# taz.de -- NSU-Spuren nach Berlin: Im Umfeld der Terrorzelle | |
> Vertraute des rechtsextremen NSU suchten nach dem Untertauchen der drei | |
> Terroristen Kontakt nach Berlin und Brandenburg - das belegt ein | |
> Geheimdossier des Verfassungsschutzes. | |
Bild: Am Donnerstag soll den Opfern der Neonazi-Mörder gedacht werden. | |
Still soll es werden am Donnerstagvormittag. Mit einem Staatsakt will dann | |
die gesamte politische Elite im Konzerthaus am Gendarmenmarkt der Mordopfer | |
der rechtsextremen Terrorzelle "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) | |
gedenken. Wenig später soll eine stadtweite Schweigeminute folgen. | |
Zehn Morde an Migranten und einer Polizistin, zwei Bombenanschläge in Köln, | |
14 Banküberfalle - so lautet die grausige Bilanz des NSU. Für Verbindungen | |
nach Berlin, betont die Polizei bisher, gebe es "keine konkreten Hinweise". | |
Ein als geheim eingestuftes Verfassungsschutzdossier, das der taz vorliegt, | |
zeigt, dass das so nicht stimmt: Zumindest aus dem Umfeld des NSU gab es | |
Kontakte. | |
Nur zwei Wochen nach dem Untertauchen von Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und | |
Beate Zschäpe fuhr ein damaliger Vertrauter, der Jenaer Kameradschaftler | |
André K., nach Berlin. Am 12. Februar 1998 traf er den NPD-Bundesvorstand | |
Frank Schwerdt, laut Akten, um "Unterschlupfadressen für die Flüchtigen in | |
Erfahrung zu bringen". | |
Gegenüber der taz räumt Schwerdt das Treffen ein. K. sei an dem Abend in | |
seine Reinickendorfer Wohnung gekommen. "Ich habe ihm aber weder helfen | |
können noch wollen", so der heutige Thüringer NPD-Chef, damals mit vielen | |
Kontakten ins Kameradschaftsmilieu. Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe habe er | |
in Thüringen "mal gesprochen", nach dem Untertauchen aber nie mehr gesehen. | |
Distanzieren von ihren Taten will der 67-Jährige sich nicht: Er habe doch | |
"einige Zweifel", ob die drei "alles so gemacht haben, wie ihnen | |
vorgeworfen wird". | |
Schwerdts damaliger Besucher André K. soll auch eine weitere Station in | |
Berlin angesteuert haben: einen Wohnmobilverleih in Adlershof, betrieben | |
von Rita B. Wie heute bekannt ist, reiste das Neonazi-Trio später bei | |
einigen Morden und Banküberfallen mit Wohnmobilen an. Auch B. war bestens | |
in der Szene vernetzt, gehörte zur Führung des rechten | |
Hoffmann-von-Fallersleben-Bildungswerks. Sie habe André K. "flüchtig" über | |
Frank Schwerdt gekannt, sagt B. der taz. "Ein Treffen oder Geschäft hat es | |
aber nie gegeben." Auch der Verfassungsschutz bemerkt im März 1998, B.s | |
Verleih sei "ohne Erkenntnisse überprüft worden". | |
Engeren Kontakt zum Umfeld der Untergetauchten hielt offenbar ein | |
Brandenburger Neonazi, in den Neunzigern unter dem Decknamen "Piato" V-Mann | |
des Verfassungsschutzes. Der Mann lebte in Königs Wusterhausen, mischte bei | |
der NPD mit, saß zuvor wegen versuchten Mordes an einem Asylbewerber in | |
Haft. Seit seiner Enttarnung 2000 lebt er an einem unbekannten Ort. | |
"Piato" berichtete erstmalig im August 1998, in Kreisen des sächsischen | |
"Blood and Honour", einem militanten Neonazi-Netzwerk, wisse man, dass die | |
Untergetauchten sich mit "geliehenen Pässen nach Südafrika" absetzen | |
wollten. Der damalige Sektionsleiter, Jan W., habe persönlichen Kontakt zu | |
Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe gehabt. W. habe den Auftrag, "die Gesuchten | |
mit Waffen zu versorgen", die mit Geldern aus rechten Konzerten und | |
CD-Verkäufen bezahlt würden, teilte "Piato" mit. Zudem plane das Trio | |
"einen weiteren Überfall", um mit dem Geld Deutschland zu verlassen. Heute | |
ist bekannt, dass Böhnhardt und Mundlos im Oktober 1999 ihren ersten | |
Bankraub in Chemnitz verübt haben sollen. | |
Die Ermittler nahmen die Hinweise durchaus ernst: Sie stellten Jan W. unter | |
Observation - erfolglos. Es hätten sich "keine Anhaltspunkte für Kontakte | |
zu den Flüchtigen ergeben", so der sächsische Verfassungsschutz im Dezember | |
2011. Aber auch W. hatte Kontakte nach Berlin. 2000 hatte er bei Produktion | |
und Vertrieb der "Landser"-CD "Ran an den Feind" mitgeholfen. Die Berliner | |
Nazi-Band wurde 2005 als kriminelle Vereinigung verboten. Ende Januar | |
durchsuchte die Polizei doch die Wohnung von W. und drei weiteren Personen | |
- wegen mutmaßlicher Unterstützung des NSU etwa mit Schusswaffen. | |
Das Dossier zeigt auch, woran die Ermittlungen haperten: Als im September | |
1998 das LKA Thüringen Telefonüberwachungen im "Blood and Honor"-Umfeld | |
einleiten wollte, forderte sie vom Brandenburger Verfassungsschutz einen | |
schriftlichen Bericht. Der lehnte ab, wegen "Quellenschutz". Gemeint war | |
wohl "Piato". Die Spur versiegte. | |
Auch als im November 2011 André E. als mutmaßlicher NSU-Unterstützer | |
festgenommen wurde, führte eine Fährte nach Brandenburg. Der 32-Jährige | |
befand sich im Gehöft seines Zwillingsbruders Maik E. in Grabow | |
(Potsdam-Mittelmark). Der gehört zu den umtriebigsten Neonazis in der Mark, | |
zuletzt beim NPD-Jugendverband in Potsdam. Eine konkrete "Tatbeteiligung | |
einer Person aus Brandenburg" sei nicht bekannt, teilt aber auch das | |
märkische Innenministerium mit. | |
In Berlin wurde bei drei bis heute ungeklärten Taten eine Verbindung zum | |
NSU geprüft: zwei Anschläge auf den Jüdischen Friedhof Charlottenburg und | |
einen Mord an einem Jugoslawen, der im März 2000 in seinem Weddinger Kiosk | |
erschossen wurde. In Ermittlerkreisen gilt es aber als "unwahrscheinlich", | |
dass hier der NSU verantwortlich ist. Es gebe keinerlei "belastbare" | |
Spuren. | |
2000, kurz bevor die Ermittler ihre Nachforschungen zu Böhnhardt, Mundlos | |
und Zschäpe einstellten, kam dagegen ein letzter Hinweis - aus Berlin. Am | |
6. Mai 2000 hatte der MDR in der Sendung "Kripo Live" einen Fahndungsaufruf | |
gesendet. Es gab nur eine Rückmeldung: Ein Berliner Polizist behauptete, | |
die drei Gesuchten just an diesem Tag in der Hauptstadt gesehen zu haben. | |
Wie dem Hinweis nachgegangen wurde, bleibt offen. | |
Erst als sich Ende 2011 Böhnhardt und Mundlos erschießen und Zschäpe | |
verhaftet wird, wird die Monstrosität ihrer Taten offenbar. Wie sehr dazu | |
Helfer aus Berlin und Brandenburg beitrugen, könnte die 37-Jährige sagen. | |
Zschäpe aber schweigt. | |
22 Feb 2012 | |
## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
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