Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Béla Tarrs Film „Das Turiner Pferd“: „Ach, Blödsinn!“
> War es das jetzt? Im Film „Das Turiner Pferd“ schaut Béla Tarr der Welt
> beim Vergehen zu und nimmt das Ende des analogen Films vorweg.
Bild: Wenn dem Alten die Kräfte schwinden, bleibt nur karges Land.
Wenn das Ende naht, verstummen auch die Holzwürmer. 58 Jahre lang, erzählt
der alte Mann, waren sie im Gebälk des Bauernhauses zu hören. Nun ist das
unerbittliche Fauchen des Sturms das einzige Geräusch, das durch die Nacht
dringt. Und was für eine entfesselte Naturgewalt ist das! Bei Béla Tarr,
dem letzten Verfechter des klassischen europäischen Autorengedankens, tost
der Wind mit allegorischer Wucht.
Die Eröffnungssequenz von „Das Turiner Pferd“ löst sich bedeutungsvoll aus
einer knackig schwarzen Aufblende. Ein Pferd stemmt sich, angetrieben von
seinem Besitzer, mit letzter Kraft gegen den Wind, minutenlang, wie man das
von dem ungarischen Regisseur nicht anders erwarten würde.
Es ist ein ungemein physischer, dynamischer Prolog, wie die Kamera das
Pferd in einer ruhigen Bewegung umkreist, an seiner Flanke entlangstreift,
als wolle sie die Muskelkraft des Tieres in die Bilder aufnehmen. In diesen
ersten Minuten dominiert ein zäher Überlebenswille, pointiert durch die
aufbrausende Musik Mihály Vígs: ein fast statisches Arpeggio, dessen Dichte
und Volumen die scharf konturierten Schwarz-Weiß-Bilder wie Blei
beschweren.
## Das drohende Ende
Als „Das Turiner Pferd“ im vergangenen Jahr auf der Berlinale seine
Weltpremiere erlebte, überraschte Tarr mit der Ankündigung, dies sei sein
letzter Film. Man kennt solche Aussagen auch von den Rolling Stones oder
dem Schauspieler Clint Eastwood, doch vieles spricht dafür, dass „Das
Turiner Pferd“ tatsächlich einen Schlusspunkt im filmischen Schaffen Béla
Tarrs setzt. Er ist ein in jeder Hinsicht endgültiges Statement.
„Satantango“ (1994) lässt mit einer Länge von siebeneinhalb Stunden
vielleicht konsequenter die Konfiguration von politischer Sphäre und
Lebensräumen vermissen, und die Zivilisationsfarce „Die Werckmeisterschen
Harmonien“ (2000) verfügt mit ihrem ausgestopften Wal zweifellos über das
imposantere Bild. Aber keiner der beiden Filme geht in der Annäherung von
Form und Inhalt ähnlich rigoros vor wie „Das Turiner Pferd“. In Tarrs
letztem Film ist der Eindruck eines drohenden Endes atmosphärisch wie
formalästhetisch jeder Kamerafahrt, jeder erschöpften Geste, jedem Schnitt
immanent.
Das titelgebende Pferd liefert ein erstes Indiz, auch wenn sich der
Einführungstext, aus dem Off eingesprochen, schnell als Finte herausstellt.
Am 3. Januar 1889 trat Friedrich Nietzsche aus seinem Haus und sah dort
einen Kutscher, der auf sein störrisches Pferd einprügelte. Der Dichter
schmiss sich dem Tier heulend an den Hals, woraufhin er ins Haus
zurückgeführt wurde.
Was aus Nietzsche wurde, ist bekannt. Er verfiel kurz darauf dem Wahnsinn.
„Was mit dem Pferd geschah“, so die Stimme, „wissen wir nicht.“ Der Bau…
der in „Das Turiner Pferd“ mit der Tochter seinen täglichen Verrichtungen
nachgeht, ist jedoch Ungar, die Nietzsche-Anekdote also nicht mehr als die
Fußnote eines aufziehenden Dämmerzustands.
Die Kräfte schwinden, das Pferd frisst nicht, der Alte lässt die Kartoffeln
stehen, die Holzwürmer verstummen, die Schnapsration neigt sich dem Ende
zu, der Brunnen trocknet aus. Irgendwann verlöscht das letzte Licht.
## Ein offensichtlich verwirrter Nachbar
Tarr skizziert das Ende in kleinsten Verschiebungen, aber über allem stehen
zwei übergreifende Großerzählungen, die „Das Turiner Pferd“ ebenfalls an
einen Endpunkt führen. Sie hängen in gewisser Weise zusammen. Denn diese
prächtigen Schwärzen mit ihrer Tiefenwirkung, denen Tarr mit jedem seiner
Filme ein Denkmal gesetzt hat, sind untrennbar mit dem analogen Kino
verbunden, sie werden bald verschwunden sein. Das digitale Schwarz ist
flach, tot.
Für Tarr stirbt damit eine Autorentradition, für die er wie kein anderer
europäischer Filmemacher mit seinem Namen einstand. Die formale Strenge
seiner Filme ist noch ein Relikt dieser Traditionslinie. Bei Tarr bekommt
sie zusehends eine Hermetik, die sich in der Form erschöpft und aus der
selbst seine Geschichten keinen Ausweg mehr suchen. Der einzige Agent der
Außenwelt ist in „Das Turiner Pferd“ ein offensichtlich verwirrter Nachbar,
dessen fünfminütiger Monolog schließlich mit einem barschen „Ach,
Blödsinn!“ abgewürgt wird.
Eine neue Generation von europäischen Autorenfilmern pflegt mittlerweile
einen forscheren Umgang mit diesen Stilmitteln – kürzlich etwa der
Portugiese Miguel Gomes in seinem großartigen Berlinale-Beitrag „Tabu“.
„Tabu“ ist eine Einladung zur Partizipation. „Das Turiner Pferd“ wirkt
dagegen nicht gerade sehr einladend, auch wenn Tarr den Zuschauer zum
Verweilen auffordert.
14 Mar 2012
## AUTOREN
Andreas Busche
## TAGS
Portugal
## ARTIKEL ZUM THEMA
Miguel Gomes über portugiesischen Film: „Chaos ist unser Leben“
Der dreiteilige Film „As mil e uma noites“ erzählt von Portugal im Chaos
der Krise. Der Regisseur Miguel Gomes über sein wildes politisches Kino.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.