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# taz.de -- Imam-Ausbildung: „Die Politik hat das Thema verschlafen“
> In Osnabrück soll in diesem Jahr der Studiengang Islamische Theologie
> beginnen. Der Religionswissenschaftler Rauf Ceylan über die
> Notwendigkeit, Imame in Deutschland auszubilden.
Bild: Moschee in Hannover: die Imame kennen sich mit der deutschen Lebenswirkli…
taz: Sie haben über Imame in Deutschland geforscht. Was ist dran am Bild
des Hasspredigers, Herr Ceylan?
Rauf Ceylan: Das ist eine mediale Konstruktion, die suggeriert, dass ein
Großteil der Imame dieser Kategorie zuzuordnen ist. Richtig ist, dass es in
Deutschland eine Randgruppe gibt, die der fundamentalistischen Szene
zuzuordnen ist, in der auch solche Prediger vorkommen. Allerdings ist der
größte Teil der Imame nicht als Hassprediger einzuschätzen. Die Probleme
liegen anderswo.
Wo?
Die Erwartungen, die man an sie in Deutschland und in ihren
Herkunftsländern stellt, sind sehr unterschiedlich. Dem Imam wird im
Herkunftskontext eine historisch gewachsene und theologisch definierte
kulturelle Rolle zugeschrieben. Allerdings hat sich die Imamrolle in
Deutschland verändert. Sie werden hier, in der Diaspora, mit Ansprüchen
junger Gemeindemitglieder und gesellschaftlichen Integrationsanforderungen
konfrontiert. Dafür sind sie nicht qualifiziert.
Imame sind wichtig für die Integration?
Unter anderem. Es geht um das Binnenleben der Moscheegemeinden. In deren
Vorständen findet zunehmend ein Generationenwechsel statt. Die dritte
Generation, insbesondere Frauen, wird aktiver. Das sind in der Regel
Menschen, die in Deutschland sozialisiert wurden und interreligiöse Dialoge
führen. Wenn sie sehen, dass Priester seelsorgerisch und sozialpädagogisch
tätig sind und Kinder- und Jugendarbeit leisten, übertragen sie diese
Funktion auch auf ihre Imame. Die sind damit aber in der Regel überfordert,
weil sie das in ihren Herkunftsländern nicht machen mussten.
Liegt das daran, dass 90 Prozent der Imame nicht aus Deutschland kommen?
Ja. Das sind Fragen der Sozialisation, vor allen Dingen der
wissenschaftlichen Sozialisation. Theologie ist immer kontextuell gebunden.
Das bedeutet, dass ein Imam die gesellschaftlichen Verhältnisse sehr gut
kennen muss. Er ist Ansprechpartner bei Ehekonflikten, bei Jugendproblemen.
Allerdings muss man auch hinterfragen, inwieweit diese Zuschreibungen
berechtigt sind. Ich bin der Meinung, dass ein Imam eine Brückenfunktion
hat. Er muss geistig hier ankommen, und er muss Vertrauen in die Netzwerke
gewinnen können, um vermitteln zu können.
Er sollte also ein Paar mit Eheproblemen an eine Beratungsstelle verweisen?
Genau. Als erste Anlaufstelle ist er für religiöse Familien sicher nicht
falsch. Seine Funktion liegt aber darin, dass man ihm vertraut, und nicht,
dass er tatsächlich für die Beratung zuständig ist. Darüber hinaus hat
seine Tätigkeit auch eine dialogische Komponente. Die Freitagspredigten in
den Moscheen gehören zu den wenigen Möglichkeiten der meisten Muslime in
Deutschland, bei denen man sich über islamische Religion authentisch
informieren kann. Bisher hat nur ein Bruchteil der Kinder und Jugendlichen
die Möglichkeit, an einem Schulversuch für islamischen Religionsunterricht
teilzunehmen. Für religiös orientierte Muslime bleibt meistens nur die
Moschee, insbesondere das Freitagsgebet, das überall gut besucht ist. Das
gilt übrigens auch für Kirchengemeinden mit vielen polnischstämmigen
Mitgliedern. Auch dort sind die Gottesdienste gut besucht. Wenn die
Predigten aber bei der Integration helfen sollen, müssen sie an die
Lebensrealität der Muslime in Deutschland anknüpfen. Ich habe bei meinen
Untersuchungen festgestellt, dass viele Imame sich nicht in Deutschland
auskennen.
Wie können Imame in Deutschland besser qualifiziert werden?
Die Diskussion wurde von verschiedenen Seiten initiiert. Man muss
allerdings sagen, dass die Politik das Thema lange verschlafen und die
Bedeutung der Imame als theologische Referenzen gar nicht erkannt hat. Die
Gemeinden selbst haben darauf zwar hingewiesen, aber es fehlte ihnen die
entsprechende Aufmerksamkeit. Die Universität Osnabrück hat als erste
Hochschule angefangen, zwei Schritte zu gehen. Seit 2010 bieten wir ein
zweisemestriges Weiterbildungsprogramm für Imame an, die schon in
Deutschland tätig sind. Die Ergebnisse zeigen, dass damit viele mentale
Hürden überwunden werden. Die zweite Schiene, die große Lösung, soll ein
Studiengang für Islamische Theologie sein. So müssen jungen Menschen nach
dem Abitur nicht mehr zum Studieren ins Ausland gehen. Im Wintersemester
2012/2013 wollen wir mit diesem Studiengang in Osnabrück beginnen.
Sie meinen das Institut für Islamische Theologie. Was ist dort Ihre
Funktion?
Meine Aufgabe als Religionssoziologe ist es, die künftigen Theologen von
der Außenperspektive her zu begleiten, damit sie lernen, auch soziologische
Fragen an ihre Religion zu stellen. Die Theologie hat dagegen eine andere
Funktion. Sie beleuchtet die Binnenperspektive. Das ist ja auch bei den
christlichen Theologen nicht anders. Das Besondere an Osnabrück ist der
interreligiöse Ansatz, der sehr wichtig für uns ist. Denn mit dem Institut
für Evangelische Theologie und dem Institut für Katholische Theologie haben
wir schon seit 2007 durch den Studiengang Islamische Religionspädagogik
sehr gute Erfahrungen gemacht. Das hat vor uns noch kein Institut
angeboten.
Wie soll der Studiengang Islamische Theologie eigentlich aussehen?
Im Grunde nicht anders als in islamischen Ländern wie der laizistischen
Türkei. In der Türkei gehören neben den Basiswissenschaften der islamischen
Theologie wie Koraninterpretation noch die Bezugswissenschaften dazu, unter
anderem Religionssoziologie. Dort achtet man darauf, dass Imame fähig sind,
aus der Außenperspektive religiöse Themen zu reflektieren und sich in der
Gesellschaft auszukennen.
Zum Imam ausbilden lassen kann man sich in Osnabrück aber nicht?
Nein, allein eine theoretische Qualifikation ist nicht ausreichend, ebenso
ist ein praktischer Teil nötig. Daher ist die Kooperation mit
Moscheegemeinden sehr wichtig.
Welche Rolle spielen Frauen in islamischen Gemeinden?
Eine sehr wichtige. Im Studiengang Islamische Religionspädagogik haben wir
über 70 Prozent Frauen. Das ist deshalb interessant, weil in Zukunft nicht
nur die Eltern oder Imame religiöse Autoritäten sein werden, sondern auch
ReligionslehrerInnen. Imame können zwar nur Männer werden, so wie in der
katholischen Kirche nur Männer Priester sind. Aber Frauen können in den
Moscheen viele Rollen übernehmen. Dass sie immer wichtiger werden, liegt
auch daran, dass sie selbstbewusster werden. Wir haben das erkannt. Deshalb
heißt das Weiterbildungsprogramm an der Universität Osnabrück auch nicht
Imam-Weiterbildung, sondern „Weiterbildungsprogramm für Imame und für das
religiöse Betreuungspersonal“.
29 Feb 2012
## AUTOREN
Anne Reinert
## TAGS
Islam
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