# taz.de -- Ein Jahr Räumung Liebigstraße: Von zerstörten Blumentöpfen | |
> In der Liebigstraße 14 feiern ehemalige Bewohner und Sympathisanten ein | |
> melancholisches Straßengedenkfest. | |
Bild: Musik und Melancholie: Diesmal gabs keine Krawalle | |
Der Polizist fasst sich mit der Hand an sein linkes Ohr, immer wieder. | |
Offenbar kann er kaum verstehen, was ihm sein Einsatzleiter per Funk in den | |
Ohrenstöpsel durchgibt. Denn der Lärm ist groß: Zwei Dutzend Leute schieben | |
einen zum Schlagzeug umfunktionierten Autoanhänger die Rigaer Straße | |
entlang. Alte Blechtöpfe, Pfannen und abgesägte Eisenstangen klirren | |
aufeinander, sie hängen an einer Stange, die ein Motor rotieren lässt. Ein | |
paar Polizisten laufen mit - unschlüssig, was zu tun ist. | |
Das motorisierte Schlagzeug auf Rädern ist Teil des Musikprogramms zum | |
Gedenken an die Räumung des Hausprojektes in der Liebigstraße 14 vor einem | |
Jahr. Dorthin, ins Friedrichshainer Samariterviertel, hatten ehemalige | |
Bewohner und Sympathisanten am Donnerstag zur Mahnwache gerufen, um an den | |
1,6 Millionen teuren Polizeieinsatz mit Hundertschaften und Helikopter zu | |
erinnern. | |
Schon morgens um neun Uhr verteilen sich am ersten Jahrestag sechs | |
Polizeiwannen in Rigaer Straße und Liebigstraße, die Auspuffe rauchend, die | |
Motoren ratternd. Drinnen sitzen Beamte in dünnen Pullovern, sichtlich froh | |
über die im Fahrzeuginneren laufende Heizung. Draußen stehen derweil | |
zwanzig, dreißig Leute vor dem weiter bestehenden Hausprojekt X-Beliebig, | |
genau gegenüber der einstigen Eingangstür zur Liebig 14. Die ist allerdings | |
fest verrammelt: Die im vergangenen Jahr eingezogene Mieter nutzen heute | |
einen anderen Zugang über den Hinterhof. Insbesondere die neuen Mieter aber | |
will die heutigeVersammlung an die Räumung erinnern. | |
Die Teilnehmer trommeln mit Blechgeschirr und Pfannen, auch oben, auf den | |
X-Beliebig-Balkonen, stehen einige und lassen ihre Kücheninstrumente | |
krachen. Ihnen sind auch bald die ersten Strahlen der höher und höher | |
steigenden Sonne vergönnt. | |
Punkt zehn lösen sich drei Teilnehmer aus dem blechern scheppernden Pulk | |
und steuern auf die Polizisten gegenüber zu: Sie melden spontan die | |
Mahnwache an. Die Polizisten haben damit gerechnet: Einer streift dem | |
anderen die gelbe Weste mit dem Aufdruck "Verbindungsbeamter" über - nicht | |
ohne ihn mit einem Lächeln auf den Lippen zu erinnern: "Du weißt schon, der | |
letzte Verbindungsbeame wurde umgetreten." | |
Er spielt auf einen von der Polizei berichteten Vorfall vom vergangenen | |
Samstag an: Bei einer Demonstration gegen Polizei- und Militärkongresse in | |
der Stadt sollen Demonstranten den gelb markierten Verbindungsbeamten | |
umgetreten haben. Stunden später folgten Scharmützel zwischen Autonomen und | |
Polizei in der Gegend um die Liebigstraße, von denen am Donnerstag noch ein | |
Aushang an der Pinnwand beim nahen Bäcker zeugt: Hausbesetzer bitten um | |
Film- und Fotoaufnahmen, die Nachbarn von den Balkonen aus von den | |
Auseinandersetzungen mit der Polizei gemacht haben könnten. | |
Konfrontationen gibt es an diesem Tag kaum, alles bleibt ruhig. "Wir machen | |
unsere Melancholie zu einer Waffe!" sind die Flyer überschrieben, die einer | |
für die folgende Never-Rest-In-Peace-Demonstration am Samstag verteilt. | |
Melancholisch bleibt auch die heutige Stimmung: Rund um einen Gedenkkranz | |
aus Tannenzapfen und einen Strauß aus alten Kabeln und Glühbirnenfassungen | |
stehen ein paar Stunden später 70, 80 Leute. Hier und da hält einer einen | |
Teller mit Kartoffelsuppe, die bei der Kälte gleich zu dampfen aufhört. | |
"Ist doch ganz nett", sagt ein ehemaliger Bewohner: "Bisschen Leben auf der | |
Straße, bekannte Gesichter und Musik." Zwei Musiker steigen auf umgedrehte | |
Bierkisten, stimmen ihre Geigen und singen dann von Blumentöpfen und | |
Fenstern, die die Polizei bei der Räumung zerstört habe. "Wir lieben euch" | |
rufen sie nach dem Lied mit ausgebreiteten Armen zu den paar Beamten rüber. | |
Die hören gar nicht zu. | |
Die wenigen Diskussionen mit den Beamten sind da längst vorüber: Die hatte | |
es nur früh morgens gegeben, als das motorisierte Schlagzeug von der | |
benachbarten Wagenburg heran geschoben wurde: "Aufbauten sind nicht | |
angemeldet", sagte eine Polizistin da streng. Die Aktivisten schoben das | |
Schlagzeug brav zurück zum Wagenplatz. Nachdem der Anmelder der Versammlung | |
dann nochmal mit dem Einsatzleiter gesprochen hat, durfte die Krachmaschine | |
später noch ihre Runde drehen. | |
2 Feb 2012 | |
## AUTOREN | |
Sebastian Puschner | |
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