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# taz.de -- Ausstellung im Hamburg Völkerkundemuseum: Träume vom Anderen
> Parallel zur wissenschaftlichen Befassung zeigt das Hamburger
> Völkerkundemuseum, welchen Blick zeitgenössische Künstler auf das
> Nomadische werfen.
Bild: Epische Zeitdehnung: Ulrike Ottingers "Wer ein weißes Rentier hat, brauc…
HAMBURG taz | Von Krim-Tataren gerettet und nach dem Flugzeugabsturz in
Filz und Fett gehüllt: Kaum ein Künstler hat durch eine mythische Biografie
sein oft schamanenhaftes Auftreten so sehr immer wieder dem Nomadischen
unterstellt wie Joseph Beuys. Da ist er in einer Kunstausstellung, die sich
den "Imaginationen des Nomadischen" widmet, ein notwendiger Teilnehmer: mit
einem Schlitten mit aufgeschnallter Filzdecke, Fett und Taschenlampe, einem
"geistigen Gefährt".
In einem ethnologischen Museum ist sowas nur selten anzutreffen, denn nur
selten wird wie jetzt im Hamburger Museum für Völkerkunde ein
Ausstellungsthema - das Nomadische - mit einer Schau zeitgenössischer Kunst
kombiniert. Gut, dass es nun passiert, denn das Ergebnis ist höchst
spannend.
Trotz mancher Bezüge zum wissenschaftlichen Begriff des Nomadischen
verwendet die Kunst davon eine eigene, von romantischen Umdeutungen nicht
freie Vorstellung: In künstlerischer Theorie und Phantasie kann jedes
Ausbrechen aus starren Ordnungen mit der Idee des Nomadischen in Verbindung
gebracht werden, jedes ungeplante Umherschweifen, alles Fließende, Mobile
und Unbestimmte.
"Wahlverwandtschaften" ist in Anbetracht dieser keineswegs deckungsgleichen
Nähe zur Ethnologie ein guter Titel für die Ausstellung, die der
Kunstkritiker Peter Herbstreuth kuratiert hat. Kleidung als tragbares Haus
für "Stadtnomaden" oder Hörcollagen von Reiseberichten sind deshalb ebenso
Teil des Themas wie noch zu DDR-Zeiten gezeichnete Archivkarten der
Dresdner Sammlung von Nomadenteppichen. Der nach Meinung des Kurators
bisher unterschätzte, 1999 gestorbene Maler Wilhelm Müller nahm deren
unendlichen Rapport und deren Detail-Strukturen zum Vorbild seiner
abstrakten, mit Kordeln aufgeteilten monochromen Bilder.
Direkt gegenüber dem Schlitten Beuys steht ein anderes prächtig-kitschiges
und paradoxes nomadisches Phantasiegefährt: zwei alte Holzräder mit
goldener Kunststoffgardinenstange als Achse. Der im englischen Kent
geborene Künstler Daniel Baker hat am Londoner Royal College of Art über
"Gypsy Aesthetics" promoviert und war mehrfach an den Pavillons der Roma
auf der Biennale in Venedig beteiligt.
## Neue Gypsy-Generation
Baker versteht sich ausdrücklich als Gypsy einer neuen Generation. Die will
sich keineswegs integrieren und findet das auch gut so: Eine Straßenkarte
des Vereinigten Königreichs überzeichnet so auch Damian Le Bas
selbstbewusst mit der Fiktion zigeunereigener Routen.
Die verschiedenen Wegesysteme auf dem freien Land und in der Stadt sind
auch Thema des Dresdner Künstlers Olaf Holzapfel. Sein die Ausstellung
dominierendes "Temporary House" von 2010 ist eine Art Zelt, aus großen
farbigen Tüchern zusammengebunden. Die Elemente sind aus Chaguar gehäkelt,
einer besonderen Kakteenfaser, von den Handwerkern der Wichi, einem Volk
von ehemaligen Waldnomaden im Norden Argentiniens. Sie haben
Computerentwürfe von Wegesystemen mit ihren naturfarbenen
Landschaftsabstraktionen kombiniert. Stadtplan und Stadtplane zugleich
verbindet dieses zusammenlegbare Wanderzelt als skulpturales Bild
strukturierte Stadt und durchstreiftes Land, einstige Nomaden und
städtische Obdachlose.
Scheinbar ganz ethnografisch geben sich die Wüstenfotos von Akram Zaatari.
Doch die von ihm gezeigten Bilder sind wahr und falsch zugleich. Zwar
stammen die schwarz-weißen Bilder, die der libanesische Künstler verwendet,
aus einem alten Fundus - aber die Montage ist erkennbar neu. Irgendwie
falsch sind zudem schon die Ausgangsmaterialien aus der durch den Künstler
1997 mitgegründeten Arab Image Foundation: Die in den Fotos des syrischen
Beduinenforschers Jibrail Jabbur in der Wüste stehenden Frauen erwecken
einen eher städtischen Eindruck. Sie scheinen zwar am richtigen Ort, sind
aber schon damals nur verkleidet. Es ist im Zugriff eines städtischen
Wissenschaftlers auf die Nomaden ein Fall von Binnenexotik, eines
orienteigenen Orientalismus.
## Zweifel am Authentischen
Solche mehrfachen Zweifel an der Aura des Authentischen sind schon an sich
interessant, erst recht im Kontext wissenschaftlicher Dokumentationen
ethnologischer Museen. Und doch behält die reine Dokumentation ihre
Faszination: In der letzten Nische zeigt Ulrike Ottinger hinter schwarzem
Vorhang 501 Minuten lang Szenen aus der Taiga. Diese ruhige Filmerzählung
von 1992 übersteigert in ihrer epischen Zeitdehnung noch die ethnologische
Beobachtung.
Wenn sich der Sonderforschungsbereich "Differenz und Integration", in dem
90 Wissenschaftler aus 15 Disziplinen elf Jahre gearbeitet haben, zu der
großen Abschlussausstellung im Museum für Völkerkunde auch eine kleine,
exquisite Schau mit elf Positionen aktueller bildender Kunst leistet, so
darf ein wenig Selbstkritik nicht fehlen: Genaues ethnologisches Hingucken
muss längst nicht mehr nur in fernen Ländern stattfinden, es sollte auch
auf die eigene Arbeit angewendet werden.
Bettina Hutschek begnügt sich in ihrem Video nicht mit Zweifeln im Detail.
Die Berlinerin findet in ihren ganz besonderen Führungen durch die
"Brisante Begegnungen" betitelte Nomaden-Ausstellung einige Räume weiter
erstaunliche Interpretationen: Sie behauptet, die Beschäftigung mit Nomaden
sei vom Bundesnachrichtendienst in Auftrag gegeben, um grenzüberschreitende
Aktivitäten besser zu verstehen - und zu kontrollieren.
Das stieß am Eröffnungswochenende auf einigen Protest von Zuschauern, die
über eine derart explizit eurozentrische und ausschließlich an
Gefahrenabwehr interessierte Argumentation dann doch überrascht waren. Aber
die gezeigten Dinge und Techniken sind eben für Schmuggel, Infiltration
oder Terrorismus zu verwenden.
## Zugespitzte Ängste
Und die Sichtweise dieser Performance spitzt nicht nur die seit
Jahrtausenden vorhandenen Ängste der Sesshaften vor den Nomaden pointiert
zu. Sie öffnet auch die Diskussion über die jeweilige zeittypische
Indienstnahme der Ethnologie - für die besonderen Interessen der
Forschenden gegenüber den Beforschten.
## bis 6. Mai, Hamburg, Museum für Völkerkunde
13 Feb 2012
## AUTOREN
Hajo Schiff
## TAGS
Ulrike Ottinger
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