# taz.de -- Kehrseiten der Privatkassen: Zum Schluss zahlt man drauf | |
> Die Beiträge bei privaten Krankenkassen können sich im Rentenalter | |
> verdreifachen. Viele Versicherte können sich das nicht leisten – haben | |
> aber keinen Ausweg. | |
Bild: Ein Krankenzimmer von innen zu sehen ist für viele privat Versicherte ka… | |
BERLIN taz | Jahrzehntelang war die private Krankenversicherung (PKV) so | |
etwas wie ein Synonym für Luxusmedizin, Einzelzimmer im Krankenhaus, | |
Chefarztbehandlung, kurze Wartezeiten, Erstattung homöopathischer und | |
kostenintensiver innovativer Therapien inklusive. Die Kehrseite dieses | |
unsolidarischen Systems bekommen derzeit vor allem Rentner und Ältere zu | |
spüren: Ihre Beiträge in der PKV steigen enorm. Von Anhebungen zwischen 20 | |
und 50 Prozent berichten Verbraucherzentralen. | |
Nur aufgrund der höheren Krankheitskosten im Alter dürfen die Privaten die | |
Beiträge zwar nicht erhöhen. Denn dafür bilden die Versicherten ja in | |
jüngeren Jahren ihre "Altersrückstellung", eine Art individuelles | |
Sparguthaben. Das wird verzinst und soll die Ausgaben im Alter abfedern. | |
Doch oft genügt das Geld nicht; neue und kostenintensive Behandlungen, | |
Medikamente oder Diagnoseverfahren sprengen das Budget. | |
Zudem steigt die Lebenserwartung. Daher werden Beiträge erhöht, | |
Selbstbehalte und Risikozuschläge steigen - und zwar, anders als in der | |
gesetzlichen Krankenversicherung, unabhängig von der Höhe des Einkommens | |
oder der Rente. Als Faustformel nennen Verbraucherschützer: Wer sich mit | |
Anfang 30 privat krankenversichert, muss bis ins Rentenalter mit einer | |
Verdreifachung der Beiträge rechnen. | |
Was das in der Praxis heißt, dokumentieren drei exemplarisch ausgewählte | |
Fälle. Auf Wunsch der Betroffenen wurden die Namen geändert. | |
## "Als Bypasspatient nimmt mich keiner" | |
Rentner Franz Huber bekommt im November 2010 Post von seiner privaten | |
Kasse. Sein bisheriger Tarif werde "angepasst" zum 1. Januar 2011 - um | |
104,51 Euro pro Monat. Das entspricht einer Steigerung um 25 Prozent. Statt | |
einer Begründung erfährt Huber: "Der neue Beitrag wird ab 01.01.2011 | |
automatisch von Ihrem Konto abgebucht." Klar, Huber könnte jetzt darauf | |
bestehen, innerhalb der privaten Kasse in einen anderen Tarif oder aber die | |
Versicherung ganz zu wechseln. Dann aber müsste er sich, wie ein Neukunde, | |
einer neuerlichen Gesundheitsprüfung unterziehen, anhand der sich sein | |
Beitrag bemisst. | |
"Als Bypasspatient, der ich seit 16 Jahren bin, nimmt mich aber keine | |
andere Versicherung", weiß der Rentner - es sei denn zu Mondtarifen. Bliebe | |
also noch der Wechsel in den "Basistarif", der jedem privat Versichertem | |
zusteht und dessen Leistungsvolumen in etwa dem der gesetzlichen | |
Krankenversicherung entspricht. Dafür allerdings, sagt Huber, sei er nicht | |
in die PKV gegangen, um als Rentner wie ein gesetzlich Versicherter | |
behandelt zu werden. | |
Zudem kostet selbst der Basistarif monatlich 581 Euro. Und weil Ärzte für | |
basistarifversicherte Privatpatienten nur nach einen abgespeckten Satz | |
abrechnen dürfen, weigern sich viele, solche Patienten zu behandeln. Das | |
ist zwar illegal, "aber versuchen Sie mal, in der Praxis daran etwas zu | |
ändern", sagt Huber. | |
## "Ich werde nicht mehr zum Arzt gehen können" | |
Maria Schmidt, geboren 1953, verliert im Jahr 2000 ihren Job, mit 47 | |
Jahren. Ihr ist klar: "Für den Arbeitsmarkt bin ich nicht mehr attraktiv." | |
Sie macht sich selbständig, die PKV umwirbt sie. Schmidt, die seit Beginn | |
ihrer Lehre im Jahr 1961 gesetzlich versichert war, wechselt 2003 | |
schließlich zu einer Privatkasse. Anfang 2011 muss sie Insolvenz anmelden. | |
Mit verheerenden Folgen: Die Versicherungsbeiträge steigen weiter wie | |
bisher. | |
Der Weg zurück in die gesetzlichen Krankenkassen ist ihr aus Altersgründen | |
verbaut; Schmidt wird dieses Jahr 59. Derzeit zahlt sie monatlich 363,34 | |
Euro plus 300 Euro Eigenanteil jährlich, Tendenz steigend. Ihre Rente, die | |
sie jetzt beantragt hat, wird bei 600 Euro liegen. Sie sagt: "Ich werde | |
nicht mal mehr zum Arzt gehen können." Denn selbst wenn sie das Geld für | |
Beiträge irgendwie zusammenkratzt - den Eigenanteil wird sie nicht auch | |
noch bezahlen können. | |
Besonders prekär ist die Lage von nichtberufstätigen Beamtengattinnen, die | |
günstige private Versicherungstarife sowie staatliche Beihilfe genossen - | |
bis ihre Ehemänner sich im Alter von ihnen trennten. Nach einer Scheidung | |
müssen sich diese Frauen privat neu versichern - zu horrenden Tarifen, und | |
das, obwohl ihre Renten oder ihr Unterhalt oft nur gering sind. | |
Sabine Weber etwa verfügt seit ihrer Scheidung über 700 Euro monatlich; 600 | |
davon soll sie für die private Krankenversicherung bezahlen. Weil das | |
unmöglich ist, hat sie die PKV-Zahlungen eingestellt. Das heißt aber auch: | |
Arztbesuche sind gar nicht mehr drin - obwohl sie stark behindert ist und | |
medizinische Hilfe benötigt. | |
21 Feb 2012 | |
## AUTOREN | |
Heike Haarhoff | |
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