# taz.de -- Gentrifizierung in Kreuzberg: Jedes Kreuz ein Ort des Widerstands | |
> Mieter des Immobilienmultis Taekker wehren sich gegen die Umwandlung | |
> ihrer Wohnungen in Eigentum | |
Bild: Hieß früher mal Falckensteinstraße: Protest gegen die Gentrifizierung … | |
8.000 Euro habe Taekker ihm geboten, wenn er bis Jahresende aus seiner | |
Wohnung ziehe, sagt der Mann mit Halbglatze. 5.000 Euro seien es bei ihm | |
gewesen, wirft ein Zickenbartträger ein. Eine Frau nennt 4.000 Euro „für | |
meine 40 Quadratmeter“. Kopfschütteln in der Runde. „Niemand sollte sich so | |
billig rauskaufen lassen“, sagt ein Graugelockter mit Laptop. „Am besten, | |
man lässt die abblitzen.“ Keiner widerspricht. | |
Gut 40 Leute sitzen an diesem Abend im Centrum-Nachbarschaftshaus im | |
Kreuzberger Wrangelkiez. Sie alle eint derselbe Vermieter, der sie nun | |
offenbar nicht mehr in seinen Wohnungen haben möchte: der dänische | |
Immobilienmulti Taekker. Martin Breger jedoch macht Mut. Der Mann von der | |
Mieten AG aus dem Graefekiez mit grauem Zopf und buntem Ringelpullover | |
moderiert die Veranstaltung. „Ihr habt eine gute Chance gegen die | |
Verdrängung“, sagt Breger. „Weil ihr euch vernetzen könnt.“ | |
## Monatliche Treffen | |
Im vergangenen September waren 5.000 BerlinerInnen auf die Straße gegangen, | |
um gegen steigende Mieten zu demonstrieren. Die angestaute Sorge vieler, | |
die eigene Wohnung nicht halten zu können, artikulierte sich damals in | |
Protest – ein erster Schritt. Das Treffen nun zeigt, dass inzwischen der | |
zweite Schritt folgt: Die Mieter vernetzen sich und wollen sich wehren. | |
Eine Gruppe trifft sich nun am Kottbusser Tor, eine am Neuköllner | |
Weichselplatz, eine in der Schöneberger Barbarossastraße. Und allmonatlich | |
trifft sich seit Dezember auch die Taekker-Mietergruppe. | |
Sigrid Kersten (Name geändert) sitzt an einem anderen Abend an ihrem | |
Küchentisch, ihre Hände umschließen eine Teetasse mit abgebrochenem Henkel. | |
Auch die zierliche 62-Jährige mit den kurzen, grauen Haaren ist Teil des | |
Mieterwiderstands. Mit dem Haus in der Kreuzberger Graefestraße, in dem | |
Kersten seit 28 Jahren wohnt, einem hellen Altbau mit Stuck, startete die | |
Taekker GmbH Immobilienverwaltung ihre neue Strategie: den Verkauf von | |
Eigentumswohnungen. Man sei „entschlossen“, das Haus „aufzuteilen und | |
umzuwandeln“, informierte die Firma im Februar 2011 die Bewohner per Brief. | |
Wer wolle, hieß es später, könne seine Wohnung auch selbst erwerben. Einem | |
Mieter nannte Taekker 268.732 Euro für seine 116 Quadratmeter. Er lehnte ab | |
– wie fast alle im Haus. | |
Man habe sich dann zusammengesetzt, sagt Kersten, und Briefe an Taekker | |
geschrieben. Und schließlich 2,4 Millionen Euro geboten: um das Haus | |
mithilfe des Freiburger Mietshäuser Syndikats selbst zu kaufen. Taekker | |
lehnte ab: Das Haus sei 4,5 Millionen Euro wert, mindestens. | |
Martin Breger, der Mietenaktivist, warnt die Runde der Taekker-Mieter im | |
Nachbarschaftshaus: „Im Graefekiez fällt gerade ein Haus nach dem anderen.“ | |
Mit sonorer Stimme berichtet Breger von Sanierungen, von Ferienwohnungen, | |
von „Mietenexplosionen“. Er reicht eine Liste herum, auf der alle | |
Taekker-Häuser in Berlin aufgelistet sind. 53 in Kreuzberg, 16 in | |
Prenzlauer Berg, 10 in Friedrichshain. Die Protestmieter kreuzen ihre | |
Häuser an – jedes Kreuzchen ein Ort des Widerstands. | |
Ein Rechtsanwalt in Lederjacke meldet sich. Kein Mieter müsse auf die | |
Auszugsofferten eingehen, sagt er. Taekker gehe es um die „schnelle | |
Verscherbelung: Weil die nichts in der Kasse haben.“ Und leere Wohnungen | |
brächten mehr Geld. Die Zuhörenden schreiben aufmerksam mit. | |
Auch Taekkers Berlin-Chef Christian Kohlhoff, 38, sitzt in Kreuzberg. Ein | |
Altbau am Maybachufer, ganz oben unterm Dach, ein Großraumbüro fast ganz in | |
Weiß. Kohlhoff, der seit 2010 Chef ist, spricht in ruhigem Ton. „Ich kann | |
die Sorgen verstehen“, sagt er. „Sie sind aber unbegründet. Wir halten uns | |
an Recht und Gesetz.“ | |
2005 kaufte Taekker sein erstes Haus in Berlin. Heute hat das Unternehmen | |
mehr als 100 Immobilien, 3.400 Wohnungen und 40 Mitarbeiter in der Stadt. | |
„Wir stehen wieder gut da“, sagt Kohlhoff. Vor drei Jahren sah das noch | |
anders aus: Die Finanzmarktkrise setzte Taekker zu, das Unternehmen stand | |
kurz vor dem Konkurs. Die Taekker-Mieter vermuten hinter den Verkäufen | |
ihrer Wohnungen denn auch eine Sanierungsmaßnahme des Unternehmens. | |
## Die Nachfrage sei „riesig“ | |
Kohlhoff widerspricht: Nur in jedem zehnten Taekker-Haus würden | |
Eigentumswohnungen angeboten, die Nachfrage aber sei „riesig“. Kohlhoff | |
verweist auf die Eigentumsquote in der Berliner Innenstadt – 15 Prozent, | |
„lächerlich“. Er sagt aber auch, dass er sich wünschte, die Politik würde | |
Regeln finden für die Investoren, die sich „hemdsärmelig“ durch die Stadt | |
spekulierten. Anders als Taekker, so Kohlhoff: „Wir gehören nicht zu den | |
Beinharten.“ | |
Warum aber regt sich dann Protest gegen seine Firma? Kohlhoff reagiert | |
schnell: „Weil wir uns nicht verstecken, sondern transparent | |
kommunizieren.“ In der Graefestraße hat man andere Antworten, die den Namen | |
Ziegert beinhalten. Die Gruppe vertrat Taekker hier bei den | |
Wohnungsverkäufen – „unverschämt“ und „frech“, sagen die Mieter in … | |
Graefestraße. Als einige von ihnen im vergangenen Jahr Protestbanner aus | |
ihren Fenstern hängten, wurde Taekkers Ton schärfer. „Sie können nicht | |
ernsthaft erwarten, dass Sie von uns besonders zuvorkommend behandelt | |
werden, wenn Sie uns fortgesetzt gegen das Schienbein treten“, schrieb | |
Kohlhoff an einen Mieter. | |
Martin Breger will trotzdem nicht vereinfachen. „Taekker gehört eigentlich | |
nicht zu denen, die schikanieren“, sagt er. „Aber wenn einer 50 Häuser in | |
Kreuzberg hat, dann sind seine Entscheidungen schon sehr wirkmächtig für | |
den Bezirk.“ | |
Das Treffen der Taekker-Mieter zeigt auch die Schwierigkeiten der neuen | |
Widerständler: Vieles bleibt auf der Ebene des Austauschs. Und Sigrid | |
Kersten aus der Graefestraße geht gar nicht erst zu den Treffen: „Zu | |
langatmig.“ – „Was Großes“, eine Massendemo, sagt Kersten, erst das we… | |
Politik und Spekulanten beeindrucken. | |
Das Problem nur: Bis dahin verkauft Taekker weiter die Wohnungen in | |
Kerstens Haus. Sieben Verkäufe habe es schon gegeben, sagt die 62-Jährige. | |
Zuletzt hat eine Schweizerin zwei Wohnungen unterm Dach erworben. Im | |
Erdgeschoss hat Ziegert ein Plakat aufgehängt. „Verkauf!“, prangt da in | |
großen Lettern. | |
Die Taekker-Mieter halten nun mit einem eigenen Webblog dagegen: | |
„Taekkerwatch“. Auf der Internetseite listen sie alle Berliner Häuser der | |
Dänen auf und notieren akribisch, was sich wo tut. Für die Kreuzberger | |
Solmsstraße 37 heißt es: „Modernisierung, Gesprächstermin, Ziegert“. Für | |
die Jessnerstraße 66 in Friedrichshain: „Wohnungen sollen möglichst schnell | |
verkauft werden“. Immerhin hat man den Gegner nun im Visier. | |
Auch Sigrid Kersten gibt sich kämpferisch. Neulich erst stand eine Frau aus | |
Bremen in ihrer Wohnung, Kersten musste sie zur Besichtigung einlassen. | |
Sehr hübsch sei das hier, befand die Besucherin. Zur Rente wolle sie gern | |
einziehen. Damit solle sie nicht rechnen, sagte Kersten: „Denn dafür müsste | |
ich vorher ausziehen.“ | |
14 Mar 2012 | |
## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
Konrad Litschko | |
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