| # taz.de -- Wirtschaftssenatorin im Interview: "Wir brauchen eine Leistungskult… | |
| > Die neue Wirtschaftssenatorin Sybille von Obernitz, parteilos für die CDU | |
| > im Senat, setzt auf Eigenverantwortung und Einsatzbereitschaft. | |
| Bild: Hat keine Lust auf Marx: Wirtschaftssenatorin Sybille von Obernitz. | |
| Frau von Obernitz, wo ist denn das Karl-Marx-Bild aus Zeiten Ihres | |
| Vorgängers Harald Wolf von der Linkspartei, das hier im Büro hing? | |
| Sybille von Obernitz: Das Bild war mir von Anfang an etwas zu düster. | |
| Deshalb hängt es nicht mehr an der Wand. | |
| Wo wäre Marx denn politisch unerträglich für Sie gewesen? | |
| Er setzt nicht auf Eigenverantwortung. Der Mensch kann aus meiner Sicht nur | |
| in Eigenverantwortung seine ganzen Begabungen ausleben - bei aller | |
| Unterstützung, die er dazu auch braucht. | |
| Wo ist die Grenze? Ab wann greift man jemandem unter die Arme? | |
| Pauschale Antworten gibt es darauf nicht. Sie berühren ein zentrales Thema: | |
| Was heißt "soziale Marktwirtschaft"? Wie viel Gestaltungsspielraum brauchen | |
| wir, wo sind manche damit überfordert? Darauf Antworten zu finden ist eine | |
| Aufgabe der Politik. Ich denke aber grundsätzlich, dass wir einen Fehler | |
| machen, wenn wir zu wenig auf Verantwortungs- und Einsatzbereitschaft | |
| setzen. Die Frage ist: Wie schafft es eine Gesellschaft, | |
| Verantwortungsbereitschaft zu belohnen? Und das nicht nur materiell, | |
| sondern mit einer Kultur der Anerkennung. Etwa wenn eine Schule einmal im | |
| Monat den Schüler würdigt, der sich sozial besonders verdient gemacht hat. | |
| Da sind wir ja doch bei Marx oder seinen Exegeten, bei der "Straße der | |
| Besten" und Belobungsplaketten. Heute wäre das der Mitarbeiter des Monats. | |
| Wir brauchen beides. Mitarbeiter des Monats zu werden soll nicht nur | |
| erstrebenswert sein, weil es sich finanziell lohnt. Ich würde aber auch | |
| nicht auf Geld als Anreiz verzichten. Nur einseitig aufs Ideelle zu setzen, | |
| halte ich für genauso wenig tragfähig, wie alles nur in Geld zu messen. | |
| Bundesbauminister Ramsauer von der CSU würde Marx - genauer: seine Skulptur | |
| - am liebsten von seinem Platz zwischen Rotem Rathaus und Spree verbannen. | |
| Eine gute Idee? | |
| Nein. | |
| Wieso? | |
| Weil ich es für existenziell halte, sich auch mit dem Gedankengut von Marx | |
| auseinanderzusetzen, um genau die Frage stellen zu können: Wo schlägt | |
| Marktwirtschaft in eine Form des Kapitalismus um, die wir mit ethischen | |
| Grundsätzen in einer aufgeklärten Gesellschaft nicht mehr vereinbaren | |
| können? | |
| Wenn man Fehlentwicklungen begegnen will, muss man aber auch eingreifen | |
| können - und wollen. Ein Exbundeswirtschaftsminister hat sich mal quasi | |
| selbst für überflüssig erklärt, als er sagte: "Wirtschaft wird in der | |
| Wirtschaft gemacht." Wie sehen Sie das? | |
| Die Frage ist berechtigt. Denn wenn man an den Markt glaubt, muss man eine | |
| sehr reduzierte Vorstellung davon haben, wo der Staat eingreift. Es gibt | |
| aber Punkte, da muss er es tun und Rahmenbedingungen mitgestalten - zum | |
| Beispiel bei Existenzgründungen. Da gibt es eine gute Idee, die aber bis | |
| zur Marktreife unterstützt werden muss, weil sie es allein nicht schafft. | |
| Das ist als Investition zu sehen, die ein Vielfaches an Steuergeldern | |
| zurückbringen kann. | |
| Die FAZ hat Berlin vorige Woche auf eine Stufe mit Griechenland gestellt. | |
| Tenor des Leitartikels: Solange es Systeme wie den Länderfinanzausgleich | |
| gibt, fehlt der Druck, wirklich drastisch zu sparen. Reine Polemik? | |
| Nein, das ist eine Sicht, die eine gewisse Berechtigung genießt, wenn man | |
| sich die Fakten anschaut: Wir haben 63 Milliarden Euro Schulden und | |
| bekommen seit vielen Jahren im Finanzausgleich das mit Abstand meiste Geld. | |
| Man muss sich aber genauso die Ursachen der finanziellen Situation | |
| anschauen. Diese liegen in der Historie, die eine gesamtdeutsche ist. Das | |
| ist ein Thema, das nichts mit Wettbewerb zu tun hat. Zudem stimmt es nicht, | |
| dass sich die Berliner entspannt zurücklehnen. | |
| Aber Sie als gebürtige Augsburgerin sind oft genug in Bayern, um dort zu | |
| hören: Bei uns schließt das Schwimmbad, und in Berlin ist die Kita umsonst. | |
| Dass Berlin immer stärker unter Rechtfertigungsdruck steht, tut der Stadt | |
| gut. Wir brauchen hier eine Leistungskultur. Und dass wir immer rechnen | |
| müssen, wenn wir uns etwas leisten wollen, finde ich ebenfalls richtig. Ich | |
| würde aber auch jedem Bayern sagen: Der öffentliche Dienst in Berlin hatte | |
| in den 90er Jahren 200.000 Beschäftigte, jetzt ist es fast die Hälfte. | |
| Wie stehen Sie angesichts dieser Finanzlage zu den viel diskutierten Plänen | |
| zur Rekommunalisierung, zum Rückkauf von einst versilberten landeseigenen | |
| Unternehmen, aktuell der Wasserbetriebe? | |
| Meine Herangehensweise ist, stets zu fragen: Wie kriegen wir | |
| Daseinsvorsorge in einer Monopolsituation möglichst effizient geregelt? Da | |
| gibt es rein öffentliche Modelle, rein private, PPP-Modelle … | |
| … Public-private-Partnership, eine Mischform von beidem, früher als | |
| Allheilmittel gefeiert, heute von vielen verteufelt. | |
| Da gibt es für mich kein politisches Dogma, es zählt der sorgfältige Umgang | |
| mit Steuergeld. | |
| Sie vertreten ja im Senat CDU-Politik, sind aber parteilos. Soll das auf | |
| Dauer so bleiben? | |
| Ja. | |
| Warum? | |
| Weil die Zusage, dieses Amt zu übernehmen, an meine Parteilosigkeit | |
| geknüpft war, und weil ich mir selbst treu bleiben möchte. | |
| Da ist doch eine künstliche Distanz: Sie führen für die CDU aus, was der | |
| rot-schwarze Koalitionsvertrag vorgibt. Warum dann nicht auch | |
| Parteimitglied werden? | |
| Um das ganz klarzumachen: Meine Parteilosigkeit ist keine Aussage gegen die | |
| CDU. Aber ich habe keine parteipolitische Karriere hinter mir und will auch | |
| keine aufbauen. Und das hat die CDU akzeptiert. Ich habe mich für dieses | |
| Amt entschieden auf Basis einer persönlichen Affinität zur CDU. | |
| Dann lassen Sie uns doch mal diese Affinität testen. Also: Gymnasium oder | |
| Gemeinschaftsschule? | |
| Sowohl als auch. | |
| Ethik oder Religion? | |
| Auch hier gilt: beides. | |
| Steuern rauf oder runter? | |
| Steuern runter, aber auch Subventionen runter. Und ein einfaches | |
| Steuersystem. | |
| Die S-Bahn als Staatsunternehmen oder privat betrieben? | |
| Das Modell, das den Berlinern die größtmögliche Zuverlässigkeit und | |
| gleichzeitig vertretbare Preise bringt. Da entscheide ich anhand der | |
| Effizienz, das ist für mich ebenfalls keine ideologische Frage. | |
| Parallelstarts in Schönefeld oder Ruhe am Himmel über Berlin? | |
| Im Sinne der Wettbewerbsfähigkeit und der Arbeitsplätze, die wir in Berlin | |
| dringend brauchen: Parallelstarts. | |
| Ihrem Vorgänger wurde lange vorgeworfen, keine Spitzenjobs an Frauen zu | |
| vergeben. Wie stehen Sie denn zu dem auch in der CDU kontroversen Thema | |
| "Frauenquote in Vorständen"? | |
| Meine Erfahrungen und viele Studien sagen, dass gemischte Teams aus Frauen | |
| und Männern am Ende die höchste Erfolgsquote haben. Auch hier ist Effizienz | |
| für mich der entscheidende Maßstab, um zu sagen: Wir sollten viele solcher | |
| gemischter Teams haben. | |
| Sollten oder müssen? Das ist ja der zentrale Punkt, an dem die | |
| CDU-Ministerinnen Ursula von der Leyen und Kristina Schröder streiten. | |
| Wir brauchen etwas, was ein Stück die Türen öffnet. Ich bin nicht unbedingt | |
| Verfechterin einer Quote, weil sie auch Effekte hat, die gar nicht im Sinne | |
| der Frauen sein müssen. Ich setze sehr stark auf die Selbstverantwortung | |
| der Betriebe, ich werde auch meine Unternehmenskontakte nutzen, um für | |
| gemischte Teams zu werben. Und jetzt sind wir wieder, wo wir am Anfang des | |
| Gesprächs waren: bei der Eigenverantwortung. Solche Teams zu etablieren und | |
| ihren größeren Nutzen zu erkennen, funktioniert besser, wenn es freiwillig | |
| passiert, als wenn ich es erzwinge. | |
| Sie sind gut zwei Monate im Amt. Was ist der größte Unterschied zwischen | |
| der Senatsverwaltung und Ihrem vorigen Umfeld beim Industrie- und | |
| Handelskammertag, dem DIHK? | |
| Der DIHK ist ein eingetragener Verein und funktioniert eigentlich wie ein | |
| Unternehmen. Die Seele der Senatsverwaltung muss ich noch weiter entdecken. | |
| Daraus mache ich kein Geheimnis. | |
| 13 Feb 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Stefan Alberti | |
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