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# taz.de -- Kosmonaut Sigmund Jähn wird 75 Jahre alt: Es war eine große Ähre
> Sigmund Jähn, erster Deutscher im Weltall, wird 75 Jahre alt. Er schenkte
> unserem Autor Momente echten Glücks. Dann machte er den Mund auf.
Bild: Sigmund Jähn. Ein Sachse fliegt für uns ins All?
Der 26. August 1978 war ein sonniger Tag. Die Mähdrescher der
Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft hatten die Felder abgeerntet
und die letzte Ferienwoche brach an. Doch ein Anruf aus der Kreisstadt
brach in die spätsommerliche Ruhe ein und kündigte Großes an. Es werde am
nächsten Tag, ein Sonntag, eine Sonderausgabe der Volksstimme geben. Meine
Mutter, die in unserem 300-Einwohner-Dorf Zeitungen austrug, solle sich
bereithalten. Was war geschehen? Die Berliner Mauer stand seit 17 Jahren
fest und Erich Honecker erfreute sich bester Gesundheit.
Wichtiger war an diesem Sonnabend nur die Silberhochzeit, zu der Onkel und
Tante ans andere Ende des Dorfes geladen hatten. Die Mütter vertraten sich
nach dem Kuchen die Beine, die Väter tranken das erste Bier, als die
Sensation aus den Kofferradios drang: "Sojus 31 ist seit 15.51 Uhr
Mitteleuropäischer Zeit unterwegs zur Orbitalstation Salut 6. Das
sowjetische Raumschiff wird von einer internationalen Besatzung gesteuert:
vom Fliegerkosmonauten der UdSSR, Oberst Waleri Bykowski, und vom
Forschungskosmonauten, dem Bürger der Deutschen Demokratischen Republik,
Sigmund Jähn."
Ich, gerade 14 Jahre alt geworden, war augenblicklich sehr zufrieden. Wir
waren die Ersten. Wir hatten es dem Westen gezeigt. Wir haben einen
Kosmonauten und sie haben keinen. Sie hatten Mercedes, Levi's, Filzstifte,
Fernseher mit Fernbedienung, Ananas und blütenweißes Toilettenpapier. Wir
hatten Trabant, MZ-Motorräder und Klopapier von der Farbe und
Hautfreundlichkeit von Zementtüten. Und wir haben sie trotzdem besiegt.
Sigmund Jähn heißt er. Sigmund ist zwar kein passender Name für einen
Kosmonauten, befand ich.
Er klingt so altmodisch wie Waldemar oder Hubert. Aber was zählt das?
Schließlich hatte Waldemar Cierpinski zwei Jahre zuvor bei den Olympischen
Spielen von Montreal Gold beim Marathonlauf gewonnen. Da hatten wir den
Westen auch besiegt. Wie wir ihn immer besiegt haben bei Olympia. Leider
gab es solche Momente nur alle vier Jahre. Aber was ist eine Goldmedaille
gegenüber dem Wissen, dass die DDR nach der Sowjetunion, den USA, nach
Polen und der CSSR das fünfte Land auf der Welt war, das einen Kosmonauten
ins All schickt?
## Ein Sachse!
Am Abend sah ich Fliegerkosmonaut Sigmund Jähn dann zum ersten Mal. Jähn
saß schon in der Rakete und gab für das Fernsehen eine feierliche Erklärung
ab: "Teure Genossen und Freunde! Mir, einem Bürger der Deutschen
Demokratischen Republik, ist als erstem Deutschen die große Ehre zuteil
geworden, mit dem sowjetischen Raumschiff Sojus 31 und der Orbitalstation
Salut 6 im Kosmos zu fliegen." - "Die große Ähre?" Ich wollte im Boden
versinken. Sie haben einen Sachsen genommen!
Ein Sachse fliegt für uns ins All, und der macht das, was alle Sachsen
machen: Er sächselt! Reichte es nicht aus, dass Ulbricht gesächselt hat?
Dass Erich Honecker furchtbar sächselt (wie ich damals glaubte)? Jetzt
haben wir einen Kosmonauten, der Sigmund heißt, der, unschwer zu erkennen,
nicht so gottgleich und makellos aussah wie Juri Gagarin, der erste Mensch
im All. Das alles konnte ich akzeptieren. Aber einen Sachsen?
Am nächsten Morgen nahm ich den Stapel Zeitungen, meine Mutter blieb am
Herd, und trug die Kunde von der Sternenreise des Sigmund Jähn in alle
Häuser. "Der erste Deutsche im All ein Bürger der DDR", schrie es von der
Titelseite. Ja, aber es ist ein Sachse, ergänzte ich. Warum haben sie nicht
Eberhard Köllner genommen? Köllner, so lernte ich aus dem Extrablatt, war
das Double, das nicht mitdurfte. Dabei sah er Gagarin schon deutlich
ähnlicher, hatte einen akzeptablen Namen und kam vor allem aus Staßfurt,
kaum dreißig Kilometer von meinem Dorf entfernt. Und er sächselte nicht.
Ich fühlte mit Eberhard Köllner.
Es gab noch einen weiteren Namen, an den ich mich gewöhnen musste - an
Morgenröthe-Rautenkranz. Der Name des Erzgebirgsdorfes, in dem Jähn geboren
wurde, klang nach Trachtengruppe, Räuchermännchen und Akkordeon, nicht nach
einem Zentrum der Raumfahrt. Der Name dieses Dorfes "geht um die Welt",
behauptete das Neue Deutschland. Die "Tagesschau" berichtete davon
allerdings nicht. Stattdessen umso mehr aus Rom, wo am Tag, als Jähn ins
Weltall aufbrach, ein neuer Papst gewählt wurde.
In der Raumstation Salut 6 richtete sich Sigmund Jähn mit seinen drei
sowjetischen Genossen unterdessen ein. Bilder von Lenin, Breschnew und
Honecker wurden aufgehängt, Sowjetfahnen befestigt sowie Wimpel aller
DDR-Bezirke, und ein Sandmann schwebte durch die Station. Kindereien. Die
sollten lieber erklären, wie im Weltall eine Toilette funktioniert. Doch
darüber schwiegen sie.
Auf der Erde begann das neue Schuljahr. Beim Fahnenappell am 1. September
schwor uns der Schuldirektor darauf ein, dass wir es mit "Feuereifer"
Sigmund Jähn gleichtun sollten. Nur in der sozialistischen
Gesellschaftsordnung könne ein Arbeiterkind, frei von Sorge und
Zukunftsangst, Kosmonaut werden. "Feuereifer" war ein Lieblingswort Erich
Honeckers. Die Jugend sollte mit "Feuereifer" den Sozialismus aufbauen. Auf
uns - nicht auf unseren durch Faschismus und Westfernsehen verdorbenen
Eltern - lag die Hoffnung der Partei. Und so wurde Sigmund Jähn in den
sozialistischen Olymp getragen und nahm Platz an der Seite von Ernst
Thälmann und Pawel Kortschagin. Dessen Wälzer "Wie der Stahl gehärtet
wurde" hatte uns die Lehrerin gleich in der ersten Deutschstunde gegeben.
In ihm verliert Revolutionär Pawel Kortschagin, selbst gelähmt und
erblindet, nie den Glauben an den Sieg des Kommunismus.
Sigmund Jähn landete am 3. September 1978 in der kasachischen Steppe. Er
wurde mit Orden dekoriert und wurde in einem ewigen Triumphzug durch die
DDR gereicht. Bei uns erzählten sich die Traktoristen der LPG den ersten
Jähn-Witz: Der Jähn hatte ganz blaue Hände, als er zurückkam. Die Russen
haben ihm ständig auf die Finger geklopft: Das darfste nicht anfassen! Das
darfste auch nicht anfassen! Und das auch nicht!
Auch das Westfernsehen riss Witze: Wer ist der erste Deutsche im Kosmos?,
fragte Gerd Mausbach von der ZDF-Drehscheibe. Siggi Jähn natürlich! -
Falsch! Franz Beckenbauer! - Beckenbauer hatte kurz zuvor beim Fußballclub
"Cosmos New York" einen Vertrag unterschrieben. Wenigstens kein Witz über
Sachsen.
## Wie die Toilette funktioniert
Der Stolz, dass wir es dem Westen gezeigt hatten, war schon am ersten Tag
verglüht. Ein Sachse! Der Trabant würde es nie mit dem Mercedes aufnehmen
können. Und warum ist das DDR-Klopapier so hart wie Beton? "Damit noch der
letzte Arsch rot wird!", lästerte der Schäfer unserer LPG. Und trotz
"Feuereifers" wurde keiner aus meiner Schulklasse ein Kosmonaut. Es gab
überhaupt keinen DDR-Kosmonauten mehr. Meine Mitschüler wurden Maurer,
Ofensetzer und Schlosser, die Mädchen Verkäuferinnen und
Kindergärtnerinnen. Ich wurde Traktorist in der LPG - und träumte weiterhin
von einer Reise ins All. Mein Ziel war das "Raumschiff Enterprise" mit
Spock und Captain Kirk. Mich beeindruckten die Türen, die sich wie von
Geisterhand mit einem Zischlaut öffneten.
Am 12. April 1981 schlich ich mich aus dem Lehrlingswohnheim der LPG und
fuhr mit dem Moped nach Hause. Nur dort konnte ich den Start der ersten
Raumfähre, der "Columbia", vom Kennedy-Space-Center in Florida miterleben.
Beim sowjetischen Raduga-Fernseher in unserem Wohnheim hatte die Leitung
die Westprogramme entfernen lassen. Mit diesem Raumschiff sollte Ulf
Merbold 1983 ins All fliegen.
29 Jahre nach seinem Flug habe ich Sigmund Jähn im Sternenstädtchen bei
Moskau kennen gelernt, als er eine deutsche Touristengruppe durch das
Kosmonautenausbildungszentrum führte und die 17 Meter lange Zentrifuge
präsentierte, mit der die Kosmonauten durch den Raum geschleudert werden.
Großes Interesse fand auch die Bordtoilette, die Jähn anschaulich erklärte.
Heute wird Sigmund Jähn 75 Jahre alt. Er hat mir, als ich 14 war, für einen
Tag ein Luftschloss mit Namen DDR ins All gebaut. Ich war stolz, wenn auch
nur für Stunden. Mit der sächsischen Mundart habe ich inzwischen meinen
Frieden geschlossen.
13 Feb 2012
## AUTOREN
Thomas Gerlach
Thomas Gerlach
## TAGS
Raumfahrt
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