# taz.de -- Täterberatung: "Wollen Sie die nächsten zwanzig Jahre Stalker sei… | |
> Stop-Stalking war die erste Beratungsstelle für Stalker. Wolf | |
> Ortiz-Müller berät hier Menschen, die ihre ehemaligen Partner verfolgen. | |
Bild: Opfer und Täter brauchen Beratung, sagt Wolf Ortiz-Müller. | |
Herr Ortiz-Müller, auf Ihrer Internetseite steht, Sie beraten "Menschen, | |
die stalken". Das Wort "Täter" wollten Sie wohl nicht verwenden? | |
Wolf Ortiz-Müller: Die Formulierung soll zwei Dinge unterstreichen: Erstens | |
gibt es Männer und Frauen, die stalken. Und zweitens ist kein Mensch nur | |
Stalker. Ein Mensch, der stalkt, kann in anderen Bereichen sehr nett sein. | |
Das klingt, als hätten Sie Mitleid mit den Tätern. | |
Mitleid habe ich mit den Opfern. Bei den Tätern würde ich es Empathie | |
nennen. Die ist auch absolut notwendig für die Beratung. Wie kann ich denn | |
vom Täter verlangen, dass er sich in sein Opfer hineinfühlt, wenn ich mich | |
nicht ein Stück weit in ihn hineinfühlen kann? Es herrscht ja die | |
weitläufige Meinung, Stalker seien Monster. Ich habe mit weit mehr als 100 | |
Stalkern gesprochen, und da gab es vielleicht zwei, bei denen ich gar nicht | |
mehr mitgehen konnte. | |
Warum? | |
Weil sie so gnadenlos waren. Nach dem Motto: "Ich will, dass die bis zum | |
Ende ihres Lebens leidet". Stalker können aber auch Menschen sein, die nach | |
einer unglücklich beendeten Beziehung nicht das Selbstbewusstsein haben zu | |
sagen: "Wenn sie mich nicht will, suche ich mir eben eine andere". | |
Warum haben Sie sich entschieden, Stalker zu beraten? | |
Es ist für einen Psychologen ungeheuer spannend, einen Zugang zu diesen | |
Menschen zu finden. Sie erzählen in der Regel zum ersten Mal ihre | |
Geschichte, denken zum ersten Mal darüber nach. Die meisten Täter gehen mit | |
ihren Stalkingaktivitäten ja nicht hausieren. Da gibt es eine große Scham. | |
Sind Stalker Verlierertypen? | |
In Sachen Beziehungen schon. Viele haben wenig erfolgreiche oder gar keine | |
Beziehungen geführt. Häufig ist Stalking auch Teil einer generellen Krise: | |
Je weniger andere Dinge ein Mensch hat, die ihm Erfolg und Glück bereiten, | |
desto mehr Zeit hat er für das Stalking. Aber es gibt auch den | |
erfolgreichen Geschäftsmann mit Büro in der Friedrichstraße, der stalkt. | |
An welchem Punkt kommen die Stalker zu Ihnen? | |
Stalking ist ein zunehmend beliebtes Label. Deshalb bekommen es manche | |
schon sehr schnell verpasst, melden sich dann bei uns und fragen, ob das | |
wirklich Stalking ist, was sie da machen. Andere kommen erst nach drei oder | |
mehr Jahren. Die Polizei empfiehlt Stalkern, die von Betroffenen angezeigt | |
wurden, zu uns zu kommen. Außerdem schicken zunehmend auch Gerichte und | |
Amtsanwaltschaft Stalker zur Beratung. | |
Anstatt sie ins Gefängnis zu stecken? | |
Meist geht es darum, dass das Verfahren eingestellt wird, wenn sich die | |
Täter von uns beraten lassen. Damit Stalker eine Haftstrafe bekommen, muss | |
schon sehr viel passiert sein. Aber wir hatten letztes Jahr erstmals zwei | |
Täter, die die Beratung als Bewährungsauflage bekommen haben. Und wir haben | |
zum ersten Mal zwei inhaftierte Stalker in der Therapie. Das mag wenig | |
klingen, aber für uns ist es bedeutend, dass die Strafverfolgungsbehörden | |
mit uns zusammenarbeiten. So decken wir ein breites Spektrum ab: Von den | |
"Selbstmeldern", die freiwillig kommen, bis zum verurteilten "Knacki". | |
Lassen sich denn Stalker auf eine Beratung ein, die ihnen unter | |
Strafandrohung aufgebrummt wurde? | |
Erstaunlicherweise klappt das recht gut. Am Anfang sind sie oft sehr | |
skeptisch, aber über zwei drei Gespräche merken sie: Ach, da bekomme ich | |
doch etwas mit. | |
Also hat die Kriminalisierung aus Ihrer Perspektive geholfen? | |
Ich finde es gut, dass Stalking vom Gesetzgeber sanktioniert wird. Jetzt | |
ist klar: Da droht Strafverfolgung. Das kann der Täter in Kauf nehmen oder | |
er kann sich beraten lassen. Bei dem einen oder anderen hilft dieser Druck. | |
Ist den Stalkern bewusst, wie sehr sie ihre Opfer quälen? Opfer, die durch | |
die Wohnung kriechen, weil sie Angst haben, gesehen zu werden. Die jeder | |
Lebensqualität beraubt werden, an Selbstmord denken? | |
Zum Teil. Es ist natürlich auch unsere Aufgabe, ihnen das bewusst zu | |
machen. Aber das hilft nur bei den Stalkern, die wieder zurück wollen in | |
die Beziehung. Bei den Rachsüchtigen hilft das nicht: Die freuen sich ja, | |
wenn es den Opfern schlecht geht. | |
Was machen Sie bei denen? | |
Ich stelle Fragen: Ist ihnen klar, welche Strafen dann drohen? Welche | |
Kränkungen reichen so tief, dass sie glauben, die andere Person müsse dafür | |
leiden? Wollen sie die nächsten zwanzig Jahre Stalker bleiben? Ist das eine | |
Perspektive? Es gibt keinen Stalker, dem es gut damit geht, Stalker zu | |
sein. | |
Kann jeder zum Stalker werden? | |
Die meisten sind vorbelastet. Es gibt Untersuchungen, die belegen, dass | |
Stalker häufig negative Bindungserfahrungen in der Kindheit gesammelt | |
haben. Verlustängste, die sozusagen in der Erwachsenenbeziehung | |
wiederaufflammen. | |
Opferberater wehren sich dagegen, Stalking als Krankheit abzutun und damit | |
die Täter in gewisser Weise zum Opfer zu machen. Bei Ihnen klingt es aber | |
ganz so. | |
Nein. Stalking ist eine Straftat und keine Krankheit und hat ganz bewusst | |
keinen Eingang in irgendein psychologisches Diagnostikhandbuch gefunden. | |
Mal abgesehen von denen, die Psychosen haben, sind 95 Prozent aller Täter | |
für ihr Tun komplett verantwortlich zu machen. Wenn ein Stalker aber damit | |
aufhören will, dann hilft es, wenn man nachspürt, woher gewisse | |
Verhaltensweisen kommen. Warum hatte jemand jahrelang gute Beziehungen und | |
wird dann mit 32 zum Stalker? Warum stalkt ein anderer immer wieder, seit | |
er 15 ist? Darauf Antworten zu finden, ist Teil unserer Arbeit. | |
Aber Ihre Klienten sehen sich als Opfer? | |
Am Anfang schon. Sie fühlen sich ungerecht behandelt, weil sie abserviert | |
wurden. Häufig auf unschöne Weise, zum Beispiel per SMS. Stalker leiten | |
dann daraus ab, Sie hätten noch das Recht auf ein letztes klärendes | |
Gespräch mit dem Expartner. | |
Würde das helfen? | |
In der Regel ist es das Beste, wenn das Opfer jeden Kontakt abbricht und | |
klar sagt, es ist vorbei. Der Andere muss sich damit abfinden, dass er | |
vielleicht nicht die letzten Gründe erfährt, warum es zur Trennung kam. | |
Leider verhalten sich auch manche Gestalkte ambivalent. Ein Beispiel: Ich | |
beende ein Beratungsgespräch mit einer Klientin. Und sie sagt: Jetzt holt | |
mich die Susanne ab. Und ich sage: Moment mal, Susanne ist doch Ihr | |
Stalkingopfer! | |
Ist das denn dann noch Stalking? | |
Manchmal wechseln sich Stalking- und Beziehungsphasen ab. Auch die Opfer | |
müssen beraten werden, wie sie sich besser abgrenzen können. | |
Nun wird aber mit der Stalking-Opfer-Hilfe Berlin ein Projekt zur | |
Opferberatung nicht weiter finanziert. | |
Das bedaure ich von Herzen und es steht der Politik auch gar nicht gut zu | |
Gesicht. Ich setze große Hoffnungen auf den neuen Senat - dass dort die | |
Notwendigkeit dieser Arbeit erkannt und auch finanziert wird. Wir wären | |
natürlich bereit, unsere Expertise einzubringen und unser Angebot auf | |
Stalking-Betroffene auszuweiten. | |
Es gibt Kritik, die Opferhilfe müsse aufhören, aber für die Täterberatung | |
sei noch Geld übrig. | |
Ich möchte das nicht gegeneinander aufwiegen. Ich glaube, es gibt niemanden | |
in der seriösen Opferberatung, der unsere Arbeit nicht auch als Opferschutz | |
betrachten würde. Denn alle anderen Methoden stoßen an ihre Grenzen: Das | |
Opfer kann die Telefonnummer ändern, wegziehen, den Täter anzeigen. Aber | |
oft hilft das nicht. | |
Und Sie bringen die Stalker dazu, aufzuhören? | |
Nicht immer. Aber oft hat das Opfer erst dann wirklich Ruhe. Den meisten | |
geht es ja gar nicht um Bestrafung, sondern darum, endlich ihre Ruhe zu | |
haben. Ich glaube schon, dass wir dazu einen bescheidenen Beitrag leisten. | |
1 Feb 2012 | |
## AUTOREN | |
Manuela Heim | |
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