# taz.de -- Demografischer Wandel: Mit 40 das erste Mal auf der Skipiste | |
> Österreichs Skilehrer stellen sich auf den demografischen Wandel ein. Die | |
> angehenden Silver Ager gehören in den Skigebieten längst zu einer | |
> umworbenen Zielgruppe. | |
Bild: Das Alter allein ist kein Grund, die alpinen Höhen zu meiden. | |
Ein Vierteljahrhundert ist er nun dabei. Skilehrer Joachim Riedmann, 45, | |
hat schon so einiges erlebt auf der Piste. Doch als - nennen wir ihn - | |
Klaus Klotz die Skischule in den Kitzbüheler Alpen betritt, verschlägt es | |
dem blonden Hünen den Atem. | |
Nicht weil Klausi, wie er sich gern nennt, 46 ist. Gar kein Problem. Auch | |
dass er noch nie auf Brettern stand, nein. Aber dass der Frühinvalide satte | |
220 Kilo auf die Waage bringt. | |
Wer, in Herrgotts Namen, soll ihn denn hochheben, wenn er hinfällt, schießt | |
es den anwesenden Skilehrern durch den Kopf. Immerhin alles kräftige Kerle, | |
die sich im Sommer als Holzfäller durchschlagen. | |
Aber der pensionierte Ordnungshüter ist zäh und steht am nächsten Tag | |
wieder auf der Matte. Mit der Erhabenheit eines Kellners, der einen Château | |
Lafite präsentiert, unterzeichnet er seinen Vertrag. Drei Tage | |
Einzelunterricht mit zwei Lehrern. | |
Seine treue Frau muss ihm sogar die Skier zum Hausberg schleppen. Mit ihrem | |
knappen Zentner wirkt sie recht fragil. Doch dann überrascht der Klausi | |
seine beiden Lehrer Achim Riedmann und Christoph Margreiter, 36, ein ums | |
andere Mal. Er hat scheinbar Talent, lernt schnell das Bremsen, entwickelt | |
rasch ein Gefühl für die Kurven. | |
Am zweiten Tag schon ist ihm der Anfängerhügel viel zu flach, am dritten | |
brettert er in alpiner Stellung und unter Adrenalin eine blaue Piste | |
herunter. Des Rätsels Lösung ist einfach. | |
Klaus war in jungen Jahren Eishockeyspieler, hat sich trotz Schlaganfall | |
und Übergewicht eine gewisse Sportlichkeit bewahren können - genau wie das | |
Körpergefühl auf glattem Grund. | |
## Die Angst ist das Problem | |
"Skifahren lernen ist keine Frage des Alters", erklärt die in Berlin | |
praktizierende Tiroler Psychologin und Skilehrerin Eva Wallner. "Wer noch | |
einen Fuß vor den anderen setzen kann, schafft es. Das Problem mit | |
zunehmendem Alter ist jedoch eher ein mentales: die Angst vor dem Sturz." | |
Genau die gilt es zu überwinden, wissen auch Achim und seine Kollegen, die | |
den demografischen Wandel in Deutschland hautnah in den österreichischen | |
Alpen miterleben. Immer mehr teutonische "Happy Enders" wollen es nämlich | |
wissen. | |
So werden die Aspiranten auf der einen Seite immer jünger, auf der anderen | |
Seite immer älter. Zwei Jahre alt war der Jüngste in ihrer Skischule, | |
stolze 77 der Älteste. | |
Müssen sie die Kinder eher bremsen, gilt es bei den Erwachsenen Vertrauen | |
aufzubauen. Zum Gerät, zum Skilehrer, zum Erlernten und nicht zuletzt zu | |
sich selbst. | |
Deshalb wiederholen die Profis die grundlegendsten Übungen wieder und | |
wieder. Wie stehe ich sicher auf den Skiern? Wie kann ich vermeiden, dass | |
ich ungewollt herunterschlittere? | |
## Das Gewicht nach hinten | |
Und wenn es dann doch passiert, habe ich diese merkwürdige V-Stellung der | |
Skier, den Pflug, schon intus? Mit dem ich meine Geschwindigkeit | |
reduzieren, ja sogar auf abschüssigem Gelände anhalten kann? | |
Erst wenn diese Übungen richtig sitzen, geht es meist am zweiten Tag | |
vorsichtig in leichten Kurven einen sanften Hang herunter. Dabei tut sich | |
die Generation Plus minus vierzig schwerer als die Generation Minus zehn, | |
hat sie sich doch jahrzehntelang in die Kurve gelegt, beim Fahrradfahren, | |
beim Laufen sogar. Und sich dabei instinktiv geduckt. | |
All das soll jetzt anders sein? Sich gerade stehend nach vorne lehnen und | |
in der Kurve sein Gewicht sogar nach außen verlagern? | |
Ja, und es ist schwer, aber es geht! Wer das vergisst, wird sich schnell | |
hinlegen, bei den moderaten Geschwindigkeiten, im Schnee und mit | |
Sicherheitsbindungen normalerweise aber auch kein Problem. Ernsthaft | |
verletzt hat sich jedenfalls noch niemand beim Unterricht. | |
## Besser mit Skilehrer | |
Wer zum ersten Mal auf den Brettern steht, muss vieles neu lernen. Sachen, | |
an die er nie zuvor gedacht hat. Wer es ohne professionelle Anleitung | |
autodidaktisch versucht, wird falsche Techniken erlernen, die später nur | |
recht schwer zu korrigieren sind. | |
Und ein guter Skilehrer wie Achim lässt es sich nicht nehmen, genau diese | |
Fehler in hollywoodreifer Slapstickmanier zu demonstrieren. So macht der | |
Gruppenunterricht Spaß, Riesenspaß sogar. | |
Dazu der Erholungseffekt durch klare Luft, Sonnenschein und Bewegung. Und | |
das gute Gefühl, nicht der einzige Anfänger zu sein. | |
"Spätestens am dritten Tag zeigt sich, wer mehr oder auch etwas weniger | |
Talent mitbringt", erklärt Christoph, "dann teilen wir die Gruppen neu auf. | |
So wird niemand unter- oder überfordert, das ist wichtig für die Stimmung | |
des Einzelnen und die der Gruppe." | |
## Gut geeigent für Flachlandmenschen | |
Beim Zusammenstellen und Splitten der Klassen geht es also nicht nach dem | |
Alter. Entscheidend ist, wie sportlich und beweglich der Einzelne ist. | |
Ein Konzept, das sich in der Tiroler Wildschönau bestens bewährt hat. Mit | |
seinen sanften Hügeln und Bergen eignet sich das Hochtal hervorragend für | |
ungeübte Flachlandmenschen. | |
Hierher kommen die Leute zum Lernen, nicht zum Sehen und Gesehenwerden, wie | |
etwa im höher gelegenen Kitzbühel. Auch sind die Preise bodenständig. Viele | |
buchen einen dreitägigen Kurs. Wer sogar fünf Tage übt, kann es danach | |
garantiert - sagen zumindest die Skischulen. | |
Die Lehrer verstehen ihr Geschäft, nicht nur fachlich, sondern auch | |
psychologisch. Einfühlsam gehen sie auf die diejenigen zu, bei denen die | |
Kehre wieder und wieder hakt. | |
## Hochmotivierte Schüler | |
Jeder bekommt sein Lob, sein persönliches Erfolgserlebnis. Und so banal es | |
klingen mag, es funktioniert. | |
Dazu ist ein Vierziger fast immer hochmotiviert und so dem Team zehnmal | |
lieber als der gelenkigste Teenager, der von den Eltern geschickt wurde und | |
eigentlich null Bock auf Ski hat. | |
Am vierten und am fünften Tag, wenn die Kurven geschmeidiger werden, man | |
anderen auszuweichen weiß und unten sogar punktgenau zum Stehen kommt, | |
werden die Abfahrten alpiner, ist sogar schon mal eine Schussfahrt drin, | |
sind die Mühen und der Muskelkater der ersten Tage fast vergessen. | |
Aber richtig auf Tour kommen sie erst abends, bei Krautinger-Rübenschnaps, | |
Almdudler-Kräuterlimo und Anton-aus-Tirol-Gassenhauern. | |
## Spaß auch am Abend | |
Also bei allem, was daheim ziemlich undenkbar wäre. Seit Achim unter der | |
Haube ist, scheidet er meist früher aus, dann hält Christoph eben allein | |
die Stellung. Das wäre okay für ihn, meint Achim, aber die Zeit früher sei | |
auch nicht übel gewesen. | |
Der Rest der Truppe klingt da weniger wehmütig. Klausi amüsiert sich | |
jedenfalls wie Bolle und will wiederkommen. Auch für die anderen steht | |
fest: Fortsetzung folgt. | |
4 Feb 2012 | |
## AUTOREN | |
Marc Vorsatz | |
## TAGS | |
Reiseland Österreich | |
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