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# taz.de -- Studie zu Grabkammer-Fund: "Ich war noch nie in Ägypten"
> Aurelia Mihai sucht die subjektive Ebene der vermeintlich objektiven
> Geschichtsschreibung. Ausstellungen derzeit in Wolfsburg und
> Braunschweig.
Bild: Historische Doublette: Szene aus dem Film "Tal der Träumer/Valley of the…
Als der britische Archäologe Howard Carter im November 1922 das nahezu
unversehrte Grab des Tutenchamun im Tal der Könige des antiken Theben fand,
löste das ein enormes Medieninteresse aus. Mit einem geradezu modernen
Informationsmanagement wurde in der Folge der Nachrichtenfluss gesteuert:
Die Londoner Times erhielt einen Exklusivvertrag, weitere ägyptische und
europäische Pressevertreter wurden gezielt zu Höhepunkten der Fundsicherung
eingeladen, eine Art Pressesprecher der Grabungskampagne wurde bestellt.
Dieser Medienhype löste eine weltweite Ägyptomanie aus, die in der
Filmindustrie Hollywoods auf enthusiastische Resonanz stieß. Bereits 1923
wurde unter der Regie von Stummfilmlegende Cecil B. DeMille der monumentale
Historienfilm "Die zehn Gebote" gedreht. DeMille ließ dafür mit immensem
finanziellem Aufwand in der kalifornischen Wüste die "Stadt der Könige"
aufbauen - alles aus Beton und Gips. Nach den Dreharbeiten wurden die
Kulissen im Wüstensand vergraben.
Im Jahr 2004 stieß die rumänisch-deutsche Videokünstlerin Aurelia Mihai
während eines USA-Stipendiums auf die Ausgrabungen der amerikanischen
Illusionsarchitektur. Sie machte den 37-minütigen Film "Tal der Träumer"
über diese kuriose historische Doublette. In ihrer Doppelausstellung
"Histories" zeigt die Städtische Galerie Wolfsburg derzeit Mihais Film "Tal
der Träumer". Zeitgleich ist in Braunschweig die Arbeit "Cento Piedi - A
Hundred Steps" zu sehen.
In "Tal der Träumer" werden teils in den Dünen auf Amrum gestellte Szenen
der Grabungen verschnitten mit Kommentaren der Forscher, Ausschnitten aus
dem historischen Spielfilm und Architekturbeispielen aktueller Ägyptomanie.
Zudem sind auch moderne Funde wie Zeitungen und Zigarettenstummel zu sehen.
Die Ausstellung in der Städtischen Galerie Wolfsburg zeigt diese fiktiven
Fundstücke in einer Vitrine.
Die ruinöse Filmstadt erfährt eine Überhöhung als kulturelles Erbe, das
Authentische entpuppt sich als Imitat, die Fiktion als unverlässliches
Paradoxon, und in Ägypten sei sie auch noch nie gewesen, sagt Aurelia
Mihai. "Histories, also Geschichte im Plural, das ist eigentlich Nonsens",
aber es gebe halt immer eine subjektive Ebene neben der Objektivität der
offiziellen Geschichtsschreibung. Und um eben diesen persönlichen Subtext,
den sie feinsinnig humorvoll aufspürt, geht es Aurelia Mihai in allen ihren
Filmprojekten.
Mihai lebt in Hamburg und ist Professorin an der Hochschule für Bildende
Künste Braunschweig. 1968 in Bukarest geboren, fing Mihai dort noch ein
Studium der freien Kunst an. Ihr Interesse an Video und Film ließ sie 1994
an die Kunstakademie Düsseldorf wechseln und fortan in Deutschland bleiben.
Joseph Beuys, aber auch der Videopionier Nam June Paik begründeten den
avantgardistischen Ruf der Düsseldorfer Hochschule. Hier lernte Mihai
ebenfalls die österreichische Feministin, Medien- und Performancekünstlerin
Valie Export kennen. "Da ich im kommunistischen Rumänien sozialisiert war,
konnte ich mit den westlichen Frauenproblemen zwar wenig anfangen", sagt
Mihai, von Valie Export habe sie allerdings gelernt, "ohne Bremse" zu
arbeiten und auch vor gesellschaftlich tabuisierten Themen nicht
zurückzuschrecken.
In ihrem Zweikanal-Video "Cento Piedi" beispielsweise greift Mihai die
problematische Existenz rumänischer Arbeitsmigranten in Italien auf. Als
sie selbst 2007 als Stipendiatin der Villa Massimo in Rom war, habe sie
sich zum ersten Mal in einem Land fremd gefühlt. Sie wusste aber auch, dass
schätzungsweise 800.000 Rumänen in Italien arbeiten, häufig weit unter
ihrem Qualifikationsniveau.
Die sprichwörtliche Putzfrau mit Abitur setzte Mihai auf einem Videokanal
in Szene, sie säubert die Stufen der Wendeltreppe in der Trajanssäule am
antiken Forum Roms. Diese Siegessäule ließ der römische Kaiser im Jahr 113
nach Christus errichten, in Reliefs ist die kriegerische Unterwerfung unter
anderem des Volkes der Daker im Territorium des heutigen Rumäniens
dargestellt.
Da nicht nur Rumänen in Italien wenig beliebt sind, ist im zweiten
Videokanal eine weitere missliebige Personengruppe eingefangen:
internationale Massentouristen, die die Trajanssäule bestaunen. Diese sich
verschränkenden Sichten von heroischer Geschichte einerseits und ihrer
langen Wirksamkeit als empfundener Alltag andererseits fasst Mihai in
klare, helle Filmszenen, die kein bisschen anklagend wirken möchten.
Auf plakative Darstellungsformen verzichtet Mihai, die natürlich weiß, dass
sich ihre Videokunst weit von den experimentellen Anfängen entfernt hat.
"Ich bin näher am Autorenfilm als an der konkreten Medienkunst der 1980er
Jahre." Mitunter brauchen ihre Arbeiten einen langen Atem: Die 2007
begonnene Produktion "Cento Piedi" wird wegen zeitraubender
Drehgenehmigungen erst im Jahr 2012 fertig.
Die großformatige Präsentation des Videos in der HbK-Galerie ist nun Mihais
ganz eigene Form einer Antrittsvorlesung als fest berufene Professorin an
der Braunschweiger Kunsthochschule. Hier leitet sie eine Klasse in der
Grundlehre "Film und Video" mit 15 Studierenden -
"eins-zu-eins-Unterricht", wie sie das Betreuungsmodell bezeichnet. Sie
schätzt den "Im- und Export" in andere Fachbereiche und schwärmt von den
professoralen Angeboten sowie den tollen Werkstätten für die Studierenden.
Also alles optimal? "Braunschweig liegt nah an großen Städten", sagt Mihai
dazu. So kann sie aus Hamburg, ihrem Lebensmittelpunkt, problemlos anreisen
und Berlin sei nicht weit. Für ihre eigenen Arbeiten zieht es Aurelia Mihai
aber auch zukünftig in die Ferne: Ein größeres Projekt in Stockholm ist in
Arbeit.
## Aurelia Mihai: "Histories". Bis 1. 4., Städtische Galerie Wolfsburg,
sowie bis 17. 2., Galerie der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig
8 Feb 2012
## AUTOREN
Bettina Maria Brosowsky
## TAGS
Ägyptologie
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