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# taz.de -- Nazi-Ehrungen: Peinliche Würdenträger
> Als erste deutsche Hochschule sichtet die Göttinger Georg-August-Uni alle
> Ehrungen der Nazizeit - um sie einzeln entziehen zu können.
Bild: 1937: Feier zum 200-jährigen Bestehen der komplettnazifizierten Götting…
Zu einem unverhofften, hochschulinternen Forschungsprojekt ist die
Göttinger Georg-August-Uni im 275. Jahr ihres Bestehens gekommen: Unter der
Federführung von Neuhistoriker Dirk Schumann überprüft sie sämtliche
Würdigungen, die sie in der Nazi-Zeit verliehen hat. Gefragt werden soll,
in welchen Fällen sie abzuerkennen sind, in welchen nicht, und ob sie
überhaupt noch fortbestehen oder bereits annulliert wurden. Denn auch
darüber gibt es "keine Aufzeichnungen", so ein Uni-Sprecher zur taz.
Bislang liegt noch nicht einmal eine Liste der Geehrten vor. Erste
Ergebnisse seien "frühestens Ende nächsten Semesters" zu erwarten.
Tatsächlich vergibt die Georgia Augusta eine Vielzahl an Auszeichnungen.
Neben der seit 1939 hier angesiedelten Burckhardt-Medaille sind das
Ruhmestitel wie die Ehrenmitgliedschaft, die Ehrenbürgerwürde, der Titel
des Ehrensenators und selbstredend die Klassiker "Doktor" beziehungsweise
"Professor honoris causa".
Die waren begehrt: Schließlich war die Göttinger Uni eine Institution mit
Weltruf. Weil sie zudem 1937 ihr 200-jähriges Bestehen feierte, ist von
einer hohen Anzahl Nazi-Würdenträgern auszugehen. Ihr Rektor Friedrich
Neumann, Mitglied der NSDAP und der SS, war durch eine Änderung der
Hochschulverfassung ab 1933 oberster Führer der Uni geworden.
Befähigt, willkürliche Entscheidungen zu treffen, richtete Neumann auch die
"regulären" Berufungs- und Entlassungsverfahren "streng nach
nationalsozialistischen Vorgaben" aus, wie die Historikerin Kerstin Thieler
in einem Aufsatz über die Aberkennung akademischer Titel in Göttingen
schreibt. Und Jubiläen sind ein typischer Anlass, um Protektoren und
arrivierte Ehemalige zu bekränzen.
Die Georg-August-Universität erforscht ihre Rolle unter den Nazis seit
langem intensiv: Als eine der ersten Traditionshochschulen hat sie ihre
"Degraduierungs-Praxis" durchleuchtet, ebenso untersucht sie das Thema der
Mittäterschaft ihrer medizinischen Fakultät, ein noch nicht abgeschlossenes
Vorhaben. Das neue Projekt ist einer lokalen Initiative aus Hannoversch
Münden geschuldet: Eine Bürgeranfrage im Stadtrat hatte problematisiert,
dass eine örtliche Realschule seit 1958 unter dem Patronat des sogenannten
Sollingdichters Heinrich Sohnrey stand.
Daraufhin bestellte die Kreisverwaltung bei der Göttinger Uni ein
Gutachten, die damit den Literaturwissenschaftler Frank Möbus betraute.
Möbus fand heraus, dass der Autor nicht nur für Blut-und-Boden-Kitsch
verantwortlich war, sondern mit Romanen wie "Das Fremde Blut" - einer 1938
vorgelegten Neuauflage der 1927 erschienenen "Geschichte vom Schwarzbraunen
Mädelein" - die Vernichtungspolitik vorweggenommen und legitimiert hatte.
"Eine Vielzahl" seiner Texte wäre "nach heutigem Rechtsverständnis als
Volksverhetzung einzustufen", so Möbus' Urteil.
Seither sucht die Realschule nach einem neuen Namen. Und die Uni nach einer
Möglichkeit, ihre peinlichen Würdenträger loszuwerden: Bei der Recherche
war Möbus darauf aufmerksam geworden, dass der Hitler-Wegbereiter 1934 zum
"Ehrenbürger" der Georgia Augusta ernannt worden war.
Die Würdigungen der Nazi-Ära pauschal abzuerkennen, ist unmöglich. Zwar
hatte man die rechtlichen Grundlagen der Selbstbestimmung planmäßig außer
Kraft gesetzt, und Dekane und Senat jeder Entscheidungskompetenz beraubt.
Dennoch hält man die Gunstbezeugungen der Unrechts-Uni für "verbindliche
Rechtsakte", so ein Uni-Sprecher. "Sie müssen einzeln geprüft werden."
2 Mar 2012
## AUTOREN
Benno Schirrmeister
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