung vom Geschäft hatten Sie nicht. | |
Ich musste mich reinfummeln. Ich bin rumgerannt und hab mich in anderen | |
Läden informiert, wie man wo was bestellt, wie die Spanne ist und die | |
Bezahlung. Ich war so blauäugig, dachte so: Na ja, schicken die Labels erst | |
mal und wenn dus verkauft, bezahlste. Ist natürlich Quatsch, du musst das | |
Zeug innerhalb von zwei Wochen bezahlen, und dann ist es deins. Dann musste | |
sehn, wie du klarkommst. | |
Und zu DDR-Zeiten waren Sie hinter jeder Amiga-Platte her? | |
Klar. Die Lizenzsachen konntest du nicht jederzeit überall kaufen. Alle | |
zwei Wochen kam eine raus, immer Donnerstag, da standen die Leute früh um | |
sechs vor der Tür und haben drei Stunden gewartet. Die 25 Dinger, die die | |
gekriegt haben, waren sofort weg. Ich hatte Glück, bei mir im Haus wohnte | |
die Chefin vom Plattenladen. Die hat mir immer eine mitgebracht. Ich hab da | |
aber schon mit Westplatten hantiert. | |
Wie kamen Sie an die ran? | |
Es gab Tauschringe, ausgehend von Leuten aus Leipzig oder Berlin, die | |
Kontakte hatten und das massenweise gekauft haben. In der Disco hat man | |
mitgekriegt: Wer hat so was, wer macht so was. Die Sachen wurden dann | |
rumgegeben zum Überspielen. Da hab ich mir ne Clash gekauft, Fehlfarben und | |
die Dead Kennedys. | |
Musik vom Klassenfeind! | |
Das war illegal, da waren sie richtig hinterher. Das lief unter | |
Devisenschmuggel. Dabei hattest du nie was mit Devisen zu tun. Du hast in | |
Ost bezahlt, 120 ne Platte und Doppelalbum 240 Ostmark. Das war ein heißes | |
Ding. Ich hab einige Bekannte, die richtig im Knast gesessen haben | |
deswegen. | |
Sie sind aus Mecklenburg-Vorpommern und haben in Meißen studiert. Seit wann | |
sind Sie in Berlin? | |
Im Sommer 89, mit der Ausreisewelle über Ungarn und Tschechien, war zum | |
ersten Mal die Chance da, hier ne Wohnung zu kriegen. Man musste gucken, wo | |
es immer dunkel ist. Irgendwann machtest du die Wohnung auf, hast | |
reingekuckt, war leer, und dann hast du nach der Wende auf dem Amt gesagt, | |
dass du da sozusagen illegal wohnst. Dann haben die nachgekuckt: Ja, die | |
haben vier Monate nicht bezahlt, könnse übernehmen. | |
Wo haben Sie damals gewohnt? | |
Lychener Straße, das ist hier mein Kiez. Ich wohn heute noch in der | |
Lychener und kuck in mein altes Fenster rein. Den Laden hab ich auch in der | |
Lychener aufgemacht. 96 bin ich hier in die Danziger gezogen. | |
Wie würden Sie die Atmosphäre beschreiben, die hier im Kiez Anfang der 90er | |
herrschte? | |
Das war Aufbruchstimmung. Hier war alles besetzt. Es war alles so Grauzone, | |
man konnte im Prinzip machen, was man wollte. Es kamen viele aus dem | |
Ausland, die das alles total spannend fanden. Alles abrissmäßig Grau in | |
Grau, null Komfort, aber war ein buntes Völkchen hier: Künstler, viele | |
Arbeitslose, dann fing es an mit Studenten. Kneipen waren nachts immer | |
voll, immer Party, alles schön. | |
Und der Laden mittendrin. | |
Der war Rückzugsgebiet. Es kamen viele Punks und Glatzen, die korrekten | |
natürlich. Dann gings los, dass man ein bisschen Bier verkauft hat. Dann | |
wurde die Idee geboren, den Laden als Label zu nehmen und eine eigene | |
Platte zu machen. Es kamen ein Longplayer und zwei Singles, auf der LP | |
waren Kiezgesöx, ne Berliner Punk- und Oi-Band, und Shock Troops. | |
Aber Sie haben Vopo Records nicht auf Punk spezialisiert. | |
Ich hab ne ziemliche Bandbreite bei Musik. Ich hab nicht gesagt, ich mach | |
einen Punk- oder Hardcore-Laden, ich hatte auch viel Indie und HipHop. | |
Was sagte denn die Bank, als Sie einen Kredit für die Eröffnung eines | |
Plattenladens wollten? | |
Die wollten mir keinen Unternehmenskredit geben, ich hatte ja keine | |
Sicherheiten. Ich hab einen Privatkredit aufgenommen, 20.000 oder 30.000 | |
Mark. Nicht die Welt, hab trotzdem ewig abbezahlt. Was übrig blieb, hab ich | |
in den Laden gesteckt, der wuchs auch ziemlich schnell. | |
Gab es Momente, in denen es knapp wurde mit dem Laden? | |
An Dichtmachen hab ich eigentlich nie gedacht, aber knapp war es anfangs | |
eigentlich immer. Du hast immer nur bezahlt, Finanzamt kam, wollte | |
Nachzahlungen haben, weil man das erst nicht so ernst genommen und die | |
Termine nicht eingehalten hatte, da haben die irgendwas geschätzt, was | |
völlig utopisch war. | |
Der Kiez hier hat sich in den vergangenen 20 Jahren enorm gewandelt. Wie | |
finden Sies? | |
Es ging 96 los, dass Stammleute weggezogen sind, weil Häuser saniert wurden | |
und die Leute die hohen Mieten nicht mehr zahlen konnten. Was sich im | |
Prinzip durchgesetzt hat. Ich bin mitgewachsen. Viele, die weggezogen sind, | |
regen sich über alles auf. So gehts mir eigentlich nicht. Viele Sachen | |
gefallen mir nicht, aber ich habe hier noch viele Freunde. Hier kennste | |
alle Ladeninhaber. | |
Und die Kundschaft? | |
Eine Menge Stammkunden sind weggezogen. Vieles kriegste auch woanders, die | |
halbe Stunde hierher fällt dann vielen schwer. Andersrum sind durch die | |
neuen Bewohner auch Käufer dazugekommen. Ich hab ja viel Indie hier oder | |
die neue Tom Waits. Das sind natürlich Käuferschichten, die so etwas suchen | |
und etwas mehr Geld haben. | |
Sind denn die vielen Touristen gut fürs Geschäft? | |
Ja, das ist der Vorteil der langen Dauer, die der Laden jetzt hat: Über die | |
20 Jahre kamen so viele Leute hierher, die Mundpropaganda gemacht haben, | |
wenn sie zurückfahren nach Barcelona oder so. Die markieren es dann im | |
Stadtplan für die Freunde, die nächstes Jahr kommen. | |
Suchen Touristen andere Titel als Stammkunden? | |
Es gibt witzigerweise zwei Klientelen. Eben hat einer nach deutscher | |
60ies-Surfmucke gefragt. Die wollen explizit was aus dieser Stadt oder | |
diesem Land. Dann gibt es auch viele, wo ich mich wundere: Die kaufen Mucke | |
aus ihrem Land. Wenn Finnen kommen, kaufen die finnischen Hardcore. | |
Sie sprachen vom Bier, das Sie früher verkauft haben. Jetzt steht hier eine | |
Kaffeemaschine. | |
Ich hab immer noch Bier. Ich hab alles, wozu man keine Extragenehmigung | |
braucht. Wer hier n Kaffee trinken möchte, kann den gerne haben. Ich habs | |
eigentlich gemacht, weil ich auch viele Pärchen habe. Gerade wenn Touristen | |
reinkommen: Er möchte n paar Platten kieken und die Frau sitzt im Stuhl und | |
langweilt sich. | |
Sind denn die Verkäufe über all die Jahre konstant geblieben? | |
Insgesamt ist es natürlich weniger geworden, die Plattenindustrie | |
schwächelt. Man könnte es nur vergleichen, wenn es das Internet nicht gäbe. | |
Die Leute kommen eindeutig wegen Vinyl zu mir, da hab ich viele Importe und | |
Sachen, die du nicht überall kriegst. Der CD geb ich nicht mehr lange. Wenn | |
du für die CD 16 Euro bezahlst und MP3-Alben für 6 verscherbelt werden, ist | |
die Spanne nicht gerechtfertigt. | |
Welche Spanne haben Sie denn beim CD-Verkauf? | |
Eine neu erscheinende CD kostet 11,50 bis 13,50 Euro im Einkauf - netto | |
plus Mehrwertsteuer. ne Beatsteaks als Beispiel kostet mich 15,50. Die | |
verkaufste für 16,99, haste 1,50 dran, davon musste die Mehrwert abziehen, | |
also n Euro. Früher hat sich das über die Masse gerechnet, aber heute | |
verkaufste sechs Stück. | |
Also macht die Preispolitik der Firmen vor allem den kleinen Läden zu | |
schaffen? | |
Ja, gerade bei Chartware, wo sich Saturn und Media Markt drauf stürzen. Die | |
verkaufen sie als Angebot unter Einkauf und locken die Leute damit. Ihr | |
Geld machen die mit Kühlschränken oder Fernsehern. Wer eine neue CD da für | |
n Zehner bekommt, warum soll der die hier kaufen? | |
Würden Sie das hier trotzdem als Traumberuf bezeichnen? | |
Prinzipiell gibt es immer ein paar Sachen als Selbstständiger: dass man nie | |
ein festes Einkommen hat. Dass die Freizeit eng begrenzt ist, wenn man den | |
Laden mit der Freundin macht. Wir stehen hier bis Sonnabendabend und der | |
einzige freie Tag ist Sonntag. Wir haben nie mal eine Woche zusammen | |
Urlaub. | |
Eine Aushilfe haben Sie nicht? | |
Nur einen Kumpel, der einen Job hat und deshalb höchstens mal auf n | |
Sonnabend hier steht. Jahresurlaub ist dann mal so verlängertes Wochenende | |
von Freitag bis Dienstag. Das ist ein Riesennachteil mit Kind. Andererseits | |
ist man flexibel und kann sagen: Heute Abend leg ich auf, mach du mal | |
morgen den Laden auf. | |
Als DJ Vossi legen Sie im Lido und anderswo auf. Zur Querfinanzierung des | |
Ladens? | |
Das geht aufs Ladenkonto. Ich leg etwa einmal die Woche auf, vorrangig | |
Gitarrenmusik, von Indie bis Punk, im Lido, Magnet, White Trash, K17 oder | |
auf Privatpartys. | |
Früher galt Plattenauflegen nur als echt, wenn es Vinyl war. | |
Ich leg CDs auf, schon seit 95. Du konntest Maxis und Singles | |
zusammenfassen auf eine und hast viel Platz gespart. Ich bin kein Special | |
DJ, der sein Zwei-Stunden-Set abspielt und 50 Platten einpackt. Ich | |
bestreite sieben, acht Stunden, da ist für mich Platz und Schlepperei | |
wichtig. Das geht anders gar nicht. | |
Heute wird oft mit digitalen Systemen wie Final Scratch aufgelegt, also | |
ohne herkömmliche Platten. Kommen deshalb weniger DJs in Ihren Laden? | |
Ja, würde ich schon sagen. Im Rockbereich kommen sie eigentlich noch, aber | |
Vinyl-HipHop ist komplett weggebrochen. | |
Haben Sie eine bestimmte Platte, die Sie sonntags zelebrieren: aus dem | |
Regal ziehen, abwischen, die Nadel auflegen? | |
Nee. Ich hab natürlich eine Lieblingsplatte - Clash, "London Calling". Aber | |
es ist nicht so, dass ich die am Sonntag rausziehe. Ich höre hier sechs | |
Tage die Woche acht Stunden Musik, mit dem Zelebrieren zu Hause ist es | |
nicht mehr so. Ist schade, aber auch verständlich. | |
29 Jan 2012 | |
## AUTOREN | |
Torsten Landsberg | |
Torsten Landsberg | |
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Plattenladen | |
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