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# taz.de -- Kolumne Gott und die Welt: Spät, aber nicht zu spät
> An einer deutschen Universität werden nun Rabbiner ausgebildet.
> Vorausgegangen sind nicht weniger als 180 Jahre Diskussion.
Bild: Rabbiner Yehuda Teichtal in Berlin.
Wissenschaftspolitik wirkt häufig – keineswegs zu Unrecht – abgehoben.
Gleichwohl verbergen sich hinter den oft nur schwer nachvollziehbaren
Beschlüssen gewichtige gesellschaftliche Entscheidungen, die sowohl
Ökonomie als auch politische Prinzipien einer Gesellschaft nachhaltig
verändern.
Das ist im Falle von „Bologna“, jener planwirtschaftlichen Exekution
neoliberalen Konkurrenzdenkens, inzwischen allgemein bekannt; unbekannt
dürfte hingegen sein, dass demnächst erstmals an einer deutschen
Universität eine jüdisch-theologische Fakultät errichtet wird.
Eingefleischten Atheisten und Laizisten mag das ein Ärgernis sein,
bezweifeln sie doch, dass Religion überhaupt einen Platz im öffentlichen
Bildungswesen hat – es sei denn als Objekt kulturwissenschaftlicher
Forschung.
Das deutsche, in seiner Art weltweit einmalige Religionsverfassungsrecht –
früher nannte man es „Staatskirchenrecht“ – lässt hingegen, natürlich
föderal geregelt, die Ausbildung von Geistlichen an Universitäten zu. Das
ist keine Einbahnstraße: Einerseits muss sich der gelebte Glaube im Umfeld
der Wissenschaften rational ausweisen und befragen lassen, andererseits
erkennt der demokratische Staat an, dass das religiöse Erbe zu seinen
Werten gehört.
Indes: Bisher galt das in Deutschland nur für die großen christlichen
Konfessionen und ändert sich, obwohl seit Jahrhunderten angemahnt, erst
jetzt – wenigstens für das Judentum: An der Universität Potsdam wird bald
eine jüdisch-theologische Fakultät zum Zweck der Ausbildung von
Rabbinerinnen und Rabbinern errichtet.
Ende Januar dieses Jahres erst einigten sich die Universität Potsdam mit
ihrem Präsidenten Oliver Günther und das an der Universität angesiedelte
Abraham Geiger Kolleg mit dem Rektor Walter Homolka in Abstimmung mit der
zuständigen Ministerin des Landes Brandenburg, Sabine Kunst, darauf, die
strukturellen und finanziellen Voraussetzungen für die Gleichstellung der
jüdischen Theologie zu schaffen; im Februar schon verabschiedete der
Brandenburgische Landtag einen entsprechenden Antrag von Linken, der SPD,
den Grünen und der FDP an die Landesregierung.
Damit knüpfen die Parlamentarier des Landes Brandenburg an eine etwa 180
Jahre alte Debatte an. In den 1830er und 1840er Jahren plädierten sowohl
jüdische als auch christliche Gelehrte für die volle Integration einer
wissenschaftlich verantworteten jüdischen Theologie an deutschen
Universitäten. Einer, nein, der Vordenker des liberalen Judentums in den
deutschen Ländern, Abraham Geiger, forderte 1836 die „Gründung einer
jüdisch-theologischen Fakultät“ als „dringendes Bedürfnis unserer Zeit�…
und zwar aus Gründen der Gleichberechtigung.
## „Das Judentum gehört zu Deutschland!“
Geiger und andere wollten damit eine Haltung zum Ausdruck bringen, die in
den 1830er Jahren mindestens so revolutionär wirkte wie heute eine andere:
„Das Judentum gehört zu Deutschland!“ Das aber war sowohl den deutschen
Ländern seit 1848 als auch dem 1871 gegründeten deutschen Nationalstaat zu
viel.
Daher kam es auf Initiative jüdischer Mäzene und Gelehrter zur Gründung
wissenschaftlich hochkarätiger, aber eben nicht in die Universitäten
integrierter jüdischer Hochschulen. In Zeiten der Krise und der
Vernichtung, während des Berliner Antisemitismusstreits 1883 und seit 1933
gerieten diese Hochschulen unter Druck und wurden endlich geschlossen.
Verschiedene Versuche, die wissenschaftliche Befassung mit dem Judentum
nach dem mörderischen Kahlschlag des Nationalsozialismus an deutschen
Universitäten zu etablieren, verliefen im Einzelnen erfolgreich, zumal die
Gründung der Jüdischen Hochschule in Heidelberg 1979, indes: All dies war
eben nur „Judaistik“ oder „jüdische Studien“.
Jüdische Geistliche, Rabbinerinnen und Rabbiner werden und wurden an
deutschen Universitäten im Unterschied zu christlichen Geistlichen bisher
nicht ausgebildet. Dass sich das jetzt mit der Gründung einer
jüdisch-theologischen Fakultät an der Universität Potsdam ändern wird,
markiert einen tiefen Einschnitt. Das ach so wohlfeile Gerede von den
jüdisch-christlichen Grundlagen der deutschen, der europäischen Kultur
erhält damit endlich ein institutionelles Siegel.
Viel zu spät, durch den Abgrund der NS-Zeit von der Vergangenheit getrennt,
kommen so die besten Motive des 1947 von den Alliierten förmlich
aufgelösten Preußen zur Geltung: Vor beinahe auf den Tag genau 200 Jahren
erließ Friedrich Wilhelm III. das berühmte Emanzipationsedikt, das den in
Preußen lebenden Juden Gleichberechtigung verhieß.
5 Mar 2012
## AUTOREN
Micha Brumlik
Micha Brumlik
## TAGS
Judentum
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