Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Bundesligist SC Freiburg: Wieder was für linke Jungs
> Nach einer stillosen Entlassungswelle scheint der SC Freiburg nun für
> eine bessere Fußballwelt zu stehen. Der Verein plant langfristig mit
> seinem neuen Trainer.
Bild: Freiburgs letzter Streich dürfte auch nach einem Abstieg weitermachen.
FREIBURG taz | Neulich erzählte Christian Streich, wie ihn sein Vater zur
Rede stellte, weil der Torhüter des SC Freiburg ohne Schirmmütze gegen die
Sonne spielte und prompt einen Treffer kassierte. Und er philosophierte
darüber, wie man bei der Fernsehfußballbeobachtung kurz auf die Toilette
gehe und danach schon alles anders sei. Seit Streich, 46, den Job des
Cheftrainers übernommen hat, kann die Vorspiel-Pressekonferenz schon mal 45
Minuten dauern.
Und nicht nur die Leute vom clubeigenen SCtv lächeln glücklich. Kein
Vergleich zu vorher, heißt es flächendeckend, also zu Vorgänger Marcus
Sorg, der sich hinter verbalen Stanzen zu verstecken pflegte
Sorg war in der Winterpause und nach gerade mal einem halben Jahr durch
seinen Assistenten Streich ersetzt worden. Das war - trotz Platz 18 - ein
harter Bruch mit der Unternehmenskultur, der in den letzten zwei
Jahrzehnten nicht mehr vorgekommen war. Der SC hatte seit 1991 zwei Trainer
gehabt: Volker Finke (bis Sommer 2007) und danach Robin Dutt (bis letzten
Sommer).
Weil mit Sorg auch gleich mehrere Spieler eher stillos weggeschickt wurden,
stellt sich manchem die Frage, ob dieser Club auch nicht mehr das ist, was
er war oder was viele gern in ihn reinprojizierten. "Ende der Freiburger
Unschuld" diagnostizierte sogar die unromantische Frankfurter Allgemeine
Zeitung.
## Zurück zu den Wurzeln
Manager Dirk Dufner empfängt in einem hellen Büro mit Blick auf den
Trainingsplatz und erläutert, warum der Bruch eine Rückkehr zu den Werten
des Clubs ist. "Es ist sicher nicht ganz wahnsinnig sympathisch, wenn du
den Trainer entlässt und nicht mehr mit einem Spieler wie Heiko Butscher
planst, der hier eine Riesenrolle gespielt hat. Aber es war notwendig."
Man könne nicht einfach weitermachen, als sei nichts, nur damit der SC
Freiburg keinen Trainer entlasse. "Der Vorwurf, den ich an mich selber
richten muss: Idealerweiser trifft man Personalentscheidungen so, dass man
nicht in eine solche Situation kommt."
Sorg war Dufners erste Trainerverpflichtung, die beiden davor hatte der
2009 verstorbene Dauer-Präsident Achim Stocker gescoutet. Der aber davor,
darauf wies sein Nachfolger Fritz Keller hin, "im Schnitt zwei Trainer pro
Jahr" brauchte. Das aber war vor Volker Finke und damit zu einer Zeit, als
der SC Freiburg eben noch nicht der SC Freiburg war, also der Club, der den
deutschen Fußball vom Schwarzwald aus fachlich, strategisch und kulturell
aufmischte und erneuerte.
"Weitab von der deutschen Befindlichkeit wird an einer sensiblen
Gemeinschaft zwischen dem Geist und den gemeinen Spielen des Volkes
gearbeitet", schrieb der Feuilletonist Helmut Böttiger im Jahre 1993.
Manchem Angestellten des SC mag es heute schwerfallen, sich diesem Urteil
anzuschließen. Aber Jungs brauchen Fußball, weil er Mythen schafft. Und
linke Jungs brauchten damals dringend auch mal einen Mythos. Da kam ihnen
Freiburg grade recht.
## Die Fußballschule als Kern des Vereins
##
Wenn man heute die besondere Unternehmenskultur beim SC sucht, so findet
man ihren Kern in der Waldseestraße. Dort steht die Fußballschule, die in
Deutschland führend ist und aus der inzwischen viele Profis und auch
Nationalspieler hervorgegangen sind. Sie ist die Grundlage der
Unternehmensstrategie: Spieler entwickeln, auf eigene Art und im Idealfall
aus dem eigenen Haus. Das, sagt Dufner, habe man immer gemacht. "Aber es
plätscherte zuletzt so dahin." Im Kader, im Club und vor allem auch in der
Stadt.
Die Analyse lautet: Erstens war "Marcus", wie alle sagen, doch nicht der
Richtige. Leider. Zweitens hat man im Winter nur die Kaderveränderung
nachgeholt, die man schon im Sommer hätte machen sollen. Der SC war zwar im
letzten Dutt-Jahr auf Rang 9 gelandet, hatte aber in der Rückrunde kaum
noch etwas gerissen.
## Neue Treue bis in den Abstieg
Und nun? 5 Punkte aus fünf Rückrundenspielen, alle zu Hause geholt, damit
ist man immer noch Letzter. Aber zuletzt nach dem 0:0 gegen den FC Bayern
wackelte das Stadion vor Begeisterung. Das Team war auch euphorisch, weil
man mit hoher Verteidigung gegen die Ballbesitzmaschine Bayern praktisch
keine Fehler machte. "Perspektive" ist das Schlüsselwort in der
Kommunikation. Und tatsächlich hat sich der Eindruck durchgesetzt, man habe
nun wieder eine. Dank Streich. "Selbst wenn wir absteigen sollten, werden
wir den Weg mit Christian weitergehen - es sei denn, er möchte nicht mehr",
sagt Dufner.
Christian Streich arbeitet grade in einem großen Raum mit seinem
Trainerteam an der Analyse des nächsten Gegners. Lockere Stimmung, Hinten
hat er noch ein eigenes Büro. Aber grundsätzlich steht er nicht auf
geschlossene Türen, sondern auf permanenten Austausch. Auf seine neue
Visitenkarte ließ er ausdrücklich "Trainer" schreiben. Nicht "Cheftrainer".
Er trägt einen Schal und raucht Selbstgedrehte zum offenen Fenster raus.
"Wissen Sie", sagt er gern. Er kommt aus Weil am Rhein an der Schweizer
Grenze und spricht domestiziertes Alemannisch. Über ihn geht das Gerücht,
er könne gar nicht anders, als inhaltlich über Fußball sprechen. Es ist
keins. Sofort ist er bei der Funktion des langen Balles für erfolgreiches
Kurzpassspiel. Bei Fragen kontert er sofort: "Haben Sie das Spiel gesehen?"
Streich ist ein ehemaliger Zweitligaprofi (inklusive zehn Bundesligaspiele
für Homburg. Er stieß bereits zu Frühzeiten Finkes zum SC-Trainerstab. War
später Leiter der Fußballschule und zuletzt ein sehr erfolgreicher
A-Jugendtrainer: In fünf Jahren einmal Meister und dreimal Pokalsieger. Er
spricht nur andeutungsweise darüber, aber er hat die Freiburger Kultur und
Geschäftsgrundlage entscheidend vorangebracht. Und er repräsentiert sie wie
kein anderer. Es muss auch Gründe geben, warum sie ihn nicht schon im
Sommer genommen haben. Vermutlich sah die Welt da einfach noch anders aus.
## Die Notwendigkeit eines neuen Stadions
Im Winter hat Streich nochmal vier eigene Talente in das Profiteam
integriert. Jetzt sind es zehn Fußballschüler, von denen sechs gegen die
Bayern in der Startelf standen. Jetzt schätzen wieder mehr Leute, worum es
beim SC geht: ein spannendes Team zu formen, das möglichst nicht absteigt,
aber das vor allem im nächsten Jahr gegebenenfalls ein weiteres Mal den
Wiederaufstieg angehen kann. Damit der durch seine ökonomischen
Infrastrukturen limitierte Club nicht auf Nimmerwiedersehen verschwindet,
wie die Unheilspropheten vom kicker bereits fürchten.
Die Gefahr ist evident. Robin Dutt orakelte bei seinem Abgang gar, ohne
neues Stadion sei der SC binnen eines Jahrzehnts nicht mal mehr in der
Zweiten Liga. Am Montag wird die Stadt verkünden, wo man potenziell bauen
könnte, aber das heißt nicht, dass es tatsächlich konkret wird.
In seinem Trainerzimmer versichert Streich, dass er den Abgang des
Torjägers Papiss Cissé voll mitgetragen habe. Mal abgesehen von allem
anderen: Ein Stürmer, der alle Tore schießen muss, ein omnipotenter Star,
von dem alles abhängt? Das war stets das Gegenteil des Freiburger Fußballs,
in dem der Torschütze nur den letzten von vielen gleichwertigen Laufwegen
absolvierte. Streich arbeitet an der Qualität des Fußballkollektivs.
Typische Heldenfußballer-Projektionen der Journalisten lässt er abprallen.
Wie früher Finke.
Ist der Name Finke eigentlich immer noch ein Tabu? "Des isch ein Nulltabu",
sagt Streich. Dann redet er ausgiebig und liebevoll über den Präsidenten
Stocker ("Der war ja Freiburg"), der ihm schon Vertrauen geschenkt habe,
als er noch die Arbeit mit der C-Jugend modernisierte und gesagt habe, er
solle nur machen. Solange es nichts koste. Kein Wort über Finke, der es mit
dem Loben und Mitnehmen nicht so hatte. Zumindest nach Eindruck der
anderen.
Offenbar ist Streich positiv und negativ Finke-aufgeladen, dass daraus ein
gesundes Gleichgewicht entsteht. So ist Christian Streich nach Jahren des
Exorzismus vermutlich der erste wahre und konsequente Nachfolger von Volker
Finke.
24 Feb 2012
## AUTOREN
Peter Unfried
## TAGS
Fußball-Bundesliga
## ARTIKEL ZUM THEMA
Dauerüberraschungsteam: Der Erfolg des listigen Lehrers
Bei der vogelwilden Partie in Bremen demonstriert der SC Freiburg taktische
Reife. Trainer Streich ist um Bodenhaftung bemüht.
Kölns Sportdirektor Finke entlassen: "Wieder auf den Fußball konzentrieren"
Volker Finke ist nicht länger Sportdirektor in Köln. Er scheiterte an
zwischenmenschlichen Differenzen mit Trainer Stale Solbakken. Finke hatte
die Rolle des Bad Guy.
22. Spieltag Fußball-Bundesliga: Bayern patzt beim Schlusslicht
Beim SC Freiburg holt München nur ein 0:0. Hannover schlägt Stuttgart 4:2
und hofft weiter auf einen Euro-League-Platz. Die Borussen bauen die
Tabellenführung aus.
Freiburger Trainer entlassen: Verlust einer gefeierten Sonderrolle
Der SC Freiburg feiert eine traurige Premiere. Erstmals schickt der Club
selbst einen Trainer in die Wüste. Den Job von Marcus Sorg übernimmt dessen
Assistent Christian Streich.
Krisenclub SC Freiburg: Ausmisten im Abstiegskampf
Im beschaulichen Breisgau wird es hektisch. Sechs Spieler sollen den SC
Freiburg im Winter verlassen. Unter ihnen ist auch der beliebte Kapitän
Heiko Butscher.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.