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# taz.de -- Probleme der Demokratie: Von seinen Bürgern verlassen
> Manchmal ist es schwierig direkte und repräsentative Demokratie unter
> einen Hut zu bringen: In der niedersächsischen Samtgemeinde Walkenried
> zerlegt das Ergebnis einer Bürgerbefragung gerade die Selbstverwaltung.
Bild: Walkenried ist seit 500 Jahren Ruine - und seit 1990 ruiniert.
Walkenried, das stand einmal für unvorstellbaren Reichtum. Das dortige
Kloster galt als Ort, wo die Chefs "herlich und prechtig zehren und
pancketieren" konnten. Aber das hat Martin Luther geschrieben, im Zorn und
vor Langem. Heute ist die Samtgemeinde Walkenried Niedersachsens ärmste
oder viertärmste Kommune, je nach Zählung.
Die kommunale Pro-Kopf-Verschuldung dieses Konstrukts, das neben dem
Klosterort noch die Dörfer Wieda und Zorge umfasst, liegt bei 3.163 Euro.
Jetzt will auch noch der hauptamtliche Bürgermeister aufgeben, drei Jahre
vor Ende der Amtszeit. "Was", fragt Frank Uhlenhaut, "soll ich denn noch
machen?"
Seit August 1999 ist der Sozialdemokrat hier Samtgemeindebürgermeister,
zwölfeinhalb Jahre. Seit zehn Jahren ist er Kreisverbandsvorsitzender des
niedersächsische Städte- und Gemeindebundes und selbstredend ehrenamtlicher
Gemeindedirektor: Klingt nicht nach jemandem, der nur darauf gewartet
hätte, dass Niedersachsens Kommunalverfassungsgesetz einem
Hauptverwaltungsbeamten die Möglichkeit einräumt, "aus besonderen Gründen"
den Ruhestand zu beantragen.
Denn einfach zurücktreten kann ein Bürgermeister nicht. Allerdings:
Peinlich berührt vom grotesken Loveparade-Nachspiel des Duisburger OB Adolf
Sauerland haben etliche Flächenländer 2011 wenigstens die Option
geschaffen, sich würdevoll zurückzuziehen. Auch Niedersachsen. Und so weit
sind wir jetzt: Uhlenhauts Antrag ist eingereicht.
Er respektiere den Schritt Uhlenhauts, sagt der starke Mann der örtlichen
CDU, Herbert Miche: "Ich werde zustimmen." Aber wie seine Fraktion
entscheidet, sei unklar, "darüber haben wir noch nicht beraten". Und für
den Abschied braucht der Bürgermeister eine Dreiviertelmehrheit. Am 23.
Februar stimmt der Samtgemeinderat über die Bitte ab. Er kann ihr
nachkommen - oder Uhlenhaut vollends ins Elend stürzen. Es sei "tatsächlich
so, dass mir das schlaflose Nächte bereitet", sagt der 47-Jährige, seit
Herbst, denn: "Ich kann den gewählten Kurs nicht mitgehen."
Der gewählte Kurs, das ist der, die Samtgemeinde eben nicht mit der knapp
zehn Kilometer östlich gelegenen Kleinstadt Bad Sachsa zusammenzuschließen.
Uhlenhaut hält "die Fusion wirklich für alternativlos": Es ließen sich
Doppelstrukturen abbauen, so die Hoffnung, und das Land Niedersachsen zahlt
eine schöne Prämie dafür, die Hälfte der Kassenkredite von 2009: 18
Millionen, fifty-fifty zwischen Sachsa und der dann Ex-Samtgemeinde - das
wäre schon wichtig, um aus der Zinsfalle rauszukommen. Denn aus eigener
Kraft kann das nicht gelingen.
Dafür, dass es so verarmt ist, kann Walkenried weniger als einst die
feudalen Mönche für den Furor der marodierenden Wutbauern, die 1525 den
Niedergang des Ortes einläuteten: Die Geistlichen flohen. Und die Bauern,
so heißt es, plünderten damals das Kloster, nutzten Evangeliare als
Fußabtreter - und schmissen dann den Kirchturm um.
So ganz hat sich Walkenried davon nie erholt. Aber richtig schlimm ist es
erst seit 1990. Vorher gabs wenigstens noch Zonenrand-Förderung. Aber mit
der Wiedervereinigung kam der Aufbau Ost - hier oft konkret ein Abbau West.
Tourismusangeboten in Sachsen-Anhalts Ostharz und im nahen Thüringer Wald
fließen fette Subventionen zu - während man im Westharz bis heute bemüht
ist, wenigstens die Fremdenverkehrs-Standards der 80er Jahre zu halten.
Zuguterletzt wurden noch die verbliebenen Institutionen dicht gemacht:
Amtsgericht futsch, Forstamt futsch. Güterbahnhof - zu. Immerhin, die
Fleischerei Rennschuh hält sich noch.
"Das Machbare machen!": Das war bei seiner Wiederwahl 2006 Frank Uhlenhauts
Slogan. "Das war", räumt er nun ein, "schon ziemlich verhalten." Wären
dieses Jahr auch Bürgermeisterwahlen gewesen, hätte er mit dem Spruch "Das
Notwendige machen!" für sich geworben - "weil ich die Fusion für absolut
notwendig halte".
Wahrscheinlich war er als erster für diese Reform. Und als sich dann
endlich auch seine Parteifreunde dafür erwärmten, "da war ich richtig
begeistert". Das hat er auch schon im Wahlkampf deutlich gemacht, im
September. Und im Vorfeld der Bürgerbefragung in den Wochen danach.
Die erfreute sich guter Beteiligung. Und das Ergebnis klar: Halb Zorge war
gegen die Verschmelzung, fast 70 Prozent der Walkenrieder lehnten sie ab.
Die Wiedaer durften gar nichts sagen: Sie waren entmündigt worden, von
ihrer örtlichen SPD-Fraktion. Weil nämlich die Bürger von Walkenried und
Zorge bei der Fusionsbefragung anders gestimmt hatten, als es die Wiedaer
SPD gewollt hätte, haben sechs ihrer Kommunalwahl-Kandidaten nun ihr
Gemeinderats-Mandat nicht angenommen, darunter der ehrenamtliche
Bürgermeister Edgar Hopfstock. Dadurch wurde die CDU stärkste Kraft im Rat
von Wieda.
Das ist sie auch in Walkenried, aber ganz normal, durch den Willen der
WählerInnen: Sie war strikt gegen die Fusion oder, genauer, "dafür, dass
man alle Alternativen prüft", so Miche. Was nun aufs Gleiche hinausläuft.
Denn jetzt, nach der Bürgerbefragung, wäre es ein Affront, über eine Fusion
auch nur laut nachzudenken. Also hofft man, dass das Land Niedersachsen
auch ohne Zusammenschluss aushilft. Bloß warum sollte es?
"Im Grunde", sagt Uhlenhaut, bin ich für Bürgerentscheide." Und er sei oft
unterlegen gewesen, in seinen fast 13 Jahren als Samtgemeinde-Chef.
Manchmal ist es schwer, direkte Demokratie und repräsentatives System unter
einen Hut zu bringen.
Denn wie soll Uhlenhaut damit umgehen, "wenn die Bürger meinen
Problemlösungsstrategien so grundsätzlich misstrauen?" Soll er sich "zum
reinen Frühstücksdirektor" degradieren lassen - und tun, was er für falsch
hält? In einer Frage über Gedeih und Verderb? Ein "Bürgermeister ohne
Bürger" sei "kein Meister", findet Uhlenhaut - "sondern gar nix".
2 Feb 2012
## AUTOREN
Benno Schirrmeister
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