# taz.de -- Kolumne Blicke: Nilpferd an der Havel | |
> Seeadler über Spandau, Kleingärten im Ausnahmezustand – ein | |
> Sonntagsspaziergang am Stadtrand. | |
An der Havel war es so entrückt schön, wir wären beinahe ins Wasser | |
gelaufen. Vor uns lag der Weg überschwemmt, wo wir herkamen, waren wir | |
schon gewesen, links glänzte der Strom – und rechts dräute still eine | |
Kleingartenkolonie. | |
Zu den Schreberschen Anlagen habe ich ein gewisses Verhältnis. Und deswegen | |
hielt ich es für eine problematische Idee, als meine Begleiterin einem | |
mittelalten Paar sich zu folgen anschickte, welches den niedrigen Zaun – | |
der öffentlichen von privatem Grund trennt – überwand(!), dann den Rasen | |
betrat (!), und sich schließlich daran machte, das hölzerne Gartentürl zu | |
überklettern (!). | |
Zu hölzernen Gartentürln habe ich ein gewisses Verhältnis. Deswegen | |
wunderte es mich überhaupt nicht, als die mittelalte Dame mit Rock und | |
Leggins an den Spitzen des Türls hängen blieb. Dass man Kleingärtner | |
morgens dabei beobachten könne, wie sie die Spitzen ihrer Jägerzäune | |
nachfeilen, habe ich, der ein gewisses Verhältnis zu Jägerzäunen hat, zwar | |
noch nie in Natura beobachten können; als ich davon aber vor Jahren beim | |
Schriftsteller Jakob Arjouni las, schien mir der Mann sofort einen klaren | |
Blick auf die Realität zu haben. Auf jenen Ort, der im aktuellen | |
Erfolgsstück „Frau Müller muss weg“ als „dunkel und kalt“ beschrieben… | |
Während nun die mutige Avantgarde am Zaun festhing und wir in der Schlange | |
standen, nahte auch schon das Unglück in Form einer Nachbarin des | |
verlassenen Laubengrundstücks, auf dem wir uns alle befanden. Die Frau | |
schritt den geharkten Zentralweg entlang. „Das ist Hausfriedensbruch“, | |
sagte sie. Sie sagte es immer wieder. Wie das McDonald‘s Nilpferd Bruno, | |
wenn man es anstupst: „Ich bin der Traum jedes Nilpferdes“ – „Das ist | |
Hausfriedensbruch“. | |
Nun muss ich nachreichen, dass wir uns nicht nur in der Kleingartenzone | |
befanden, sondern auch in Spandau. Zugezogene lernen diesen Berliner Bezirk | |
recht schnell und dann für immer „Spandoof“ zu nennen, in alteingesessenen | |
Schöneberger Trinkstübchen ist ohnehin nur von „Spandau bei Berlin“ die | |
Rede. Spandauer galten einst als die Ossis Westberlins, heute sind sie die | |
letzten Insulaner. Sie verorten sich selbst in einem umstellten Winkel, zu | |
dem sie den Zutritt am liebsten verbieten würden – deswegen wählen sie so | |
gern die Berliner CDU. Spandauer sind nicht befähigt, zu sagen, was sie | |
stört. Zum Beispiel, dass hölzerne Gartentürl sehr leicht kaputtgehen | |
können, wenn mittelalte Frauen sie in Röcken zu überklettern versuchen. | |
Spandauer haben einen unverrückbaren Begriff davon, wann Zäune, Rasen, | |
Gartengatter zum Übersteigen beziehungsweise Betreten geeignet sind: Nie. | |
Ich bin in einer Kleingartenanlage aufgewachsen. Ich habe meine Mutter das | |
Gartentürl so oft reparieren sehen, bis klar war: Es geht nicht. | |
Beziehungsweise: Es geht auch ohne. | |
Als wir die Kolonie hinter uns gelassen hatten, und uns wieder an | |
Kormoranen, Reihern und, ja, einem Seeadler erfreuen wollten, war das | |
jedoch so leicht nicht: Der Kontakt mit der Niedrigkeit macht mißmutig. Wie | |
tröstlich, dass es sie nur in Spandau gibt. | |
1 Mar 2012 | |
## AUTOREN | |
Ambros Waibel | |
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